Reichsgräfin Gisela. Eugenie Marlitt

Reichsgräfin Gisela - Eugenie Marlitt


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– Sie hätten auch daran denken können... Und was für schauderhafte Lichte bringen Sie jetzt immer ins Haus – das ist ja ein Geruch und ein Qualm –, nicht in unserer Domestikenstube hätte ich früher dergleichen gelitten!«

      Der alte Diener ließ diese Vorwürfe ohne Widerrede über sich ergehen. Wachs- und Stearinlichte konnte die gnädige Frau nicht bezahlen, noch weniger aber das Öl, das die prachtvolle, aus dem Ruin gerettete Astrallampe verbrauchte. Er öffnete schweigend einen Schrank, nahm eine verblichene, rotseidene Steppdecke heraus und hängte sie vor das der Kranken am nächsten liegende Fenster.

      Frau von Zweiflingen ergriff eines ihrer langen Haubenbänder und rollte es mechanisch zwischen den dünnen, wachsgelben Fingern auf und ab – es lag etwas nervös Aufgeregtes in dieser Bewegung.

      »Sie haben einen abscheulichen Rauchgeruch in Ihren Kleidern mit hereingebracht, Sievert«, hob sie wieder an und richtete ihre erloschenen Augen nach dem Fenster, wo sie Sievert noch hantieren hörte. »Ich habe Sie im Verdacht, daß Sie nasses Holz brennen, wenn ich auch nicht begreife, wie Sie dazu kommen... Sie haben doch ohne Zweifel unser Winterholz im Sommer zur rechten Zeit einfahren lassen – denn Sie sind ja sehr praktisch –, liegt es denn nicht an einem trockenen Ort?«

      Ein beißendes Lächeln glitt um Sieverts Lippen, als er das Wort »einfahren« hörte. Ja, auf diesen seinen Schultern hatte er heuer das Winterholz der gnädigen Frau »eingefahren«, und es mochte freilich mancher noch grüne Ast mit untergelaufen sein, der jetzt im Ofen zischte und die Nase der Dame beleidigte... Sievert hatte die Kasse der Frau von Zweiflingen unter seinen Händen, seit er bei ihr eingetreten war. Früher gelang es ihm, auszukommen und, wenn auch mit großer Mühe, den Anschein eines behaglichen Auskommens der Welt gegenüber aufrecht zu erhalten; aber jetzt kostete die Krankheit viel Geld. Daran dachte die Frau nicht im entferntesten; ebensowenig hatte sie eine Ahnung, daß das Abendbrot, welches sie heute essen sollte, wie auch das verabscheute Talglicht, aus Sieverts Tasche bezahlt seien – denn es war kein Groschen mehr im Hause.

      Der alte Diener versicherte indes seiner Gebieterin, daß das Holz wohlverwahrt im nördlichen Turm liege, und schob alle Schuld auf den Sturm, der den Rauch in die Halle blase. Dabei nahm er gleichmütig eine Serviette, zwei Tassen und eine messingene Teekanne aus dem Schranke und arrangierte einen Teetisch vor dem Sofa.

      In diesem Augenblick schloß das Klavierspiel im Nebenzimmer mit einem rauschenden Akkord. Frau von Zweiflingen seufzte erleichtert auf und preßte ihre Hände einen Moment gegen die Schläfe – für ihr zerrüttetes Nervensystem mußte die geräuschvolle Musik eine wahre Marter gewesen sein.

      Die Tür des Nebenzimmers ging auf. Wenn statt der Gardinen plötzlich bestaubte Spinnweben die tiefen Fensternischen des Turmgemachs überhangen hätten, wenn die elegante Möbeleinrichtung in den Erdboden gesunken und statt des Teetisches eine Kunkel zur Seite der Frauengestalt im Sessel auferstanden wäre, dann hätte Prinzessin Dornröschens Erscheinen bei der mörderischen Frau Stubenpoesie nicht lieblicher verkörpert werden können als in diesem Augenblick. Dicht neben dem greulichen schwarzen Ofenungeheuer, im Rahmen der Türöffnung, erschien ein junges Mädchen. Diese kinderhaften Hände, die jetzt prüfend und ordnend durch die auf die Büste niederfallenden dunkeln Locken glitten, waren eben noch mit ungewöhnlicher Energie über die Tasten hingeflogen. Wie leicht mußte das so schwierige Klavierstück der jungen Spielerin geworden sein – auch nicht die leiseste Röte der Erregung lag auf dem Gesicht, das zwar blaß, aber frühlingsfrisch wie die Blüte des Kirschbaumes war. Es hatte nichts gemein mit jenem hippokratischen Frauenprofil, das so lebensmüde und mumienhaft braun auf dem gelben Seidenpolster lag – wohl aber wiederholten sich seine köstlichen Linien voll griechischer Schönheit immer und immer wieder in der langen Bilderreihe der Halle, und die schwarzen Augen, die da draußen in wilder Jagdlust funkelten oder in ihrem aristokratischen Bewußtsein kalt gleichgültig auf die Welt niedersahen, strahlten auch hier groß und weit geöffnet aus dem weißen Mädchengesicht. Um den Kontrast zwischen Mutter und Tochter noch schreiender zu machen und letztere in allem lediglich als Sproß der Zweiflingen zu kennzeichnen, die fast durchgängig in grünem, mit Goldstickerei bedecktem Samt prunkten, umrauschte die jugendliche Gestalt ein durchwirktes, blaßblaues Seidenkleid, um dessen viereckigen Halsausschnitt sich echte Spitzen in gelblicher Weiße kräuselten.

      »Nun, Sievert«, sagte das junge Mädchen, in das Zimmer tretend, »kann man endlich heißes Wasser bekommen?« Ihre Augen fielen auf den Teetisch. »Wie, nur zwei Tassen?« rief sie. »Haben Sie vergessen, daß wir Besuch erwarten?«

      »Der Besuch kann nicht kommen, weil der Herr Student krank geworden ist«, erwiderte Sievert kurz, während er die Teekanne noch einmal prüfend neben das Licht hielt, ob sie auch fleckenlos blinke.

      Die junge Dame sah plötzlich aus, als seien ihre sämtlichen Lebenshoffnungen vor ihr ins Wasser gefallen – ein Zug der bittersten Enttäuschung flog um ihre Lippen.

      »Oh, wie abscheulich!« klagte sie. »Darf man sich denn auch auf gar nichts mehr freuen?... Krank soll der junge Ehrhardt sein? Was fehlt ihm denn, wenn man fragen darf?« Eine Beimischung von Ironie und Unglauben trübte mißtönend die kinderklare Stimme des jungen Mädchens.

      »Hm – der Student wird sich auf der Reise erkältet haben«, erwiderte Sievert trocken, indem er nach der Tür schritt.

      »Nun meinetwegen denn – aber ich sehe nicht ein, weshalb da nun auch der Hüttenmeister zu Hause bleibt... Fürchtet er sich auch vor dem Schnupfen?« fragte die junge Dame.

      »Sei nicht so kindisch, Jutta!« schalt Frau von Zweiflingen ärgerlich. »Wie kannst du verlangen, daß er den kranken Bruder allein lassen soll, den er seit zwei Jahren nicht gesehen hat, und ihn obendrein zum erstenmal im eigenen Hause beherbergt!«

      »O Mama, das entschuldigst du auch?« rief Jutta und schlug in unwilligem Erstaunen die Hände zusammen. »Würde es dich nicht tief geschmerzt haben, wenn Papa dich um anderer willen hätte vernachlässigen wollen, und –«

      »Schweig, Kind!« gebot Frau von Zweiflingen so rauh und heftig, daß die Tochter erschrocken verstummte. Die Kranke lehnte den Kopf kraftlos an die Stuhllehne und legte die Hand über die achtlosen Augen.

      »Sei nicht böse, Mama«, hob das junge Mädchen nach einer Pause wieder an; »aber in dem Punkte kann ich mich nicht ändern – eine solche Rücksichtslosigkeit von seiten Theobalds macht mich sehr unglücklich! Ich habe nun eben einmal meine hohen Ideale und weiß, daß alle Damen aus dem Hause der Zweiflingen zu allen Zeiten hochgefeiert gewesen sind. Lies nur unsere Hauschronik; da wirst du finden, daß die edlen Herren in den Tod gegangen sind für die Dame ihres Herzens, und was waren ihnen Eltern und Geschwister, wenn es sich um das Wohl und die Freuden der Geliebten handelte! Nun ja, das waren eben auch adlige Gesinnungen!«

      »Du Törin!« zürnte die kranke Frau. »Ist dieser bodenlose Unsinn das ganze Resultat meiner Erziehung?« Sie hielt inne, denn Sievert trat eben wieder in das Zimmer. In der einen Hand trug er ein Glas frisches Wasser und in der andern die mitgebrachte weiße Papiertüte, die er Jutta hinreichte. Sie schlug das Papier auseinander – auch nicht ein Zug des Gesichts veränderte sich beim Anblick der duftenden Liebesboten, die ihre unschuldigen Köpfchen furchtlos in die Winterzeit gewagt hatten, um die an Licht, Duft und Wärme verarmten Menschen erquickend zu trösten. Es ist reizend, wenn ein junges Mädchen die vom Geliebten gesandten Blumen leise und verstohlen an ihre Lippen drückt – diese Braut aber war wohl augenblicklich zu tief gekränkt; sie bog nicht einmal den Kopf nieder, um den süßen Duft einzuatmen; das Papier auf dem Tisch ausbreitend, warf sie das Bukett auseinander und zog nur die Tazetten heraus... Sievert stand noch da und hielt ihr das Glas hin; sie stieß es zurückweisend mit der Hand weg.

      »Ach, dazu sind sie nicht abgeschnitten«, sagte sie verdrießlich. »Ich kann die trübe Lache in den Gläsern nicht ausstehen!« Sie trat an den Spiegel und steckte die Tazetten diademartig in ihre Locken, und zwar so anmutig und ungezwungen, als seien die weißen Blumensterne auf das dunkle Haar geschneit. Die unglückliche Mutter war in diesem Augenblick doppelt bedauernswürdig, daß sie ihr unvergleichlich schönes Kind nicht sehen konnte; vielleicht hätte sie über der Erscheinung den »bodenlosen Unsinn« vergessen, den die in innerer Befriedigung jetzt lächelnden Lippen


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