Die Revolution der Bäume. H. C. Licht

Die Revolution der Bäume - H. C. Licht


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obligatorischen, Sicherheitsschuhen. Zusammen mit einem pragmatischen Kurzhaarschnitt und einem kurz gestutzten Vollbart, ist er eine unauffällige, aber dennoch imposante Erscheinung.

      In der Mitte der Halle mit den Dimensionen eines Fußballplatzes bleibt er stehen und lauscht versonnen in die nachmittägliche Stille. Bis auf den sporadisch einsetzenden sonoren Brummton des Abluftventilators und das gelegentliche, trockene Knacken, das die brütende Gluthitze des Sommertages im Gebälk der weit verzweigten Dachkonstruktion erzeugt, ist kein Laut zu hören.

      Dieser Ort ist Erwins Refugium. Hier ist sein schweigsames Naturell willkommen und er frei von dem Druck, nach pflichtschuldigem Lauschen endloser Litaneien, irgend etwas Geistreiches von sich geben zu müssen, und dann trotz sorgsamster Wortwahl doch wieder alles falsch ausgedrückt zu haben.

      Er holt tief Luft und seufzt zufrieden, als ob jeder einzelne Atemzug in der stickigen, zum Schneiden staubigen Atmosphäre ein wahres Vergnügen wäre. Den Kopf weit in den Nacken gelegt, die Nasenflügel schnuppernd aufgebläht, erinnert er an ein wildes Tier, das Witterung aufnimmt. Dabei fällt ihm auf, dass ein gelegentliches, leises Geräusch im Hintergrund, wie das Anspringen des Kühlschranks im angrenzenden Büro, den Eindruck von Lautlosigkeit noch verstärkt.

      Totenstille, im Sägewerk steht die Zeit still. Auch die Sägeblätter vom Durchmesser eines Wagenrades stehen still, Sägeblätter unter deren stahlhartem Biss abertausende Bäume tausend Tode gestorben sind.

      Doch die momentane Stille ist nur die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Um das dem im Tiefschlaf liegenden Maschinenpark lautstark zu demonstrieren, klatscht Erwin kraftvoll in die schwieligen Hände. Der Schall schlägt hohe Wellen, brandet hart und trocken an die nackten Wände und bricht sich an ihnen, wandert erstaunlich lang von einer Seite der Halle zur andern, bevor er allmählich abebbt und schließlich summend ausläuft.

      Immer wieder erstaunlich dieser Effekt, das Sägewerk hat eine wirklich außergewöhnliche Akustik. Als Erwin als Zugabe noch einen gellenden Schrei von sich gibt, ist niemand da, der den minutenlangen Nachhall bezeugen könnte, nur eine einsame Spinne erschrickt fast zu Tode und hält abrupt inne bei ihrem emsigen Netzbau. Im Gegensatz zu ihr, packt Erwin ein wilder Bewegungsdrang. Eine fröhliche Melodie pfeifend knallt er die Hacken seiner mit Stahlkappen bewehrten Sicherheitsschuhe auf den Betonboden und legt einen Freudentanz hin, der das fingerdicke Gemisch aus Holzspänen und Staub in voluminösen Flocken aufwirbelt.

      Ja, er ist außer sich vor Glück, denn heute ist der Tag, auf den er seit Monaten hin gearbeitet hat. Endlich hat er die Verträge mit der Stadtverwaltung und dem Energiekonzern TAN schwarz auf weiß in der Tasche. Erwin ist ein großer Befürworter der sogenannten Energiewende. Um diese in Schwung zu bringen, müssen immense Investitionen getätigt und Tausende von Kilometern Kabel verlegt werden. Das bedeutet Aufschwung für die Region und vor allem jede Menge Aufträge für das Sägewerk Wolf.

      Dass nach erbitterten Protesten von Anwohnern und Naturschützern anstelle der geplanten oberirdischen Freileitungen, letztendlich nun doch die wesentlich teureren Erdleitungen verlegt werden, spielt eigentlich keine große Rolle. Denn auch für das aufwendige Verlegen der unterirdisch verlaufenden Kabel müssen schnurgerade Trassen durch die Botanik geschlagen werden, wenn auch etwas schmalere. Anstatt eines, für Freilandleitungen vorgeschriebenen, Kahlschlags von siebzig Metern Durchmesser, sind es nun in etwa dreißig.

      Als i-Tüpfelchen konnte Erwin gleichzeitig einen weiteren, langfristig angelegten Vertrag mit der TAN abschließen. Man muss das Eisen schließlich schmieden, solange es heiß ist. In Zukunft ist er nun auch für die Instandhaltung der gerodeten Flächen zuständig. Diese müssen permanent frei von Vegetation gehalten werden, weil nachwachsende Wurzeln das Betonbett der Leitungen beschädigen könnten.

      Das bedeutet für ihn fest kalkulierbare Einnahmen, Gewinne mit denen er rechnen kann. Nicht nur, dass er damit bis spätestens Ende nächsten Jahres aus den Miesen raus ist, vor allem hat die beschissene Phase des Stillstands, dieses elende Warten auf Aufträge ein Ende, und er darf sich wieder aufführen wie die Axt im Walde. Denn genau das entspricht seiner Natur, so hat Gott ihn gewollt und nicht anders.

      Wie er den unverwechselbaren Geruch des verbrannten 2-Takt-Gemischs vermisst hat, das Kreischen der Motorsägen, das Splittern und Bersten der Stämme. Wenn das Donnern der auf die Erde stürzenden Baumriesen die Luft elektrisiert und der Waldboden auf weiter Flur bebt, dann lacht sein Herz, und er fühlt sich sauwohl in seiner Haut.

      Das Bild des Mannes, der sich der Wildnis entgegen stellt und mit der geballten Kraft seiner Hände einen Baum fällt, ist in Erwins Vorstellung fest mit der Menschheitsgeschichte verknüpft und drückt ein archaisches Grundbedürfnis aus, das ebenso urzeitlich ist wie das Feuer und genau so alt ist wie der Mensch selbst.

      Tief und genüsslich holt er Luft. Ja, das riecht nach Arbeit, jeder Menge Arbeit. Endlich kommen die Räder des Sägewerks Wolf wieder ins Rollen.

      An dem Tag, an dem die Halle nach frisch gesägtem Holz duftet, wird er einen ausgeben. Dann wird er mit den Kollegen eine Sause machen, dass die Schwarte kracht. Direkt hier, inmitten des Maschinenparks, werden sie sich mit erstklassigem Hochprozentigen zuprosten und den Geist einer neuen Zeit willkommen heißen.

      Prost! Auf das ehrliche Handwerk! Prost! Endlich wieder nach Herzenslust arbeiten zu dürfen. Prost! Weil wir richtige Männer sind und keine Weicheier!

      Hoch zufrieden mit dem Ausgang seines kleinen, intimen Selbstgesprächs, greift er in sein dreckverkrustetes, leicht nach Urin und Schweiß stinkendes Overall und massiert, zur Vertiefung dieses viel zu selten empfundenen Hochgefühls, seinen haarigen Hodensack. Als sein Penis auf die Berührung in Form eines Halbsteifens reagiert, stellt er fest, dass er mächtig Lust auf Sex hat. Und dass der letzte amtliche Fick schon verflucht lange her ist.

       Er zieht seine freie, linke Hand aus der Hosentasche und guckt auf die Armbanduhr. Eigentlich müsste seine Frau Elena doch jeden Moment nach Hause kommen. Bei dem Gedanken an sie vergeht ihm seine gute Laune gleich wieder. Genervt starrt er auf das schwarz unterlegte Ziffernblatt. Der Sekundenzeiger dreht stoisch seine Runden und lässt sich auch von Erwins leicht überhitztem Temperament nicht aus der Ruhe bringen.

      Die Alte verbringt zu viel Zeit in ihrer beknackten Galerie. Sie will es zwar nicht wahrhaben, aber der Laden ist sowieso ein totaler Reinfall, das reinste Groschengrab. Welche Kleinstadt mit so einer hundsmiserablen Infrastruktur wie Weihtal braucht denn einen derart abgehobenen Scheißdreck? Elenas neunmalklugen Kommentar zu dem Thema kann er schon im Schlaf herunterbeten. Es sei ihr Anspruch, im Dienste einer globalen Kulturlandschaft einen zeitgemäßen Kulturbegriff in der Provinz zu etablieren, der nicht nur im Sinne der Völkerverständigung bedeutsam wäre.

      „Ja, hochgesteckte Ziele hat sie wirklich jede Menge, die Frau Wolf.“, murrt er verärgert.

      Ihre hochnäsigen Sprüche hängen ihm echt zum Hals raus. Damit kann sie vielleicht irgendwelche Großstadtfuzzies beeindrucken. In dieser von Gott und der Welt hoffnungslos abgehängten Region, haben die Leute doch ganz andere Prioritäten. Die kämpfen alltäglich ums Überleben und haben weder Zeit noch Geld noch Sinn für das Schöngeistige und artverwandte Luxusprobleme. Für elitären Schrott wie moderne Kunst interessiert sich hier kein Schwein.

      Er steckt sich eine Zigarette in den Mund und zündet sie an. Während er den herrlich aromatischen Rauch tief inhaliert, befreit er seinen inzwischen vollständig erigierten, stark pulsierenden Penis aus dem engen Overall und fängt an zu masturbieren.

       Vernachlässigt, null begehrt und ungeliebt, ein netter, harmloser, anspruchsloser Trottel, genau das ist er. Selbst schuld, warum lässt er Elena auch alle diese Sperenzien ungestraft durchgehen? Seine Engelsgeduld und seine Nachgiebigkeit sind seine größten Fehler.

      Aber nun, wo der Cashflow wieder hergestellt ist und er sich als Mann somit vollwertig fühlt, ist er seiner Frau gewachsen. Wenn sie es darauf ankommen ließe, ergäbe sich ein Kopf an Kopf Rennen ums Rechthaben. Erwin wäre durchaus imstande, mal richtig auf den Tisch zu hauen und darauf zu bestehen, dass die Konditionen von persönlicher Freiheit und ehelicher Pflicht neu verhandelt werden.

      Zugegeben, in seiner jüngsten Lebensphase hat er ihr


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