Brutal regional!. Ulrike Schott
nicht greifbares ungutes Gefühl bei gleichzeitiger selbstgefälliger Happiness wegen dem Gönnerhaften, alles richtig zu machen. Die kurzfristige Seligkeit beim Einkauf im Biotempel und beim Ab-Hof-Verkauf mit A2-Milchtankstelle bis hin zu tränenreicher Depression und Schuldbekenntnissen, weil man sich neulich nach dem Scheißtag der Woche die Familiendröhnung Chicken Wings mit Glutamatdip gegönnt hat.
Noch heftiger wär dieser Analog-Käse aus der Tube. Ich bitte Sie. Da muss sich keiner durch moderne Clean-Eating-Blogs quälen, um eine gewisse Skepsis zu verspüren. Was macht man eigentlich damit? Wird der Pseudo-Käsematsch zum Vegan-Wienerle auf den Pappteller gedrückt, weils keine fleisch- und laktosefreien Käsekrainer mehr gab? Oder pressen Leute diese Ausgeburt an Aromafettkonzentrat in einen Tofu-Burger? Macht es das besser? Sicher. Wenn es das Hamburger-Superkomplettset ist. Was optisch brotähnlich Gebackenes und ein erst zerhacktes und wieder in Form gebrachtes und anschließend frittiertes, eingefrorenes und daheim wieder aufgetautes Industriefleischersatzlaiberl praktisch kombiniert im Plastikblister. Da könnt ich mir diesen Pamps wirklich gut dazu vorstellen. Ja, da passt es. Falls die Tuben aus sind, soll Sprühkäse aus der Dose genauso gehen.
Mit der ganzen Fleischfrei-Welle tun sich in jede Richtung lustige Geschäftszweige auf. Wie dieses In-Vitro-Fleisch. Das wird jetzt richtig schick. Ein Zuchtkotelett aus der pflanzlichen Nährstofflösung. Die motivierteren Food-Start-uppler glänzen grad mit allerhand so crazy Neuerfindungen aus dem Ess-Labor. Die lassen ganz ohne Stall, Tiertransport und Schlachthof zarteste Filetsteaks aus Stammzellenkulturen wachsen. Schmerzfrei und gefühlssynthetisch. Da sprießen die Hühnerbrüste und die Schinkenschlegel und die Salamistangen bald dicht an dicht wie bei Gewächshausgurken. Überflüssige Knorpel oder Fettfasern werden erst gar nicht mitgezüchtet. Die Ernte erfolgt dann unblutig, entspannt mit dem Körbchen unterm Arm wie auf dem Erdbeerfeld und landet mit reinstem Gewissen und rauchiger Biomarinade direkt auf dem Holzkohlegrill. Daneben grasen friedlich Lämmer und Galloways, Wollschweine suhlen sich im Biomatsch wie im Paradies und freuen sich, dass sie leben. Menschlicher Kontakt findet rein über Kuscheleinheiten statt. Keiner wird umgebracht.
Das ist keine Geschichte von diesem einen Science-Fiction-Autor, der betrunken eine Sekte gegründet und dann noch ein Kochbuch veröffentlicht hat. Nein. Abgesehen von der Parallelwelt mit dem Streichelzoo, ist die Laborfleischaufzucht echt realistisch. Ein paar Jahre noch und Sie können neben Ihren Cocktailtomaten auf dem Balkon Ihren Lieblingsaufschnitt selber ziehen oder vom lebenden, lachenden knusprig gebräunten Spanferkel immer wieder ein Stück abschneiden. Wie im Schlaraffenland. Wir müssen nur alle fest dran glauben.
Ich kann es Ihnen ja sagen – ich hab schon mal Würstchen direkt aus der Tüte verschlungen. Ohne Brot. Ich hab das braune Papiersackerl nicht losgelassen und hab sogar noch geguckt, ob eh niemand was sieht von dem Aufdruck der Metzgerei auf der Vorderseite und mich dann bei etwaigen Glaubensbrüdern und -schwestern verpfeift. So wie in den amerikanischen Filmen die Leute immer den Schnaps checken. Das müssen Sie sich mal vorstellen! Ich, die sogar ihren von Geburt an aufgezwungenen, traditionell standardmäßig zugemuteten, vertraglich über die Einkommensteuer regulierten und übers Finanzamt eingetriebenen Ablass eingespart und den dafür verantwortlichen Religionsanbieter schon vor Jahren gekündigt hat!
Wegen der Buße hab ich dann gleich nach der Sünde noch ein paar Leute eingeladen zu veganen Mezze aus der trendigen Levante-Küche, die ja die Geste des Teilens und des Miteinanders verkörpert und grad so zum gewissensberuhigenden Lifestyle passt. Und sagenhaft gut schmeckt, ohne so Pseudoersatzkram in den Pott rühren zu müssen. Also dann – Shalom alle miteinander!
Orientierung im Foodtrend-Stress
Zusammengefasst ist dieses ganze Foodtrend-Dingens gar nicht so kompliziert. Mal grob obendrüber gesagt, ist alles an Essbarem möglich und erlaubt, wenn Sie die passenden Argumente dafür haben und diese überzeugend darstellen können. Die Auswahl ist derart individuell und mehr oder weniger tolerant (bis auf die Intoleranzen), da ist für jeden was dabei. Von der Free-from-Bewegung bis All-you-can-eat. Das Kind braucht nur einen definierten, möglichst hoffärtigen Namen, dann geht alles. Wie Flexitarier zum Beispiel. Ein Ernährungskonzept, das alles kann und nichts muss. Eine Rechtfertigung für eine entspannte Verkrampftheit, wenn Sie so wollen. Das Drüber-Reden scheint dabei wichtiger zu sein als der Geschmack. Die Fischstäbchen und das ordinäre Schnitzel essen wir heute eh nur noch heimlich und fotografieren für die Außenwelt den heimischen Bachsaibling in der Salzkruste und das schöne Gemüse aus der Region.
Du bist, was du isst. Auch so ne Sache, mit der man sich immer wieder auseinandersetzen soll. Ein vegan frittiertes Blumenkohlröschen aus dem eigenen Garten oder ein dry aged Ripperl aus dem Smoker? Ein fair trade Schokokeks mit palmölhaltiger Ganachefüllung oder ein glutenfreier Canihuapopper? Ich weiß nicht recht – was davon wären Sie denn gern?
Unter anderem ist die spontane Verfügbarkeit von so ziemlich allem bedeutsam. Schließlich haben wir alle reichlich zu tun mit unseren Selfies, die ja neuerdings Foodies heißen – man macht mehr Bilder vom Essen als von sich selbst. Vollkommen egal, ob selbstgekocht, von extern serviert oder fix und fertig ins Haus gebracht. Aber der Lebensmittel-Lieferservice muss selbstverständlich in Bioqualität funktionieren und Slow Food ist ein Riesenthema, aber schnell muss es gehen. Dass es dazu noch regional, saisonal und möglichst frei von CO₂-Belastung sein soll, wenn man sich peruanische Quinoa, vorgereifte Avocados aus Costa Rica, ganzjährige Bioerdbeeren und zwecks der ausgewogenen Ernährung ein bisserl Cashewmus im Glas ordert, da sieht der Genießer von heute keinen Widerspruch. Aus der ganzen Welt eingeflogen, im Premium-24h-Service und versandkostenfrei.
Trotzdem möchte die moderne Essgesellschaft stets informiert sein, wo alles herkommt und wers gemacht hat. Im Idealfall mit Foto vom glücklich dreinschauenden Plantagenarbeiter und mindestens drei gewissensberuhigenden Gütesiegeln auf der Versandschachtel. Ein mitgeliefertes Zertifikat, das von der Kuh persönlich geschwind unterschrieben wurde, bevor sie die eigenen T-Bones selbst mariniert hat, macht sich super hinter dem Treuepunktmagneten aus dem Lebensmitteldiscounter an der Kühlschranktür. Das Kleingedruckte mag keiner so genau lesen wegen dem Appetit.
Bäckereien im klassischen Sinne wird es bald auch nicht mehr geben. Den meisten Leuten reichts, die aufgewärmten Chinaböller im Discounter zu holen. Die Bäcker selbst haben zum Großteil ihren Handwerkerstolz mit einer wirtschaftlichen Beruhigung zwangsverrechnet und verzocken die auf amazoneske Gleichheit runterreduzierte Körnervielfalt eben gemäß Industriefertigmischung. Viel einfacher, viel rentabler. Dem Konsumenten ist das so gut wie egal. Eins von drei gekauften Gebäckstücken schmeißen wir ja sowieso weg.
Mit dem Brotmüll hantieren bereits ambitionierte Start-uppler und machen draus Schuhe und Fassadendämmungen. Andererseits gibts jetzt auch diese ganzen Alternativgetreidetypen und so Etablissements in denen Gebackenes mit Schrot und Bio und Super und alles angeboten wird. Eine Brotbackwelle mit elektrisch betriebenen Getreidemühlen für die chillig-nachhaltige Home-Bakery schwappt auch schon daher. Trifft aber nur die, die grad nicht auf Low Carb sind. Die anderen dürfen sich derweil vom Brot-Sommelier neue Kraftausdrücke anhören, die den Flauschfaktor und die Krumenbildung ausführlich beschreiben. Knusprig-malzig, tief-saftig, schwammig und sowas.
Wir essen jetzt häufiger im Stehen und im Gehen als im Sitzen und eher draußen als drinnen. Essen von der Imbissbude heißt jetzt Street Food und hat heute mehr Glamour als der Luxus-Italiener und das Steakhouse zusammen. Püriertes Gemüse mit Papier-Strohhalm zu schlürfen ist gerade noch moderner Lifestyle, wenngleich die Coffee-to-go-Becher politisch ins Unkorrekte abgedriftet sind. Dieses Thema wird sich sowieso bald von selbst erledigt haben, weil die Chinesen unseren Müll nicht mehr kaufen möchten. Wir ihren dagegen schon noch. Jedoch holen wir uns den einzeln und mundgerecht verpackt im Supermarkt und haben neuerdings stets ein heuchlerisches Textilsackerl aus fair trade Biobaumwolle und einen wieder befüllbaren Mitnahmebecher dabei.
Selbermachen ist wieder salonfähig und extrem hip, genauso wie eine ballaststoffreiche, gesunde Ernährung mit allerlei Werbesprechhintergrund. Das hört man sich gerne an und lechzt nach Anerkennung von seinesgleichen. Vegetarisch ist schon fast wieder