Die drei Lichter der kleinen Veronika. Manfred Kyber

Die drei Lichter der kleinen Veronika - Manfred Kyber


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man muß Umwege machen, bis man zur silbernen Brücke kommt«, sagte der Luftgeist, »auch du wirst noch manchen Umweg machen müssen, kleine Veronika. Aber für den Igel ist es überhaupt noch zu früh, er hat noch hier zu tun. Auch ist er noch zu empfindlich und leicht beleidigt.«

      »Wenn die silberne Brücke jenseits der Quelle liegt, dann ist sie ja da, wo Onkel Johannes wohnt?« fragte Veronika. »Am Ende hat sie Onkel Johannes selber gebaut? Dann hätte er mir freilich auch etwas davon sagen können.«

      »Onkel Johannes hat wohl schon manche Brücke gebaut, die zu der silbernen Brücke führen sollte, aber die silberne Brücke selber kann er nicht bauen. Ich glaube eher, er hat sich seine Wohnung dort eingerichtet, weil er die silberne Brücke daneben entdeckt hat«, sagte der Luftgeist. »Schau, Veronika, da ist sie!«

      Auf silbernen Pfeilern erhob sich die silberne Brücke aus dem Garten der Geister. Sie stieg in weitem Bogen in die klare Luft hinauf und verlor sich schimmernd im Sonnenlicht, in einem Glanz, den die Augen nicht mehr ertragen konnten. So etwas Schönes glaubte Veronika noch nie gesehen zu haben, und doch war es ihr, als wäre sie hier zu Hause und wäre schon oft über die silberne Brücke gegangen. Aber wann war das gewesen – wann? Sie konnte sich nicht mehr darauf besinnen. Da, wo die Brücke begann, waren die Erde und die Steine klar wie aus Glas, und es blühten um sie durchlichtete Lilien und Rosen und tausend andere Blumen, die Veronika nicht alle kannte. Lautlos und ohne Schwere schwebten Gestalten von Menschen und Tieren über die Brücke, und auch sie waren durchdrungen von jenem Licht, das Blumen und Steine erhellte. Auf der Mitte der Brücke aber, gerade dort, wo sie sich im Glanz verlor, standen lauter weißgekleidete Engel mit silbernen Schwingen. Veronika war ganz still geworden und fühlte nichts als das Licht in sich, und ihr war es, als müsse sie vor allen anderen einen Engel besonders anschauen, vielleicht, weil er auch die Augen gerade auf sie gerichtet hatte.

       »Sieh dir die silberne Brücke an, kleine Veronika, du kamst von ihr und du gehst wieder zu ihr«, sagte der weißgekleidete Engel, »aber erst kommt die Dämmerung.«

      Da schien es der kleinen Veronika, als ob eine große Angst vor der Dämmerung sie ergriffe, obwohl sie nicht so recht wußte, was das eigentlich war.

      »Hab keine Furcht, kleine Veronika«, sagte der Engel, »die Dämmerung kommt, und der Glanz der silbernen Brücke wird erlöschen, und auch den Garten der Geister wirst du nicht mehr so sehen, wie du ihn heute sahst, zum letzten Mal. Es wird sehr dunkel, wenn die Dämmerung kommt. Aber ich werde mit dir gehen, und ich werde dir deine drei Lichter anzünden, kleine Veronika, und werde über dir wachen.«

      Ein großer, grauer Schleier fiel über die silberne Brücke und über alles, was auf ihr war, so daß Veronika nichts mehr davon sehen konnte. Es war eine tiefe Stille und Traurigkeit um sie. Nur von fern redete es mit leisen Stimmen.

      »Siehe, wie weiß unsere Blüten sind«, sagten die Liliengeister, »so rein und so weiß ist das himmlische Hemd, das du einmal wieder tragen wirst.«

      »Schau, wie rot unsere Kelche sind«, sagten die Rosenseelen, »so rein und so rot ist der Kelch des Grales, nach dem du einmal wieder die Arme ausstrecken wirst.«

      Der graue Schleier wurde dunkler und lag nun auch über dem Garten der Geister, so daß Veronika nicht mehr so deutlich sehen konnte wie vorher.

      Der Luftgeist streckte ihr die Hand hin.

      »Lebe wohl, Veronika«, sagte er.

      »Gehst du auch fort von mir?« fragte Veronika, »gehe nicht fort, ich fürchte mich, allein zu bleiben.«

      »Du wirst nicht allein bleiben«, sagte der Luftgeist, und es war, als ob seine leuchtenden Farben verblaßten, »dein Engel wird über dir wachen, und dann hast du doch Mutzeputz und die anderen, die du um Rat fragen kannst.«

      »Ich hätte noch gerne jemand wie dich oder die Elfe im Baum«, sagte Veronika.

      »Auch das wirst du haben, wenn du ins Haus der Schatten gehen wirst«, sagte der Luftgeist und lächelte freundlich, »im Hause der Schatten lebt ein kleines Geschöpf, das nahe mit uns verwandt ist. Es heißt Magister Mützchen, und es wird dich betreuen, so gutes das kann nach seinen Kräften.«

      »Magister Mützchen?« wiederholte Veronika, »was ist das für ein komischer Name!«

      »Möchtest du dir nicht vielleicht noch einmal mein Landhaus betrachten?« fragte eine kleine, schwache Käferstimme, sehr, sehr ferne und kaum noch vernehmbar.

      Dann wurde es dunkel im Garten der Geister. Die himmlischen Augen hatten sich geschlossen.

      »Veronika!« rief es. Das war die Stimme der Mutter.

      »Ja, Mama, ich komme!«

      Und mit einem Ruck, der ein wenig schmerzhaft war, glitt die kleine Veronika in ihren Erdenleib zurück.

      Die Mutter stand vor ihr und sah sie an.

      »Hast du geschlafen, Veronika?« fragte sie freundlich.

      »Nein, Mama, ich habe nicht geschlafen, ich war sehr wach, und ich war bei einem Käfer und bei der Baumelfe, und nachher hat mir der Luftgeist die silberne Brücke gezeigt.«

      »Du hast geträumt, Veronika.«

      »O nein, das war alles sehr wirklich«, sagte Veronika, und es kränkte sie, daß die Erwachsenen immer wieder nicht begreifen konnten, was doch viel wirklicher war als alles auf der Erde.

      Aber als sie sich selbst genauer auf alles besinnen wollte, konnte sie es nicht mehr. Nur eine Ahnung war da, doch man konnte sie nicht mehr deutlich machen.

      Die große Dämmerung hatte begonnen.

      »Komm, Veronika«, sagte die Mutter, »nimm deine Schaufel und deinen Blecheimer, du kannst dein schönes Gartenbeet morgen weitergraben. Jetzt wollen wir nach Hause gehen. Wo ist denn Mutzeputz?«

      Als Mutzeputz seinen Namen hörte, sprang er in großen Sätzen an Veronika und ihrer Mutter vorbei, lief ihnen voraus und hüpfte über die Treppenstufen auf die Veranda, um dort zu warten. Er wollte es Veronikas Mutter durchaus nicht zugestehen, daß er gekommen war, bloß weil sie ihn rief. Man muß schon selbständig bleiben, wenn man der Kater Mutzeputz ist, nicht wahr?

      »Wie dunkel ist der Garten geworden, und er war doch so hell«, dachte Veronika, »ich sehe gar nichts mehr ordentlich.«

      Es war aber doch nicht ganz so schlimm, und die kleine Veronika konnte noch manches sehen. Unten an den Treppenstufen stand ein sehr kleines Geschöpf mit dünnen Beinen, in einem grauen Kleide und mit einem spitzen, roten Hut auf dem Kopf. Es war nicht größer als zwei Handlängen und dabei sehr beweglich und überaus komisch. Wie sonderbar, daß die Mutter es nicht bemerkte! Sie sagte jedenfalls nichts.

      Veronika lachte, und mit einem Male kam ihr auch die Erinnerung an das, was ihr der Luftgeist zum Abschied gesagt hatte.

      »Bist du Magister Mützchen?« fragte sie.

      »Zu dienen, Mützchen – Magister Mützchen, zu dienen«, sagte das kleine Geschöpf und verneigte sich unaufhörlich.

      Dabei nahm es den roten Hut vom Kopf und hielt ihn sich vor den Magen. Dazwischen schnitt es Fratzen, die wirklich sehenswert waren. Es kam auch die Treppe mit hinauf.

       »Falle nicht, kleine Veronika«, sagte es und nahm Veronika bei der Hand.

      Veronika empfand eine große Ruhe dabei. Es war ihr, als habe sie einen guten Kameraden gefunden.

      »Fällt man denn hier so leicht?« fragte sie, und diesmal redete sie laut und nicht nur in Gedanken.

      »Über diese Stufen sind schon viele gefallen, kleine Veronika«, sagte Magister Mützchen, »ach, so viele! Es ist ja das Haus der Schatten, in das du gehst, und es hat viele Stufen und viele Schwellen.«

      »Mit wem redest du denn, Veronika?« fragte die Mutter.

      »Ach, bloß so«, sagte Veronika.

      Dann gingen sie alle in das Haus der Schatten hinein.

      In dieser


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