Der Torschützenkönig ist unter die Dichter gegangen. Valerio Curcio
in der Toskana (bei der wir im Finale unterlagen) bereitete sich meine Mannschaft schon auf die nächste WM in Schweden vor, sie fand in Malmö statt, genau in dem Stadion, in dem der junge Pelé 1958 mit Brasilien Weltmeister geworden war. Das war auch mein Ziel, Weltmeister werden. Ich war nicht nur klassischer Mittelstürmer der Mannschaft, sondern mittlerweile auch eine Art Oliver Bierhoff der Rahmenbedingungen. Hans Meyer, nunmehr Cheftrainer beim 1. FC Nürnberg, konnte ich dazu bewegen, für uns das Nürnberger Trainingsgelände freizumachen; der DFB stellte den offiziellen WM-Mannschaftsbus von 2006 sowie zwei Physiotherapeuten zur Verfügung. Testspiele gegen Österreich, Saudi-Arabien und Finnland verliefen vielversprechend. Wir waren Gast im Aktuellen Sportstudio und begannen, Fußballbücher herauszugeben. Wir hatten wie Monty Python auf einer Wiese begonnen und jetzt waren wir im Aktuellen Sportstudio! Und Hans Meyer erwähnte mich sogar im Kicker, im geliebten Kicker! Er hängt noch heute am Kühlschrank.
Ich traf mich in der Folge mit Philipp Lahm. Wir sollten uns im Auftrag einer Wochenzeitung über das Schreiben von Büchern unterhalten, er hatte gerade ein Buch über sein Leben herausgebracht, ich eines über Fußball. Ich ging mit Thomas Tuchel in die Bar Tausend und trank die ganze Nacht Mineralwasser. Ich traf mich mit Jürgen Klopp, wir tranken Bier und sprachen über Samuel Beckett. Ich saß mit Thomas Hitzlsperger in der Schaubühne, und er wollte danach über moderne Dramatik sprechen, ich über den VFB Stuttgart. Mit Torsten Frings tauschte ich Stirnbänder in Bremen, Ralf Rangnick nahm mich mit zum Champions League-Finale Barcelona gegen Juventus Turin und telefonierte dabei die gesamten 90 Minuten mit dem Berater von David Selke, während ich versuchte, mich auf Lionel Messi zu konzentrieren. Mittlerweile war es wirklich so, dass die Fußballer sich offenbar gerne mit mir unterhielten, da war etwas entstanden – so wie man in diesem Buch erstaunliche Aussagen Fabio Capellos über Pasolini lesen kann.
Besonders schön war ein Treffen mit Horst Eckel, dem Weltmeister von 1954, der mir von jenem Lied erzählte, dass Sepp Herberger unter der »Brause« nach dem Wundersieg gegen Ungarn zu singen angeordnet hatte. Eckel schloss für einen Moment die Augen, dann sang er: »Hoch auf dem gelben Wagen«, und es war, als stünde ich plötzlich mit unter der Brause in Bern.
Wenn es mir doch vergönnt gewesen wäre, Pasolini kennen zu lernen! All das und mehr hätte ich ihm erzählt. Er hätte von seinen partite, seinen Spielen erzählt, ich von den meinen. In allen Einzelheiten hätte ich ihm mein Tor gegen Italien geschildert, und er hätte gesagt, dass er den Übersteiger à la Biavati immer noch beherrsche.
Einleitung
Pier Paolo Pasolini und der Fußball – das klingt nach einem reizvollen Gespann. Auf der einen Seite der Sport, eine besonders florierende Sparte der weltumspannenden Unterhaltungsindustrie: ein Spektakel, das trotz seiner ungebremsten Vermarktung weiterhin die Gemüter bewegt, dank der Geschichten seiner Protagonisten und der besonderen Beziehung zwischen den Fans und ihrer Mannschaft. Auf der anderen Seite ein sich seinerzeit jeder Vereinnahmung entziehender Intellektueller, dem bald fünfzig Jahre nach seinem Tod eine Anerkennung besonders auch kommerzieller Art zuteilwird, wie sie wohl größer nicht sein könnte – ja, es ließe sich mit Bezug auf die jüngeren Generationen gar von einer Wiederentdeckung sprechen. Das soll nun nicht heißen, Pasolini wäre in Vergessenheit geraten und bedürfte jetzt zum Jahrestag seines 100. Geburtstags einer Exhumierung. Ganz im Gegenteil. Nur wird an ihm, schmerzlich, das Paradoxon sichtbar: Einer der in aller Munde ist, ist umso unbekannter. Was bleibt heute von ihm, der sein Leben lang auch von der Justiz verfolgt wurde? Der sich als Kommunist bekannte, eine widerständige Dichtung schuf, aber wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses stante pede aus der Partei ausgeschlossen wurde? Dem scharfen Kritiker der Konsumgesellschaft, dem tiefschürfenden Ermittler, der politische und industrielle Machtgruppierungen und ihre Verbindungen untereinander ins Visier nahm? Der mit seinen immer unbequemeren Wahrheiten, die er mit allen Mitteln der Kunst zum Ausdruck brachte (man denke an seinen Film Salò oder den unvollendeten Roman Petrolio), diese Gesellschaft schütteln, aufrütteln, wecken wollte? Der immer wieder für Skandale sorgte, aber nicht um des Skandals willen, sondern der Erkenntnis und der Wahrheit wegen?
Die Figur Pasolini hat – unter anderem im Rahmen eines öffentlichen Interesses an der städtischen Peripherie – seit geraumer Zeit sämtliche Medien und Kommunikationskanäle erobert: von Filmen und Graffitis über soziale Netzwerke und Ausstellungen bis hin zu Theateraufführungen und themenbezogenen Stadtrundgängen. Sein menschliches und künstlerisches Erbe wird dabei häufig auf stark vereinfachende, oberflächliche und auch verklärende Weise nachgezeichnet, verengt sich der Blick doch auf die Figur des »Dichters der Borgate«1, auf den Intellektuellen, der am Leben in den Vorstädten Anteil nahm und ihnen durch seine Kunst Würde und Wert verlieh. Und diese Vereinfachung macht Pasolini »konsumierbar«, für alle verfügbar: Gerade der stets auf seine Unabhängigkeit bedachte Intellektuelle ist mittlerweile vollends zu einer Art offiziell abgesegneter Heldenfigur, einer Pop-Ikone geworden. Heute erschrickt er niemanden mehr von den Mächtigen dort im Palazzo, den er zeit seines Lebens durchleuchtet und bekämpft hat. Ja, er wird von jedermann nach Belieben gefeiert, Politiker der Linken, der Mitte und sogar der Rechten bedienen sich einzelner Aussprüche, Sätze, schmücken sich mit seiner Figur. Dazu tragen sicher auch die heutigen Möglichkeiten medialer Verbreitung bei: Denn ebenjene Konsumgesellschaft, die Pasolini schon damals aufs Schärfste verurteilte, reproduziert nun sein Abbild in Serie, macht aus ihm im Zuge einer Kampagne post mortem eine Marke, wie es bereits bei Che Guevara als illustrem Vorläufer geschehen ist. Und sein politischer Standpunkt, sein Leben, seine Persönlichkeit, ja sogar seine Werke treten hinter dem übermächtigen Bild zurück.
Um Pasolini gerecht zu werden, müssen wir dieses vereinfachende Narrativ der Popkultur verlassen, uns ihm auf anderen Wegen nähern. Insofern sollte es nicht verwundern, dass sich nun ein Buch just Pasolinis Verbindung zum Fußball annimmt, die in der Betrachtung seines Lebens und Werks bislang eine Nebenrolle gespielt hat. Für Pasolini aber war der Sport die reinste Form der Erkenntnis, seiner selbst und der anderen, und so können wir mit Adriano Sofri sagen: »Es gibt nichts, was Pasolini, sein Wesen, besser erklären könnte als der Fußball.«2
Die beschriebene Gemengelage war also Anstoß und Grundlage für dieses Buch, in dem Pasolini und der Fußball im Mittelpunkt stehen: Es handelt sich selbstredend nicht um eine schlaglichtartige, oberflächliche Momentaufnahme, wie sie etwa ein Foto von ihm auf einem kleinen Fußballplatz aus festgestampfter Erde, er in eleganter Kleidung inmitten von zerlumpten Jugendlichen, oder ein kurzes Zitat zur liturgischen Funktion des Stadionbesuches in der heutigen Gesellschaft bieten. Nein, bei Pasolinis Verbindung zum Fußball geht es um sehr viel mehr: um ein vollkommenes, authentisches, tiefes und zugleich kaleidoskopisches Sich-Versenken, wie man es so selbst beim begeistertsten aller Fußballfans nur selten findet.
Vor diesem Hintergrund also wird der Versuch unternommen, Pasolinis vielseitigen Zugang zum Fußball allumfassend zu rekonstruieren. Die Erzählung folgt einer Art Mosaik aus fünf Kapiteln, den unterschiedlichen, nebeneinander existierenden Linien gewidmet, an denen entlang sich Pasolinis Liebe zum Fußball entwickelt hat: Da ist die nie erkaltete Leidenschaft für den FC Bologna, schon in Jugendtagen Verein seines Herzens; da sind seine eigenen Erfahrungen als Spieler, ob auf kleinen Plätzen der römischen Peripherie oder in großen Stadien in ganz Italien; die Spuren, die der Fußball in vielen seiner Werke hinterlassen hat, in den Erzählungen wie in den Romanen; seine zwar sporadische, aber intensive Arbeit als Sportjournalist, etwa anlässlich eines römischen Derbys oder bei der Olympiade im Jahr 1960; und zu guter Letzt seine so gewichtigen wie originellen Beiträge zur Rolle des Fußballs in der zeitgenössischen Gesellschaft. Möglicherweise lässt sich der originellste Wesenszug dieser Beziehung zwischen Pasolini und dem Fußball besonders gut anhand seiner persönlich gefärbten, sozialanthropologischen Deutung aufzeigen: jener »Linguistik des Fußballs«, die im Ballsport ein Zeichensystem sieht, auf dessen Grundlage der »heilige Ritus« im Stadion Gestalt annimmt, ein Ritus, der in gleichzeitiger physischer Anwesenheit sowohl der Fans/Gläubigen auf den Rängen als auch der zweiundzwanzig Spieler/Priester auf dem Platz zelebriert wird. Kurzum, Pasolini begreift den Fußball als universelle Sprache, als Mittel der Kommunikation, der Interaktion, der Teilhabe: Und dies gilt