Die Dämonen. Fjodor Dostojewski

Die Dämonen - Fjodor Dostojewski


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glauben Sie es nicht?«

      Aber ich schwieg absichtlich. Ich tat sogar, als könne ich mich nicht entschließen, ihn durch eine verneinende Antwort zu kränken, sei aber nicht imstande, bejahend zu antworten. In diesem ganzen gereizten Benehmen meines Freundes lag etwas, was mich entschieden verletzte, nicht mich persönlich, o nein! Aber ... ich werde das später erklären.

      Er war sogar blaß geworden.

      »Vielleicht sind Sie meiner Gesellschaft überdrüssig, G***w,« (dies ist mein Familienname), »und würden wünschen ... Ihre Besuche bei mir ganz einzustellen?« sagte er in jenem Tone gekünstelter Ruhe, der gewöhnlich einem heftigen Ausbruche vorhergeht.

      Ich sprang erschrocken auf; in demselben Augenblicke kam Nastasja herein und reichte ihrem Herrn schweigend einen Zettel, auf dem etwas mit Bleistift geschrieben stand. Er sah ihn an und warf ihn mir hin. Auf dem Zettel standen von Warwara Petrownas Hand nur die wenigen Worte: »Halten Sie sich zu Hause!«

      Stepan Trofimowitsch nahm schweigend Hut und Stock, ging schnell zur Tür und öffnete sie, um das Zimmer zu verlassen. Plötzlich wurden auf dem Flur Stimmen und das Geräusch schneller Schritte vernehmbar. Er blieb stehen wie vom Donner gerührt.

      »Das ist Liputin! Ich bin verloren!« flüsterte er, indem er mich bei der Hand ergriff.

      In demselben Augenblicke trat Liputin ins Zimmer.

      IV.

      Inwiefern Liputins Ankunft bewirken könne, daß er verloren sei, das wußte ich nicht; ich legte auch diesem Ausdrucke keine Bedeutung bei; ich schrieb alles seiner Nervenerregung zu. Aber sein Schreck war doch ein sehr auffallender, und ich nahm mir vor, den weiteren Verlauf aufmerksam zu beobachten.

      Schon die bloße Miene des eintretenden Liputin ließ erkennen, daß er diesmal trotz aller Verbote ein besonderes Recht zum Eintritt habe. Er brachte einen unbekannten Herrn mit, der von auswärts gekommen sein mußte. In Erwiderung auf den fassungslosen Blick des ganz starr gewordenen Stepan Trofimowitsch rief er sogleich laut:

      »Ich bringe einen Gast mit, und einen besonderen Gast! Ich wage es, Sie in Ihrer Einsamkeit zu stören. Herr Kirillow, ein hervorragender Ingenieur und Architekt. Die Hauptsache aber ist: der Herr kennt Ihren Sohn, den hochverehrten Peter Stepanowitsch; sehr gut sogar; und er hat einen Auftrag von ihm. Der Herr hat ihn eben erst besucht.«

      »Was Sie von einem Auftrage sagen, ist Ihr Zusatz,« bemerkte der Gast in scharfem Tone. »Einen Auftrag habe ich überhaupt nicht erhalten; aber Werchowenski kenne ich allerdings. Ich habe ihn vor zehn Tagen im Gouvernement Ch*** verlassen.«

      Stepan Trofimowitsch reichte ihm mechanisch die Hand und forderte ihn auf, Platz zu nehmen; dann blickte er mich an, blickte Liputin an und setzte sich plötzlich, wie wenn er zur Besinnung käme, schnell selbst hin, wobei er aber Hut und Stock immer noch in der Hand behielt, ohne es zu bemerken.

      »Ah, Sie wollten selbst ausgehen! Und mir war gesagt worden, Sie seien vor vieler Arbeit ganz krank geworden.«

      »Ja, ich bin auch krank und wollte eben spazieren gehen; ich ...«

      Stepan Trofimowitsch stockte, warf schnell den Hut und den Stock auf das Sofa und – errötete.

      Ich hatte unterdessen schnell den Gast gemustert. Es war ein noch junger Mann von ungefähr siebenundzwanzig Jahren, anständig gekleidet, schlank und mager, brünett, mit blassem, etwas unreinem Teint und schwarzen, glanzlosen Augen. Er schien etwas nachdenklich und zerstreut zu sein, sprach abgebrochen und nicht ganz grammatisch richtig, stellte die Worte etwas sonderbar und verwirrte sich, wenn er einen längeren Satz bilden mußte. Liputin bemerkte sehr genau, was für einen Schreck Stepan Trofimowitsch bekommen hatte, und war davon sichtlich befriedigt. Er setzte sich auf einen Rohrstuhl, den er beinah in die Mitte des Zimmers gezogen hatte, um sich in gleicher Entfernung zwischen dem Wirte und dem Gaste zu befinden, die einander gegenüber auf zwei gegenüberstehenden Sofas Platz genommen hatten. Seine scharfen Augen fuhren neugierig in allen Winkeln umher.

      »Ich ... ich habe Peter schon lange nicht gesehen ... Sie sind im Auslande mit ihm zusammengetroffen?« fragte Stepan Trofimowitsch mühsam murmelnd den Gast.

      »Sowohl hier als im Auslande.«

      »Alexei Nilowitsch kommt soeben selbst nach vierjähriger Abwesenheit aus dem Auslande,« fügte Liputin hinzu. »Er ist gereist, um sich in seinem Spezialfache zu vervollkommnen, und jetzt zu uns gekommen, weil er begründete Hoffnung hat, eine Anstellung beim Bau unserer Eisenbahnbrücke zu erhalten; er wartet jetzt auf die Antwort. Er ist durch Peter Stepanowitsch mit den Drosdowschen Herrschaften, mit Lisaweta Nikolajewna, bekannt geworden.«

      Der Ingenieur saß mit finsterem Gesichte da und hörte unbehaglich und ungeduldig zu. Es schien mir, daß er sich über etwas ärgerte.

      »Der Herr ist auch mit Nikolai Wsewolodowitsch bekannt.«

      »Sie kennen auch Nikolai Wsewolodowitsch?« erkundigte sich Stepan Trofimowitsch.

      »Ja, den auch.«

      »Ich ... ich habe Peter außerordentlich lange nicht gesehen und ... habe somit kaum ein Recht, mich seinen Vater zu nennen ... c'est le mot; ich ... wie haben Sie ihn verlassen?«

      »Nichts Besonderes zu sagen darüber ... Er wird selbst herkommen,« erwiderte Herr Kirillow wieder eilig, um von der Frage loszukommen.

      Er war entschieden ärgerlich.

      »Er wird herkommen! Endlich werde ich ... Sehen Sie, ich habe Peter schon gar zu lange nicht gesehen!« versetzte Stepan Trofimowitsch, der an dieser Phrase hängen blieb. »Ich erwarte jetzt meinen armen Jungen, gegen den ... o gegen den ich mich so vergangen habe! Das heißt, ich will eigentlich sagen, daß ich, als ich ihn damals in Petersburg verließ ... kurz gesagt, ich hielt ihn für eine Null, quelque chose dans ce genre. Wissen Sie, der Junge war nervös, sehr empfindsam und ... ängstlich. Wenn er sich schlafen legte, machte er tiefe Verbeugungen vor dem Heiligenbilde und bekreuzte sein Kopfkissen, um nicht in der Nacht zu sterben ... je m'en souviens. Enfin, kein Gefühl für das Schöne, das heißt für etwas Höheres, Fundamentales, kein Keim einer künftigen Idee ... c'était comme un petit idiot. Übrigens bin ich, wie mir vorkommt, selbst verwirrt; entschuldigen Sie, ich ... Sie treffen mich heute ...«

      »Sagen Sie das im Ernst, daß er sein Kopfkissen bekreuzte?« erkundigte sich der Ingenieur mit besonderer Neugier.

      »Ja, das tat er ...«

      »Ich tue so etwas nicht; fahren Sie fort!«

      Stepan Trofimowitsch blickte Liputin fragend an und wandte sich dann wieder an den Fremden.

      »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Besuch; aber ich muß gestehen, ich bin jetzt ... nicht imstande ... Gestatten Sie aber die Frage: wo wohnen Sie?«

      »In der Bogojawlenskaja-Straße, im Filippowschen Hause.«

      »Ach, das ist dasselbe Haus, in dem Schatow wohnt,« bemerkte ich unwillkürlich.

      »Ganz richtig, in demselben Hause,« rief Liputin; »nur wohnt Schatow oben, im Halbgeschoß, und dieser Herr hier hat sich unten einquartiert, beim Hauptmann Lebjadkin. Er kennt auch Schatow, und auch Schatows Frau kennt er. Er ist im Auslande mit ihr in sehr nahe Berührung gekommen.«

      »Comment! Also wissen Sie wirklich etwas von der unglücklichen Ehe de ce pauvre ami und kennen diese Frau?« rief Stepan Trofimowitsch, auf einmal von seinem Gefühle fortgerissen. »Ich habe noch nie jemand getroffen, der diese Frau persönlich gekannt hätte; Sie sind der erste; und wenn nur ...«

      »Was für dummes Zeug!« unterbrach ihn der Ingenieur, ganz rot vor Ärger. »Wie können Sie nur so etwas hinzuerfinden, Liputin! Ich habe Frau Schatowa gar nicht gesehen; nur einmal von weitem; aber näher kennen tue ich sie nicht ... Schatow kenne ich. Warum erfinden Sie denn allerlei hinzu?«

      Er drehte sich mit kurzer Wendung auf dem Sofa herum und griff nach seiner Mütze; dann legte er sie wieder hin,


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