Die Brüder Karamasow. Fjodor Dostojewski

Die Brüder Karamasow - Fjodor Dostojewski


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es wohl wirklich verstehen, wenn du so herausplatzt, daß du es verstehst«, erwiderte Rakitin schadenfroh. »Es ist dir ganz unwillkürlich herausgefahren. Um so wertvoller ist das Geständnis, daß dir dieses Thema bereits bekannt ist und daß du schon über die Sinnlichkeit nachgedacht hast. O du reiner Jüngling! Du bist so ein stiller Patron, Aljoschka, so ein Heiliger, das gebe ich zu. Aber du hast schon, weiß der Teufel worüber nachgedacht und weiß der Teufel, was dir alles schon bekannt ist. Ein reiner Jüngling, und doch schon in solche Tiefen vorgedrungen – ich beobachte dich schon lange! Du bist ein Karamasow, ein echter Karamasow, die Abstammung hat doch etwas zu bedeuten. Vom Vater hast du die Sinnlichkeit, von der Mutter die religiöse Verrücktheit. Warum zitterst du? Habe ich die Wahrheit getroffen? Weißt du, Gruschenka hat mich gebeten: ›Bring ihn zu mir, ich werde ihm schon die Kutte ausziehen.‹ Und wie dringend hat sie gebeten. ›Bring ihn her, auf alle Fälle bring ihn her!‹ Ich frage mich, wodurch magst du ihr eigentlich so interessant sein? Weißt du, sie ist nämlich auch eine ungewöhnliche Frau!«

      »Bestell ihr meine Empfehlung und sage ihr, ich komme nicht«, sagte Aljoscha mit schiefem Lächeln. »Sprich bitte zu Ende, Michail, was du vorhin angefangen hast, ich sage dir dann auch meine Gedanken.«

      »Was ist da zu Ende zu sprechen, es ist ja alles sonnenklar. Die alte Geschichte, Bruder. Wenn schon in dir ein Lüstling steckt, was soll man dann von deinem Bruder Iwan sagen, den dieselbe Mutter geboren hat? Auch er ist ein Karamasow. Da liegt Euer ganzes Karamasow-Problem! Sinnlichkeit, Habgier und religiöse Verrücktheit! Dein Bruder Iwan druckt einstweiIen aus Spaß mit irgendeinem törichten, unverständlichen Hintergedanken theologische Aufsätze, obwohl er Atheist ist, und er gesteht diese Gemeinheit selber ein – dein Bruder Iwan! Nebenbei versucht er seinem Bruder Mitja die Braut abspenstig zu machen, und er scheint das auch zu erreichen. Und noch etwas: Er tut es mit Mitenkas Zustimmung! Mitenka selbst tritt ihm die Braut ab, um möglichst bald von ihr loszukommen und zu Gruschenka zu gehen. Und das trotz seiner selbstlosen, edlen Gesinnung, wohlgemerkt! Da sieht man es, gerade solche Leute sind die schlimmsten! Mag der Teufel klug werden aus solchem Benehmen! Er erkennt die Gemeinheit seines Benehmens, und trotzdem benimmt er sich so, nun erst recht! Höre weiter! Diesem Mitenka kommt jetzt der Alte in die Quere, der Vater, der plötzlich vor Begierde nach Gruschenka den Verstand verloren hat. Der Speichel läuft ihm aus dem Mund, sobald er sie ansieht. Nur ihretwegen hat er eben in der Zelle einen solchen Skandal gemacht, weil Miussow sie liederlich zu nennen wagte. Er ist schlimmer verliebt als ein Kater. Früher half sie ihm gegen Bezahlung bei allerlei lichtscheuen Geschäftchen, die seine Schenken betrafen. Jetzt ist ihm plötzlich eingefallen, sie näher anzusehen – schon ist er wie toll nach ihr und bedrängt sie mit Anträgen, selbstverständlich mit unanständigen. Auf diesem Weg werden sie wohl zusammenstoßen, der Papa und sein Sohn. Und Gruschenka schenkt ihre Gunst weder diesem noch jenem; vorläufig hält sie beide zum Narren: Sie überlegt, welcher besser ist. Aus dem Papa läßt sich zwar viel Geld herauspressen, dafür heiratet er sie nicht und macht vielleicht zu guter Letzt vor lauter Geiz sein Portemonnaie zu. In so einem Fall hat auch Mitenka seinen Wert: Geld hat er zwar nicht, aber er ist imstande, sie zu heiraten. Er ist imstande, seine reiche, adlige Braut Katerina Iwanowna, eine unvergleichliche Schönheit, eine Oberstentochter, aufzugeben und Gruschenka zu heiraten, die frühere Mätresse des liederlichen, ungebildeten alten Krämers Samsonow. Alles das kann zu einem Zusammenstoß führen, ja, zu einem Verbrechen. Und darauf wartet dein Bruder Iwan, denn erst dann hat er gewonnenes Spiel: Er bekommt Katerina Iwanowna, nach der er sich verzehrt, und er schluckt ihre sechzigtausend Rubel Mitgift – für einen armen Teufel wie ihn ein verlockender Anfang. Hinzu kommt, daß er Mitja nicht einmal kränkt, er verpflichtet ihn sich sogar zu lebenslänglichem Dank! Weiß ich doch zuverlässig, daß Mitenka erst vorige Woche, als er mit Zigeunerinnen betrunken in einem Wirtshaus saß, laut hinausgeschrien hat, er sei seiner Braut Katenka nicht würdig, sein Bruder Iwan dagegen, der sei ihrer würdig. Und Katerina Iwanowna wird selbstverständlich einen so entzückenden Menschen wie Iwan Fjodorowitsch nicht abweisen, sie schwankt jetzt schon zwischen beiden ... Wodurch euch dieser Iwan nur so bezaubert, daß ihr in Ehrfurcht vor ihm vergeht! Er selber lacht euch einfach aus! Er sagt sich: Ich sitze in den Himbeeren und schmause nach Herzenslust auf eure Kosten.«

      »Woher weißt du das alles? Wie kannst du das mit solcher Bestimmtheit sagen?« fragte Aljoscha plötzlich in scharfem Ton und mit finsterer Miene.

      »Warum fragst du jetzt danach? Warum hast du im voraus Angst vor meiner Antwort? Du gibst also zu, daß ich die Wahrheit gesagt habe.«

      »Du kannst Iwan nicht leiden, Iwan läßt sich nicht durch Geld verführen.«

      »Wirklich? Und Katerina Iwanownas Schönheit? Es geht nicht allein um Geld, obwohl auch sechzigtausend Rubel eine verführerische Sache sind.«

      »Iwan richtet seinen Blick auf Höheres. Er läßt sich auch durch Tausende nicht verführen. Er sucht nicht Geld und sucht nicht Ruhe. Vielleicht sucht er Qualen.«

      »Was ist das nun wieder für eine Träumerei? Ach, ihr ... Ihr Adligen!«

      »Ach, Mischa, seine Seele hat etwas Stürmisches. Sein Geist liegt gefangen. In ihm lebt eine große, noch nicht ausgereifte Idee. Er ist einer von denen, die nicht nach Millionen gieren, sondern danach, eine Idee zur Reife zu bringen.«

      »Das ist literarischer Diebstahl, Aljoschka. Mit diesen Phrasen hast du deinen Starez noch übertroffen. Dieser Iwan hat euch ja ein Rätsel aufgegeben!« rief Rakitin mit unverhohlener Bosheit. Selbst sein Gesicht hatte sich verändert, die Lippen waren schief gezogen. »Dabei ist das Rätsel dumm, es ist gar nichts dabei zu raten. Nimm dein Gehirn ein bißchen zusammen, dann hast du es sofort heraus. Sein Aufsatz ist lächerlich und dumm. Hast du vorhin seine törichte Theorie gehört: Wenn es keine Unsterblichkeit der Seele gibt, so gibt es auch keine Tugend, also ist alles erlaube? Und erinnerst du dich, wie dein Bruder Mitenka dabei ausrief: ›Das werde ich mir merken!‹? Eine verführerische Theorie für Schurken! Aber ich schimpfe, und das ist dumm. Sagen wir lieber nicht Schurken, sondern für knabenhafte Renommierer mit ›unergründlich tiefen Ideen‹. Ein Prahlhans ist er, und der ganze Kern seiner Theorie ist der: Einerseits muß man zugestehen, andererseits muß man bekennen! Seine ganze Theorie ist eine Gemeinheit! Die Menschheit wird in sich selbst die Kraft finden, für die Tugend zu leben, auch ohne den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele! In der Liebe zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wird sie diese Kraft finden ...«

      Rakitin hatte sich in Feuer geredet und konnte sich kaum noch beherrschen. Aber auf einmal schwieg er, als sei ihm etwas eingefallen.

      »Na, genug nun!« sagte er mit einem noch schieferen Lächeln als vorher. »Warum lachst du? Meinst du, daß ich ein Schwätzer bin?«

      »Nein, es ist mir nicht in den Sinn gekommen, das zu denken. Du bist klug; aber ... Laß gut sein, ich habe nur so aus Dummheit gelächelt. Ich weiß, warum du hitzig wirst, Mischa. An deinem Eifer merke ich, daß Katerina Iwanowna dir selber nicht ganz gleichgültig ist, Bruder. Ich habe das schon seit langem vermutet, und deshalb kannst du Iwan nicht leiden. Du bist wohl eifersüchtig auf ihn?«

      »Und dann habe ich es wohl auch auf das Geld abgesehen? Das fügst du noch hinzu, wie?«

      »Nein, von dem Geld sage ich nichts. Ich will dich nicht beleidigen.«

      »Ich glaube es dir, weil du es sagst. Aber der Teufel mag wissen, warum ihr alle solch einen Narren an diesem Iwan gefressen habt! Keiner von euch begreift, daß man ihn auch ohne seine Beziehungen zu Katerina Iwanowna nicht lieben kann. Und wofür soll ich ihn auch lieben, hol ihn der Teufel! Er hält es ja für richtig, selbst auf mich zu schimpfen. Warum soll ich nicht berechtigt sein, auch auf ihn zu schimpfen?«

      »Ich habe nie gehört, daß er irgend etwas Über dich gesagt hätte, weder Gutes noch Schlechtes; er spricht überhaupt nicht von dir.«

      »Ich aber habe gehört, daß er mich vorgestern bei Katerina Iwanowna aus Leibeskräften schlechtgemacht hat. Da sieht man, wie sehr er sich doch für meine Wenigkeit interessiert. Und ich weiß nicht, wer von uns beiden auf den anderen eifersüchtig ist. Er beliebte den Gedanken auszusprechen, wenn ich mich nicht in sehr naher Zukunft entschließe, die Laufbahn eines hohen Klostergeistlichen einzuschlagen und Mönch zu werden, so würde


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