Rebeccas Schüler. Tira Beige
zwei Wochen geschlossenen Fenster, stellte ihre Tasche auf den Boden ab und setzte sich auf den Lehrerstuhl. In zehn Minuten würden die ersten Schüler kommen. Eine erquickliche Ruhe vor dem Sturm legte sich über den Raum. Ihr Blick schweifte nach draußen, wo es angefangen hatte zu schneien. Langsam glitten die Flocken vom Himmel in den großen Schulhof herab. Einige Unterrichtsräume, die sie von ihrem aus überblicken konnte, waren ebenfalls beleuchtet: Kollegen, die einen Tafelanschrieb vornahmen, auf die Schüler wartende Lehrer.
Rebecca stand auf und begab sich an die Heizung. Die wohlige Wärme, die entströmte, arbeitete sich ihren Rücken hoch. Ein letztes Mal Ruhe, gleich war es vorbei damit, denn auf dem Gang hörte sie die ersten Stimmen und Schuhgetrappel. Die Stimmen kamen näher. Anspannung. Mit einem Ruck flog die Tür auf. Marcus, ein ruhiger Schüler, betrat als Erster den Raum. Ein Nicken in Richtung Heizung. Nach ihm erschienen drei weitere Jungen, die Rebecca mit einem teilnahmslosen »Morgen, Frau Peters!« begrüßten und sich dann zu ihren Plätzen begaben, um ihre Unterrichtsmaterialien auszupacken.
Zwei pubertierende Mädchen, lachend und aufreizend gestylt, johlten ein freches »Guten Moooorgen!« in den Klassenraum hinein. Natürlich! Damit jeder mitbekam, dass die zwei Diven da waren. Eins der Mädchen, Natalie, gackerte besonders laut, um die Aufmerksamkeit der männlichen Mitschüler auf sich zu ziehen. Mit Erfolg. Nachdem die Dreizehnjährige ihre Jacke an die Garderobe des Klassenraums gehängt hatte, richtete sie ihr knappes rosa Shirt zurecht, das für die Jahreszeit deutlich zu dünn war. Ihr Po wurde durch eine blaue, sehr eng sitzende Röhrenjeans passend zur Geltung gebracht. Ganz schön gewagt für eine Teenagerin ihres Alters. Rebecca sinnierte darüber nach, ob sie als Mutter ihre Tochter so aus dem Haus gehen lassen würde.
Natalies lange, hellbraune Haare fielen ihr in Locken geschmeidig über die Schultern. Wie beabsichtigt richteten sich die Blicke der pubertierenden Jungen auf das Mädchen.
Mit dem Auffüllen des Klassenraums maximierte sich die Lautstärke. Noch drei Minuten bis zum Stundenbeginn. Rebecca trottete am Lehrertisch auf und ab. Ein letztes Mal sortierte sie ihre Unterlagen, überprüfte, ob genug Kreide bereitlag, legte ihr Lehrbuch griffbereit hin, schaute auf die Armbanduhr, glich sie mit der Wanduhr ab. Dann ertönte das Klingelzeichen. Ein kräftiges Ziehen an der Tür signalisierte: Jetzt kann es losgehen! Doch die Schüler verharrten an ihren Plätzen und tauschten sich über die Ferien aus.
»Es hat geklingelt!«, brüllte Rebecca. Den Erwartungen gemäß reagierte bloß ein Teil der Jugendlichen auf ihre Worte. »Es hat geklingelt, Herrschaften!« Ihre lauter gewordene Stimme zwang einige unaufmerksame Schüler dazu, sich von ihren Plätzen zu erheben.
»Wir haben viel Zeit. Wir können auch länger machen.« Sie könnte sich sofort ohrfeigen für diese zwei unbedacht ausgesprochenen Sätze, die die Unruhe beheben sollten. Die Siebtklässler belächelten müde den Versuch. Sie wussten, dass die Androhung selten durchgezogen wurde.
Rebecca musste erkennen, dass die Ferienidylle schon nach den ersten Minuten dem harten Schulalltag gewichen war.
Nach anstrengenden fünf Minuten erfolgte endlich die Begrüßung, auch wenn sich einzelne Schüler weiterhin umdrehten oder miteinander sprachen. »Guten Morgen!«, ertönte ihre strenge Lehrerstimme. Unmotiviert murmelte die Klasse ihre Begrüßung entgegen.
Eine Abbildung zum Thema Zeichensetzung sollte die Aufmerksamkeit der Pubertierenden auf den neuen Unterrichtsinhalt lenken. »Svenja, beschreibe bitte die Karikatur!«, forderte Rebecca am Overheadprojektor stehend die Schülerin auf, die so kurz nach Stundenbeginn wieder mit Natalie im Gespräch versunken war. Vermutlich bequatschten die beiden, wie lange Natalie in den Ferien Netflix geschaut oder mit wem Svenja wilde Nachrichten auf WhatsApp ausgetauscht hatte.
»Was?«, fragte die Jugendliche geistesabwesend. Einige Mitschüler stöhnten und erklärten ihr die Aufgabe. »Na ja, ich sehe einen Jungen, der nicht weiß, ob er ein Komma setzen soll.«
Rebecca stieß einen schweren Seufzer aus. »Karikaturen habt ihr doch im Geschichtsunterricht …« Lautstärke brandete auf. Heikles Thema. Sie selbst hatte schon Probleme genug, Disziplin in diese Schulklasse zu bringen. Der Geschichtslehrer war noch übler dran.
Einige Schüler lachten oder winkten ab. »Bei Herrn Gläser lernen wir nichts, Frau Peters«, rief Basti aus der hinteren Bankreihe nach vorn. »Der kann nicht erklären«, ergänzte ein weiterer Schüler ganz vorn.
Weitere Siebtklässler schalteten sich in die Diskussion ein. Plötzlich ging es nicht mehr um die Karikatur, sondern nur noch um den Lehrer, der von den Schülern heruntergeputzt wurde. Die Situation drohte Rebecca zu entgleiten. Wie so oft.
»Okay! Okay! Ruhe jetzt! Ist ja gut!«, rief sie verzweifelt in die grölende Menge hinein.
Als es leiser wurde, erklärte sie die Methode und nahm eine stille Schülerin dran, die das Bild souverän beschrieb. Drei Minuten sollte die Einstiegsphase dauern – verstrichen waren zehn.
Selbst danach drang Rebecca nicht zu den Jugendlichen durch, die ihren Unmut lautstark kundtaten: »Wozu müssen wir das denn schon wieder behandeln?«
Einfach unbeirrt weitermachen und die Diskussionen unterbinden, so wie es im Referendariat gelehrt wurde. Aber das war leichter gesagt als getan.
Kurzerhand ignorierte Rebecca die Störer, ermahnte zur Ruhe und zog das Tempo an. »Leute, ihr macht die meisten Fehler im Bereich der Kommasetzung. Ihr braucht dringend eine Wiederholung! Außerdem müsst ihr Kommas setzen können, wenn ihr Bewerbungen schreibt oder Briefe. Versteht doch, dass …«
Bis auf wenige Ausnahmen hörte ihr niemand der dreiundzwanzig Schüler zu. Einige Jugendliche schauten gelangweilt an die Tafel und bekamen zumindest einen Teil der Übungen und Erklärungen mit. Andere redeten mit dem Banknachbarn oder malten auf ihren Unterlagen herum.
Endlich – das Klingelzeichen nach einer Dreiviertelstunde Schwerstarbeit. Die Schüler verließen quasselnd den Raum, während Rebecca wie erschossen in ihren Stuhl zurücksank und angesichts der anstehenden zwei Freistunden aufatmete. Ruhe.
Ein kurzer Griff zu den Schulmaterialien, die einsortiert werden mussten. Dann machte sie sich auf den Weg Richtung