Erotische Erzählungen. Alfred Georg Hermann Hanschke (Klabund)

Erotische Erzählungen - Alfred Georg Hermann Hanschke (Klabund)


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quer lange und kurze Schmisse von seiner Burschenschaftszeit her auf der linken Wange und auf der Stirn, die unnatürlich tiefrot, wie mit roter Tinte gezeichnete Striche, auf der blaßgelben Haut lagen. Der Alkohol trieb sie auf. Adalbert Klinger soff. Aber seine ruhigen, braunen, halbzugekniffenen Augen und der sinnliche, etwas schiefe Mund übten eine verwirrende Wirkung auf die Frauen. Alle Frauen der kleinen Stadt liebten ihn, den die Männer wegen seiner schlaffen Unfähigkeit zur Arbeit verachteten. Des Hasses hielten sie ihn nicht einmal wert. Am meisten aber liebte ihn Isabelle Kersten.

      Dieser Adalbert Klinger allein von allen Männern grüßte Margarete Andoux nicht. Er sah nicht einmal hin, wenn er ihr auf der Straße begegnete, den Mantelkragen aufgeklappt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Zigarette im Mundwinkel.

      Margarete Andoux wunderte sich. Sie nahm sonst Huldigungen lächelnd, selbstverständlich entgegen. Warum grüßte sie dieser... dieser Mensch nicht? Kannte er sie nicht? Er kannte doch alle Frauen der Stadt und grüßte sie. Und die Mädchen waren insgesamt in ihn verliebt – wie konnte er sich erfrechen, sie zu übersehen?

      Sie sprach mit Isabelle Kersten, die im geheimen Triumph und Schadenfreude empfand.

      «Er kennt dich wahrscheinlich nicht», sagte Isabelle Kersten. «Ist er dir schon vorgestellt? Nein? Na also.»

      Zum Promenadenkonzert, das die Stadtkapelle sonntags auf dem Marktplatze veranstaltete, spazierten Margarete Andoux und Isabelle Kersten weißviolett Arm in Arm.

      Adalbert Klinger trottete des Weges.

      «Paß auf», sagte Isabelle Kersten. «Er kennt mich, er –»

      Isabelle Kersten erbleichte. Adalbert Klinger war vorbei und hatte nicht gegrüßt. Sie warf die Schuld auf ihre Freundin.

      «Er leidet dich nicht», meinte sie spöttisch.

      Margarete Andoux zuckte die Achseln und schwieg nachdenklich. Was hatte er gegen sie? Und wie sie sich mühte und kämpfte, ihre Gedanken kamen nicht von ihm los. Sie litt, aber sie wußte sich nicht zu helfen. Sie fühlte einen Zwang in sich, Adalbert Klinger innen und außen zu betrachten. «Ich werde ihn zu Ende denken», dachte sie.

      Und sie lag die Nacht wach und grübelte.

      Schatten flogen über sie hin, und in den Dingen war ein dunkles Summen und Singen. Wo habe ich diese eintönige Melodie schon gehört? Es ist nur ein Ton und doch eine Melodie. Und niemand kennt den Ton. Alle haben ihn in sich, und keiner kann ihn sagen oder singen.

      Margarete Andoux wurde unruhig. Diesem Manne gegenüber, der sie nicht kannte und dem ihr Lächeln gleichgültig war, verlor sie ihre Sicherheit. Sie empfand schreckhaft, wie sie sich mit ihm beschäftigte und in ihn hineinsank.

      Sie suchte nun, ihn auf der Straße zu treffen, lief im Regen an seiner Parterrewohnung ohne Schirm vorbei, dass er hinauskommen möge und ihr seine Begleitung anbiete. Sie erfuhr, wann er zum Dämmerschoppen ging, und lauerte ihm förmlich auf. Wenn er sich näherte, lächelte sie. Das Lächeln bat um Mitleid. Ohne sie anzusehen oder den Kopf zu wenden, schlenkerte er an ihr vorbei. Sie fieberte: was wollte er von ihr? Was schlug er sie, was trat er sie mit Füßen? – Und sie erniedrigte sich so weit, sich nach ihm umzublicken und auf der Gasse stehenzubleiben, bis seine grau schwankende Silhouette in einem Hause verschwand.

      Eines Tages saß sie auf dem Balkon. Er bog unten um die Ecke. Sie ließ schnell einen Handschuh vor ihm auf das Pflaster fallen. Er hob ihn nicht auf. Sie biß in ihr Taschentuch vor wütender Enttäuschung und krampfte sich in Tränen. Was nutzte ihr schönes, reizendes Lächeln, wenn es alle Männer verführte, nur diesen einen nicht, den es so schmerzlich ersehnte. Um Gottes willen, ich liebe ihn doch nicht, unterbrach sie ihre Gedanken. Nein, nein, sie lachte, ich ärgere mich nur rasend, dass er mich nicht sehen will. Denn das eine weiß ich jetzt ganz genau: er will mich nicht sehen.

      Und sie sann, wie sie ihn zwingen möchte, dass er sie ansähe. O wie sie ihn haßte!

      Vor der Stadt, auf dem Oderdamme, begegneten sich Adalbert Klinger und Margarete Andoux. Es war Winter und Glatteis. Margarete Andoux stolperte und fiel. Adalbert Klinger schob seinen Kopf tiefer in den Mantel, pfiff leise durch die Zähne und stierte nach dem Strom, der Grundeis führte. Margarete Andoux musste sich selbst auf die Beine helfen.

      Wie ich mich behandeln lasse, wie ich mich behandeln lassen muss, knirschte sie und weinte.

      Eines Abends nach neun schellte es an der Wohnung des Studenten. Adalbert Klinger warf die «Contes drolatiques», die er eben gelesen, aufs Bett, nahm einen hastigen Schluck aus seinem Humpen und öffnete.

      «Bitte, treten Sie nur näher, Fräulein», sagte er höflich, «Sie wünschen?»

      Margarete Andoux stand vor ihm. Ihre Lippen zitterten, und ihre Hände griffen nach einem Halt in der dröhnenden Leere. «Darf ich Ihnen beim Ablegen behilflich sein?» Er zog ihr das Jackett aus. Dann führte er sie zum Sofa und holte aus dem Glasschrank eine Flasche Sekt und zwei Gläser.

      Margarete Andoux lächelte.

      Drei Tage später betrank sich der Student der Jura im zwölften Semester Adalbert Klinger an seinem Stammtisch bis zur Besinnungslosigkeit. Er hatte seine Wette glänzend gewonnen. Die Flasche Sekt an jenem Abend hatte er schon auf sein Gewinnkonto vorweggenommen.

      Auf dem Heimweg schlug er mit dem Schädel aufs Pflaster und blieb liegen. Er starb am nächsten Tage an Gehirnerschütterung.

      Margarete Andoux ging in die Leichenhalle, wo er in einem weißen, reinlichen Hemd aufgebahrt lag. Seine Schmisse glänzten blassviolett auf der wächsernen Haut.

      Am oberen Hals, fast unsichtbar, zeichnete sich eine kleine, anscheinend frische, zackige Narbe ab, als hätte eine Ratte oder Katze sie hineingebissen.

      Und Margarete Andoux lächelte.

      Der Jockey

      Das Rennen nahm ein sehr interessantes und völlig unerwartetes Ende. Nachdem Imperator bis hundert Meter vorm Ziel geführt hatte und der Sieg ihm sicher schien, setzte sich plötzlich Atalanta, die an vierter Stelle lief, von einer wütenden Kraft getrieben, vor und kam in leichtem, scheinbar mühelosem Galopp mit einer Pferdelänge vor Imperator durchs Ziel.

      Es war eine ungeheure Aufregung, die Menge drängte an, die Reitknechte sprangen herbei – aber ehe man den Jockey Harsley, der Atalanta geritten hatte, vom Pferde heben konnte, scheute Atalanta, bäumte sich empor und warf den Jockey, der zu geschwächt war, um sich halten zu können, auf den Rasen. Er fiel so unglücklich, dass ein Holzpflock ihm in die Brust drang und er das Bewusstsein verlor. Man schrie nach dem Arzt, nach der Sanitätskolonne, die sofort zur Stelle war und ihn in die Klinik schleppte. Wochenlang rang der Jockey unter entsetzlichen Schmerzen mit dem Tode. Die Lunge wies schwere Verletzungen auf. Er spie Blut. Nacht für Nacht wachte ein Wärter an seinem Bett. Eine Schwester wurde mit ihm nicht fertig, da ihn im Fieber Wutanfälle wie wilde Hunde packten und aus den Kissen zerrten.

      Und durch alle seine Fieberträume klang ein Wort, zuerst zaghaft, leise, liebkosend, dann flehender, fordernder: «Tilly». Und schließlich fand man auch am Tage nur dies eine Wort auf seinen Lippen: «Tilly». Man versuchte vorsichtig, ihn nach dem Sinn dieses Wortes auszuforschen, aber er erlangte ja nie volles Bewusstsein. «Vielleicht seine Braut», sagte der Professor. Aber niemand wußte von einer Braut. «Eine Geliebte», sagte der junge Assistenzarzt und machte ein pfiffig selbstverständliches Gesicht. Man hatte ihn nie wie die andern Jockeys mit Mädchen der Halbwelt oder Damen der Gesellschaft zusammen gesehen. Endlich riet man auf eine heimliche Geliebte. Aber hätte sie sich nicht längst nach ihm erkundigt? Hatte nicht der Unglücksfall, sentimental drapiert, in allen Zeitungen gestanden? Also eine Dame der höheren Kreise, die sich aus dem schützenden Dunkel ihrer Anonymität nicht hervorwagen darf?

      Immer stürmischer, klagender, trostloser klang es von den Lippen des Kranken: «Tilly». In einer größeren Zeitung erschien ein Feuilleton, betitelt «Tilly ...», und dann ein paar Punkte, aber es erfolgte nichts, Tilly machte sich nicht bemerkbar.

      Eines Tages, als der Wärter ihm


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