Die schönsten Hotels unter 100 Euro. DIE ZEIT
Fenster duftet die Blumenwiese. Das Wiehern der Pferde ist vom nahe gelegenen Gestüt zu hören, das Kläffen eines Hundes von irgendwo – mehr nicht. Der Gast aus der Großstadt schlummert still zufrieden dem nächsten Morgen entgegen. Zum Frühstück schlendert er ein paar Schritte durch den Garten, rüber in die knajpa, ein drittes Gebäude. Das ehemalige Forst- und Jagdhaus der Grafen von Lehndorff-Steinort stammt aus dem 19. Jahrhundert.
Heute prangt das Wappen der Grafen Potocki unter dem Dachfirst – Aleksanders Vorfahren. Das dunkelholzige, mit Weinlaub bewachsene Gebäude ist sein wahr gewordener Traum. Unter Aufsicht des polnischen Denkmalschutzes hat er das vom Verfall bedrohte Haus abgetragen und von Sztynort ins 80 Kilometer entfernte Galkowo verbracht. »Warum habt ihr das gemacht?« – »Weil wir verrückt sind«, antwortet Aleksander. Drei Jahre hat die Rekonstruktion gedauert, Aleksander wurde zu einem der größten Arbeitgeber der armen Region.
In der knajpa trifft man sich immer ab neun Uhr morgens zum Essen, Trinken, Schwatzen, Ausruhen. Familien, Hundebesitzer, Paddler, Radler, Wanderer, Reiter, Reisegruppen – jeder ist hier willkommen. Die jungen Bedienungen sprechen ein bisschen Deutsch, sie stammen aus dem Freundeskreis der Potockis. Adam, der Koch, hat schon beim Aufbau der knajpa geholfen. Die regionale Küche wird der jeweiligen Saison angepasst und ist köstlich: zum Frühstück Joghurt mit Himbeeren aus dem eigenen Bauerngarten, zum Mittagessen Kartoffelpuffer mit frischen Pfifferlingen, zum Nachmittagskaffee Apfelkuchen – da werden Kindheitserinnerungen wach.
Im anheimelnden Halbdunkel des Gastraums sitzt man auf Holzbänken an langen Tischen, die terrakottafarben gestrichenen Wände sind bedeckt mit Familienfotos und gerahmten Bildern – Szenen von einst, die Aleksanders Großvater »aus der Erinnerung« gezeichnet hat. Am brennenden Kaminfeuer in das plüschige rote Dreisitzersofa sinken, einen Wodka kippen und die feuchten Wanderschuhe trocknen lassen – auch das ist hier möglich. Geöffnet ist, bis der letzte Gast geht. Wer später kommt, hat noch die Holzveranda vor dem Haus, um im Schein des sich rundenden Augustmondes den Tag ausklingen zu lassen. Es hat sich gelohnt, um halb fünf morgens auf die Pirsch zu gehen, um zehn nach fünf hat wirklich der Hirsch geröhrt. Nein, das war kein Hund! Und gelohnt hat sich auch der Rückweg über die tautriefende Wiese, vorbei am Friedhof der Altgläubigen, wo die aufgehende Sonne das morgendliche Nebelmeer geradezu mystisch auflöste und die weißen Kreuze auf den Gräbern enthüllte.
Ein neuer Tag. Über die geschwungene Treppe mit von Generationen ausgetretenen Holzstufen gelangt man in die oberen Räume der knajpa. Hier hat Aleksanders Mutter zu Ehren der unvergesslichen Journalistin Marion Gräfin Dönhoff einen Salon eingerichtet, einen Ort zum Verweilen mit Blick auf die Pferdeweiden, zum Lesen der ausliegenden Literatur. Man kann auch der vom Knistern des Tonbandes verfremdeten Stimme Marion Dönhoffs lauschen. Sie liest aus ihrem Ritt durch Masuren: »Herr Gott, wie schön die Welt ist – sein könnte...«
Ins Gästebuch hat jemand geschrieben: »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.« Der Besucher aus der Großstadt hat sie wiedergefunden, still in seinem kleinen Zimmer, lesend auf dem Steg im See, Himbeeren essend auf der Holzschaukel im blühenden Garten, durch Wiesen wandernd unterm Regenbogen.
Jeder Gast wird an diesem besonderen Ort irgendetwas wiederfinden, mit Glück sogar sich selbst. Hin und wieder kommt auch Kristina mal vorbei. Neulich brachte die alte Stakerin ihre Schwester mit. »Wollt ich ihr mal das Häuschen zeijen und den ippijen Jarten.« Beide finden alles von einer »jroßarrtjen Scheenhejt«.
Gasthof Galkowo
Aleksander Potocki, Galkowo 46, 12-220 Ruciane-Nida, Tel. 0048-87/4257073 oder 0048-87/4257068, www.galkowo.pl. DZ ab 35 Euro
ITALIEN
Blaues Wunder
Glasklares Meer, mediterranes Zimmer, und das Obst kommt aus dem eigenen Garten: Im Hotel Ilio auf Elba ist Luxus ganz einfach
VON MARGRIT GERSTE
Es ist viel zu heiß! Und ganz schön weit! Aber fest steht: Wir kommen wieder.
Von Hamburg sind wir nach Pisa geflogen, haben ein kleines Auto gemietet, sind ein Stündchen bis zum Hafen von Piombino gefahren, dann auf die Fähre, zehn Kilometer in einer halben Stunde – und runter in Portoferraio. Elba!
Wir sind aber noch nicht da.
Also weiter über Berg und Tal, durch Haarnadelkurven und entlang steiler Klippen. Das Meer, Wahnsinn! Die Fahrerin wird ermahnt: Nicht gucken, aufpassen! Tollkühne Vespa-Fahrer überholen uns, Kräuter und Beeren säumen die Küstenstraße; hoch an den Bergen kleben uralte Dörfer in Rosa oder Weiß, und überall: der würzige Duft von Pinien. Irgendwann geht es rechts hinunter nach Capo Sant’Andrea, ein kleiner Weg führt zum Hotel Ilio. Nur noch 100 Meter, und wir stünden im Meer.
Das war schon mal eine traumhafte Fahrt, und jetzt gibt es etwas zu trinken, Maurizio Testa, Besitzer des Hotels, ist so freundlich. Er ist ein hochgewachsener Mann, Mitte/Ende 40, mit blankem Schädel und sehr aufmerksamen Augen, informell gekleidet, aber erlesen, italienisch eben. Er und sein Hotel, werden wir schnell feststellen, passen gut zusammen: In der Einfachheit steckt Gediegenes, im Modernen Althergebrachtes und Bodenständiges.
20 Zimmer mit 47 Betten, verstreut auf drei Häuser – und kein Zimmer gleicht ganz dem anderen. Es gibt die »Camere Bougainvillea« mit Himmelbett – eine kleine Konzession des Hausherrn, wie es scheint (»Frauen mögen es«) – und die »Camere Toscana« im Haupthaus über der Frühstücksterrasse. Am günstigsten sind die »Camere Verde« im Gartengebäude, mit einer Wand, in sanftem Grün gewischt, einem Doppelbett mit fein geschmiedetem Kopfteil und mediterraner Tagesdecke über weißen Laken und gleich dahinter eine gewitzte Wandkonstruktion statt eines Schranks. In allen Zimmern fächelt und säuselt ein Ventilator unter der Decke, Energie spendet hier übrigens die Sonne, und auch, was es an »Schmuck« gibt, stammt von hier: vom Meer angeschwemmtes, ausgeblichenes Baumholz, eine Schale aus Olivenholz, ein alter toskanischer Schrank, ein Bord aus dem Holz der Weinfässer des Großvaters, ein Stück altes Gemäuer.
Der Großvater hatte Wein angebaut, der einst mit Segelschiffen aufs ligurische Festland gebracht wurde. Er hütete den einzigen Enkel, als die Eltern im Haus am Meereshügel erst eine Gastwirtschaft eröffneten und später, 1959, ein kleines Hotel; es wurde nach Ilio, dem Großvater, benannt. Nach der Schule half Maurizio natürlich im Familienbetrieb, kümmerte sich um den Garten, putzte die Zimmer, räumte den Keller auf, spülte das Geschirr. Vor 15 Jahren hat er alles übernommen. Die Großeltern sind längst gestorben, die Mutter sitzt manchmal freundlich lächelnd vor dem Eingang des Hotels und genießt das Meer. Maurizio trinkt hier frühmorgens seinen Cappuccino, und wenn die Gäste auf der Terrasse Platz nehmen, ist er bereits in Aktion. Plant Veränderungen wie An- und Ausbauten, die dann außerhalb der Saison umgesetzt werden. Zudem lehrt er an toskanischen Marketingschulen, schreibt Bücher zum Thema und berät Familienbetriebe aus der Hotelbranche.
»Von seinem Unternehmergeist haben wir alle etwas«, sagt Andrea, der vor elf Jahren im Dorf, das im Winter nicht einmal hundert Bewohner hat, eine Tauch- und Schnorchelschule aufmachte. Mit ihm aufs Meer hinauszufahren ist ein schönes Erlebnis. Seine Gäste werden umsichtig betreut, wenn sie bei einem Wrack tauchen oder eine Höhle in den wundersamen Granitfelsen erkunden. Und hat er nicht eine einleuchtende Philosophie für seine Schüler erdacht? »Try to be a drop of water!« Nicht nur bei ihm bekommen Gäste aus dem Ilio einen Rabatt, auch auf Leandros betagtem Schiff für etwa 20 Gäste, mit dem wir von der Nordwestspitze Capo Sant’Andrea einen ganzen Tag lang um die Westküste schippern mit lauter freundlichen und entspannten Italienern. Ab und zu springen wir ins unglaublich klare Meer – die Kinder von der Reling hinunter –, schnorcheln, tauchen und trinken später Wein aus Pappbechern.
Was für ein schöner Tag! Verabschiedet wird er wie alle Tage mit einem Menü all’italiana/elbana, an dem rein gar nichts auszusetzen ist. Alle Zutaten kommen aus dem Meer, dem Garten, dem Wald, es duftet, sieht hübsch aus und schmeckt prima. Dazu elbaischen Wein, nach den Vorgaben des Hoteliers hergestellt. Espresso und Grappa auf der Terrasse, plauschen, Karten spielen und sich wieder auf die Brombeeren zum Frühstück freuen, die der Gärtner frisch