Auf der Suche nach Wärme. Ella Mackener

Auf der Suche nach Wärme - Ella Mackener


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kann ich Jan nichts abgewinnen, aber die Frauen lieben ihn. Und das trägt er auch gerne zur Schau. Offensichtlich tut er gerade nichts anderes. Ich erwische mich, wie ich die Augen verdrehe.

      "Nö, ich will nur eine ficken, aber die ist mit meinem Kumpel verlobt", raunzt Volker. Ich versuche mir das Lachen zu verkneifen. Die anderen kreischen vor Lachen, aber Volker heult auf. Sicher hat er von Tom einen Rümpfer gekriegt.

      Als es wieder still wird, lässt Jan nicht locker: „Sie hat mich geritten als gäbe es keinen Morgen... arrrgh ...". Er gibt einen Laut von sich, der mich zum Würgen bringt. Wieder Gejohle der Jungs. Statt weiteren Details des Sex mit dieser Ach-so-schönen-Göttin zu lauschen, entschließe ich mich, die Treppe langsam hoch zu schleichen. Während Jan weiter singsangt:" Diese Hüften, diese karamell-farbene Haut...", schlüpfe ich aus meinen Schuhen und nehme die ersten Stufen.

      "...dieses herzförmige Muttermal in ihrer rechten Leiste..."

      Ich schnappe nach Luft. Ich erstarre. Selbst wenn mein Körper wöllte, ich könnte keinen weiteren Schritt machen. Mein Herz rast, mein Magen krampft.

      Das war Tom!

      Ich habe am ganzen Körper Gänsehaut.

      Woher kennt er eine so intime Stelle einer anderen Frau?

      Oben herrscht auf einmal Totenstille. Ich kann vor meinem inneren Auge sehen, wie sich Tom und Jan in Grund und Boden starren. Zwischen den Freunden hat auch immer eine Rivalität geherrscht.

      "Du verarscht uns!", bricht Kevin das Schweigen.

      "Oder?", hakt er gleich nach.

      Ich habe mich noch immer nicht gerührt, bin wie zu Eis erstarrt.

      Es folgt gedämpftes Gemurmel, dann Ausrufe des Erstaunens, Jubel.

      Er muss den Jungs zu verstehen gegeben haben, dass das sein voller Ernst war.

      Mein Körper ist schweißnass, mir ist kalt und warm zugleich. Die Tüten schneiden in meine Hände. Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie noch immer fest umklammert hielt. In meinem Hals ein fetter Kloß. Ich möchte weinen, ich möchte aufschreien. Ich merke, wie ich zu zittern beginne. Vor Wut? Vor Angst? Angst, ihn zu verlieren? Angst, dass er mich wirklich betrogen hat? Angst, dass er mit so etwas zu protzen versucht? Angst, hier - auf halber Treppe beim Lauschen - erwischt zu werden?

      Meine Gedanken rasen, aber mein Körper ist stocksteif.

      "Es ist schon ewig her. Es hat mir ... uns auch wirklich nichts bedeutet. Es war nur Sex", stammelte Tom entschuldigend.

      "Ich fasse es nicht"

      "Das kann doch nicht wahr sein"

      "Wann?"

      Sie rufen durcheinander mit einer Mischung aus Empörtheit und Neid. Nur Jan schweigt.

      Ich will die Runde stürmen. Ich will ihn zur Rede stellen. Ich will ihn anschreien. Ich will überhaupt schreien. Aber meine Kehle ist zugeschnürt. Mein Kopf sinkt auf meine Brust. Ich traue mich nicht mich zu rühren. Leise beginne ich zu schluchzen. Ich will keine Szene. Wie sollte das Wochenende dann weitergehen? Ich will nicht vor den anderen weinen. Sie sehen mich doch immer mit so viel Bewunderung an. Ich kann das heute nicht mit ihm ausfechten und das neue Wissen raubt mir ohnehin alle Kraft.

      Mein Herz fühlt sich an, als ob es in Flammen aufgeht. Ich spüre wahrhaftig physische Schmerzen. Als ob mein Herz explodiert und Glassplitter im ganzen Körper verteilt. Meine Arme beginnen zu kribbeln. Sie sind auf einmal bleischwer. Über meinen ganzen Körper hat sich ein schwerer Mantel gelegt, der mich zu Boden ziehen will. Um meine Brust hat sich ein Gürtel gelegt, der sich immer enger zuschnürt; der mir die Luft raubt. Wie ein begossener Pudel stehe ich da auf der Hälfte der Treppe. Die Schultern tief, der Kopf auf der Brust, leises Schluchzen, das meinen Körper zum Beben bringt. Die Einkaufstüten in der Hand. Und oben ermutigende Jubelrufe.

      "Maria war damals noch in der Klinik. Sie war seit Tagen nicht ansprechbar. Ich machte mir fürchterliche Sorgen, fühlte mich allein. Wir hatten so lange auf positive Nachrichten gehofft und wurden immer wieder vertröstet. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Ihr wisst, wie sehr ich Maria liebe..."

      Ich weiß nicht, wann ich zu weinen begonnen hatte, aber heiße Tränen rinnen unaufhörlich meine Wangen hinunter, tropfen von meinem Kinn.

      "...und... ich wollte mich einfach mal wieder fallen lassen; in den Arm genommen werden. Scheiße man, echt, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie leid mir das tut, man... Und Anna ging´s genauso!"

      Anna!!!! Natürlich! Anna hatte ein Muttermal in der rechten Leiste!

      Ich schnappe laut nach Luft. Oben verstummt auf einmal alles. Ich bekomme keine Luft, mein Kopf platzt, meine Sicht hinter einem Tränenschleier verschwommen.

      In weiter Ferne höre ich, wie die Jungs ihn mit Fragen zu löchern beginnen. Sie haben mich nicht gehört.

      Ich möchte noch mehr wissen und auch nicht. Ich kann nicht. Mehr kann ich für den Moment nicht ertragen. Meine Knie geben nach. Hastig, aber bemüht leise, hangle ich mich zurück nach unten. Die Einkaufstüten noch immer in den Händen.

      Kapitel 4

      Ich ziehe die Tür leise hinter mir ran und sinke zu Boden. Mit meiner Hüfte und meinem Hinterkopf noch immer an der Tür lasse ich mich einfach fallen. Ich ziehe die Knie an mein Gesicht, um mein Schluchzen zu dämpfen. Ich lasse den Tränen freien Lauf. Ich merke, wie mein Gesicht heißläuft. Immer wieder stoße ich mit meinem Hinterkopf an die Tür. Immer wieder, aber leise genug, um niemanden aufzuscheuchen. Voller Ungläubigkeit. Wie konnte er mir das antun? Wie konnte sie mir das antun? Die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben. Wie konnten sie mich so hintergehen?

      Ich denke an all die Momente, die wir in inniger Zweisamkeit verbrachten; die so ehrlich erschienen. War irgendetwas von alledem wahr? Eben sah ich uns noch als Traumpaar. Auf einmal stelle ich alles infrage.

      Mir gehen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ich nicht in der Lage bin, einen klaren Gedanken zu fassen.

      Anna! Anna war die Person, an die ich mich immer wenden konnte; mit jeglichen Sorgen. Uns verband etwas Besonderes. Wir sind viel mehr als Halbschwestern. Wie konnte sie nur? Wie konnten sie mir das nur antun?

      Zu wem sollte ich jetzt? Zwar hatte ich meinen Heimatort zu hassen begonnen, aber in Hamburg pflegte ich nur oberflächliche Freundschaften. Da war niemand, dem ich mich anvertrauen konnte. Niemand, vor dem ich mich zu weinen getrauen würde. Ich bin völlig auf mich allein gestellt. Die Trauer, die Einsamkeit und die Erkenntnis, mich an niemanden wenden zu können, übermannen mich.

      Mein Schluchzen wird zu einem Klageruf. Ich verliere jegliche Kontrolle über mich.

      Ich muss hier weg!

      Überhastet rapple ich mich hoch, stolpere, fange mich in letzter Minute und renne los.

      Kapitel 5

      Man kann nur das Rascheln der Blätter in den Bäumen und das Plätschern der Alster hören, wenn kleine Wellen auf das Ufer treffen. Der Mond spiegelt sich im Wasser wider. Er verwandelt die Alster in ein Glitzermeer. Lauter kleine Lichtspitzen, die auf mich zurollen. Ich bin von völliger Dunkelheit umgeben. Normalerweise würde mir diese Situation einen kalten Schauer über den Rücken laufen lassen. Jetzt empfinde ich das Hier und Jetzt als friedlich. Aber im Gegensatz zu dem, was in mir vorgeht, wäre wohl jede Umgebung friedlich.

      Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze. Ich weiß nicht, wohin ich soll.

      Mein Schluchzen ist verebbt; die Tränen getrocknet. Mich erfüllt eine unerträgliche Leere. Sie füllt meinen ganzen Körper, erstreckt sich bis zu meinen Fingerspitzen. Ich bin wie betäubt, fühle gar nichts mehr.

      Nicht die Mücken, die mich langsam aussagen;


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