Jugend ohne Gott. Ödön von Horváth

Jugend ohne Gott - Ödön von Horváth


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Lust, eine Klasse zu unterrichten, die zu mir kein Vertrauen hat. Doch glaubt mir, ich wollte nach bestem Gewissen« – ich stocke, denn ich bemerke plötzlich, daß einer unter der Bank schreibt.

      »Was schreibst du dort?«

      Er will es verstecken.

      »Gibs her!«

      Ich nehm es ihm weg, und er lächelt höhnisch. Es ist ein Blatt Papier, auf dem er jedes meiner Worte mitstenographierte.

      »Ach, ihr wollt mich bespitzeln?«

      Sie grinsen.

      Grinst nur, ich verachte euch. Hier hab ich, bei Gott, nichts mehr verloren. Soll sich ein anderer mit euch raufen!

      Ich gehe zum Direktor, teile ihm das Vorgefallene mit und bitte um eine andere Klasse. Er lächelt: »Meinen Sie, die anderen sind besser?« Dann begleitet er mich in die Klasse zurück. Er tobt, er schreit, er beschimpft sie – ein herrlicher Schauspieler! Eine Frechheit wärs, brüllt er, eine Niedertracht, und die Lümmel hätten kein Recht, einen anderen Lehrer zu fordern, was ihnen einfiele, ob sie denn verrückt geworden seien, usw.! Dann läßt er mich wieder allein zurück.

      Da sitzen sie nun vor mir. Sie hassen mich. Sie möchten mich ruinieren, meine Existenz und alles, nur weil sie es nicht vertragen können, daß ein Neger auch ein Mensch ist. Ihr seid keine Menschen, nein!

      Aber wartet nur, Freunde! Ich werde mir wegen euch keine Disziplinarstrafe zuziehen, geschweige denn mein Brot verlieren – nichts zum Fressen soll ich haben, was? Keine Kleider, keine Schuhe? Kein Dach? Würd euch so passen! Nein, ich werde euch von nun ab nur mehr erzählen, daß es keine Menschen gibt, außer euch, ich will es euch so lange erzählen, bis euch die Neger rösten! Ihr wollt es ja nicht anders!

      Die Pest

      An diesem Abend wollt ich nicht schlafen gehen. Immer sah ich das Stenogramm vor mir – ja, sie wollen mich vernichten.

      Wenn sie Indianer wären, würden sie mich an den Marterpfahl binden und skalpieren, und zwar mit dem besten Gewissen.

      Sie sind überzeugt, sie hätten recht.

      Es ist eine schreckliche Bande!

      Oder versteh ich sie nicht? Bin ich denn mit meinen vierunddreißig Jahren bereits zu alt? Ist die Kluft zwischen uns tiefer als sonst zwischen Generationen?

      Heut glaube ich, sie ist unüberbrückbar. Daß diese Burschen alles ablehnen, was mir heilig ist, war zwar noch nicht so schlimm. Schlimmer ist schon, wie sie es ablehnen, nämlich: ohne es zu kennen. Aber das Schlimmste ist, daß sie es überhaupt nicht kennenlernen wollen!

      Alles Denken ist ihnen verhaßt.

      Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein, Schrauben, Räder, Kolben, Riemen – doch noch lieber als Maschinen wären sie Munition: Bomben, Schrapnells, Granaten. Wie gerne würden sie krepieren auf irgendeinem Feld! Der Name auf einem Kriegerdenkmal ist der Traum ihrer Pubertät.

      Doch halt! Ist es nicht eine große Tugend, diese Bereitschaft zum höchsten Opfer?

      Gewiß, wenn es um eine gerechte Sache geht –

      Um was geht es hier?

      »Recht ist, was der eigenen Sippschaft frommt«, sagt das Radio. Was uns nicht gut tut, ist Unrecht. Also ist alles erlaubt, Mord, Raub, Brandstiftung, Meineid – ja, es ist nicht nur erlaubt, sondern es gibt überhaupt keine Untaten, wenn sie im Interesse der Sippschaft begangen werden! Was ist das?

      Der Standpunkt des Verbrechers.

      Als die reichen Plebejer im alten Rom fürchteten, daß das Volk seine Forderung, die Steuern zu erleichtern, durchdrücken könnte, zogen sie sich in den Turm der Diktatur zurück. Und sie verurteilten den Patrizier Manlius Capitolinus, der mit seinem Vermögen plebejische Schuldner aus der Schuldhaft befreien wollte, als Hochverräter zum Tode und stürzten ihn dann vom Tarpejischen Felsen hinab. Seit es eine menschliche Gesellschaft gibt, kann sie aus Selbsterhaltungsgründen auf das Verbrechen nicht verzichten. Aber die Verbrechen wurden verschwiegen, vertuscht, man hat sich ihrer geschämt.

      Heute ist man stolz auf sie.

      Es ist eine Pest.

      Wir sind alle verseucht, Freund und Feind. Unsere Seelen sind voller schwarzer Beulen, bald werden sie sterben. Dann leben wir weiter und sind doch tot.

      Auch meine Seele ist schon schwach. Wenn ich in der Zeitung lese, daß einer von denen umgekommen ist, denke ich: »Zu wenig! Zu wenig!«

      Habe ich nicht auch heute gedacht: »Geht alle drauf?« Nein, jetzt will ich nicht weiterdenken! Jetzt wasche ich meine Hände und gehe ins Café. Dort sitzt immer wer, mit dem man Schach spielen kann! Nur hinaus jetzt aus meinem Zimmer! Luft! –

      Die Blumen, die ich von meiner Hausfrau zum Geburtstag bekam, sind verwelkt. Sie kommen auf den Mist. Morgen ist Sonntag.

      In dem Café sitzt keiner, den ich kenne. Niemand.

      Was tun?

      Ich geh ins Kino.

      In der Wochenschau seh ich die reichen Plebejer. Sie enthüllen ihre eigenen Denkmäler, machen die ersten Spatenstiche und nehmen die Paraden ihrer Leibgarden ab. Dann folgt ein Mäuslein, das die größten Katzen besiegt, und dann eine spannende Kriminalgeschichte, in der viel geschossen wird, damit das gute Prinzip triumphieren möge.

      Als ich das Kino verlasse, ist es Nacht.

      Aber ich gehe nicht nach Hause. Ich fürchte mich vor meinem Zimmer.

      Drüben ist eine Bar, dort werd ich was trinken, wenn sie billig ist.

      Sie ist nicht teuer.

      Ich trete ein. Ein Fräulein will mir Gesellschaft leisten.

      »So ganz allein?« fragt sie.

      »Ja«, lächle ich, »leider –«

      »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

      »Nein.«

      Sie zieht sich gekränkt zurück. Ich wollt Ihnen nicht weh tun, Fräulein. Seien Sie mir nicht böse, aber ich bin allein.

      Das Zeitalter der Fische

      Als ich den sechsten Schnaps getrunken hatte, dachte ich, man müßte eine Waffe erfinden, mit der man jede Waffe um ihren Effekt bringen könnte, gewissermaßen also: das Gegenteil einer Waffe – ach, wenn ich nur ein Erfinder wäre, was würde ich nicht alles erfinden! Wie glücklich war die Welt!

      Aber ich bin kein Erfinder, und was würde die Welt nicht alles versäumen, wenn ich ihr Licht nicht erblickt hätte? Was würde die Sonne dazu sagen? Und wer würde denn dann in meinem Zimmer wohnen?

      Frag nicht so dumm, du bist betrunken! Du bist eben da. Was willst du denn noch, wo du es gar nicht wissen kannst, ob es dein Zimmer überhaupt geben würde, wenn du nicht geboren worden wärst? Vielleicht wär dann dein Bett noch ein Baum! Na also! Schäm dich, alter Esel, fragst mit metaphysischen Allüren wie ein Schulbub von anno dazumal, der seine Aufklärung in puncto Liebe noch nicht verdaut hat! Forsche nicht im Verborgenen, trink lieber deinen siebenten Schnaps! Ich trinke, ich trinke – Meine Damen und Herren, ich liebe den Frieden nicht! Ich wünsche uns allen den Tod! Aber keinen einfachen, sondern einen komplizierten man müßte die Folter wieder einführen, jawohl: die Folter! Man kann nicht genug Schuldgeständnisse erpressen, denn der Mensch ist schlecht!

      Nach dem achten Schnaps nickte ich dem Pianisten freundlich zu, obwohl mir seine Musik bis zum sechsten Schnaps arg mißfiel. Ich bemerkte es gar nicht, daß ein Herr vor mir stand, der mich bereits zweimal angesprochen hatte. Erst beim drittenmal erblickte ich ihn.

      Ich erkannte ihn sogleich.

      Es war unser Julius Caesar.

      Ursprünglich ein geachteter Kollege, ein Altphilologe vom Mädchenlyzeum,


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