Die Dämonen. Fjodor Dostojewski

Die Dämonen - Fjodor Dostojewski


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      »Das ist wohl zu wenig, Kutscher?« rief sie, als sie sah, was er für eine Grimasse schnitt. »Aber es ist alles, was ich habe,« fügte sie in kläglichem Tone hinzu.

      »Na, in Gottes Namen; ich habe vorher keinen Preis festgemacht!« sagte der Kutscher mit einer Handbewegung des Verzichtes und sah sie an, wie wenn er dachte: »Es wäre ja auch Sünde, zu dir ein böses Wort zu sagen.«

      Dann steckte er sein ledernes Geldbeutelchen vorn in die Brust, trieb sein Pferd an und fuhr davon, von den Spöttereien der dabeistehenden Droschkenkutscher begleitet. Ausdrücke des Spottes und der Verwunderung begleiteten auch die Dame die ganze Zeit über, während sie sich zwischen den Equipagen und den auf das baldige Herauskommen ihrer Herrschaften wartenden Dienern hindurch nach dem Domportale hinarbeitete. Und es lag auch wirklich etwas Ungewöhnliches und für alle Überraschendes in dem Umstande, daß eine Dame dieser Art auf einmal von irgendwoher auf der Straße unter dem Volke erschien. Sie war von einer krankhaften Magerkeit und hinkte; das Gesicht war stark weiß und rot geschminkt, der lange Hals ganz bloß; sie trug kein Tuch und keinen Mantel, sondern nur ein altes, dunkles Kleid trotz des kalten und windigen, wenn auch hellen Septembertages; der Kopf war völlig unbedeckt; in die Haare, die im Nacken in einen winzigen Kauz zusammengefaßt waren, war auf der rechten Seite nur eine künstliche Rose hineingesteckt, von der Art, wie man sie zum Schmucke der Osterengel benutzt. Einen solchen Osterengel mit einem Kranze aus Papierrosen hatte ich Tags zuvor, als ich bei Marja Timofejewna saß, in der Ecke unter den Heiligenbildern bemerkt. Die Verwunderung wurde aufs höchste gesteigert dadurch, daß die Dame zwar mit bescheiden niedergeschlagenen Augen, aber doch gleichzeitig mit einem heiteren, schlauen Lächeln einherging. Hätte sie noch einen Augenblick gezaudert, so würde man sie vielleicht gar nicht in den Dom hineingelassen haben. Aber es gelang ihr hineinzuschlüpfen, und als sie das Gotteshaus betreten hatte, drängte sie sich unauffällig nach vorn.

      Obgleich es mitten in der Predigt war und die ganze dicht gedrängte Menge, die das Gotteshaus anfüllte, ihr mit voller, lautloser Aufmerksamkeit lauschte, so schielten doch einige Augen neugierig und erstaunt nach der Eingetretenen hin. Sie warf sich auf den Fliesensteinen der Kirche nieder, beugte ihr blasses Gesicht zu ihnen hinab, lag lange so da und schien zu weinen; aber als sie den Kopf wieder in die Höhe gehoben und sich von den Knien aufgerichtet hatte, war sie sehr bald wieder gefaßt und munter. Heiter und mit sichtlichem, großem Vergnügen ließ sie ihre Augen über die Anwesenden und über die Wände des Doms hingleiten; mit besonderer Neugier betrachtete sie einige Damen und hob sich zu diesem Zwecke sogar auf die Fußspitzen; ja, sie lachte sogar ein paarmal mit seltsamem Kichern. Aber nun war die Predigt zu Ende, und es wurde das Kreuz herausgetragen. Die Frau Gouverneur war die erste, die auf das Kreuz zuging; aber als sie noch nicht zwei Schritte gemacht hatte, blieb sie stehen, in der offenkundigen Absicht, Warwara Petrowna den Vortritt zu lassen, die ihrerseits geradeswegs darauf losging, als ob sie niemanden vor sich bemerkte. In der ungewöhnlichen Höflichkeit der Frau Gouverneur lag zweifellos eine deutliche und in ihrer Art kluge Stichelei; so faßten es alle auf; so faßte es jedenfalls auch Warwara Petrowna auf; aber sie tat wie vorher, als ob sie niemanden bemerke, küßte mit einer Miene unerschütterlicher Würde das Kreuz und begab sich sogleich zum Ausgange. Ihr Livreediener bahnte ihr den Weg, obgleich auch ohne dies alle auseinandertraten. Aber unmittelbar am Ausgange, in der Vorhalle, versperrte ein dicht zusammengeballter Menschenhaufe ihr für einen Augenblick den Weg. Warwara Petrowna blieb stehen, und auf einmal drängte ein seltsames, auffallendes Wesen, eine Frauensperson mit einer Papierrose im Haar, sich durch die Menschen hindurch und fiel vor ihr auf die Knie. Warwara Petrowna, die sich nicht leicht aus der Fassung bringen ließ, namentlich nicht in der Öffentlichkeit, blickte sie würdevoll und streng an.

      Ich beeile mich hier möglichst kurz zu bemerken, daß Warwara Petrowna zwar in den letzten Jahren außerordentlich ökonomisch, wie man sich ausdrückte, und sogar geizig geworden war, manchmal aber, und besonders zu wohltätigen Zwecken, mit dem Gelde nicht knauserte. Sie war Mitglied eines Wohltätigkeitsvereins in der Hauptstadt. In dem vorigen Hungerjahre hatte sie nach Petersburg an das Hauptkomitee zur Annahme von Unterstützungen für die Notleidenden fünfhundert Rubel geschickt, worüber bei uns viel gesprochen worden war. Ferner hatte sie in der allerletzten Zeit vor der Ernennung des neuen Gouverneurs die Gründung eines lokalen Damenkomitees zur Unterstützung der ärmsten Wöchnerinnen in der Stadt und im übrigen Gouvernement bereits so gut wie zustande gebracht. Man tadelte bei uns heftig ihren Ehrgeiz; aber das bekannte Ungestüm ihres Charakters, verbunden mit ihrer Ausdauer, hatte beinahe schon alle Hindernisse überwunden; der Verein hatte sich fast schon konstituiert, und der ursprüngliche Gedanke entwickelte sich in der entzückten Phantasie der Gründerin zu größeren Dimensionen: sie träumte schon von der Gründung eines ebensolchen Komitees in Moskau und von der allmählichen Ausbreitung der Wirksamkeit desselben über alle Gouvernements. Aber siehe da, durch den plötzlichen Personalwechsel in der Verwaltung des Gouvernements geriet alles ins Stocken; die neue Frau Gouverneur hatte, wie man sagte, in der Gesellschaft bereits einige spitze und, was die Hauptsache war, zutreffende sachliche Einwendungen in betreff der Undurchführbarkeit der Grundideen eines solchen Komitees zum Ausdruck gebracht, was, selbstverständlich mit Ausschmückungen, Warwara Petrowna bereits hinterbracht worden war. Nur Gott kennt die Tiefen des Menschenherzens; aber ich glaube, daß Warwara Petrowna jetzt sogar mit einem gewissen Vergnügen am Portal des Domes stehen blieb, da sie wußte, daß im nächsten Augenblicke die Frau Gouverneur und nach dieser alle andern Damen an ihr vorbeikommen mußten. Sie sagte sich: »Mag sie mit eigenen Augen sehen, wie gleichgültig es mir ist, was sie über mich denkt, und was sie über die Eitelkeit meiner Wohltätigkeitsbestrebungen witzelt. Nun könnt ihr alle zusehen!«

      »Was wollen Sie, liebes Kind? Um was bitten Sie?« fragte Warwara Petrowna, indem sie die vor ihr Kniende aufmerksam betrachtete.

      Diese sah mit einem überaus zaghaften, schüchternen, aber beinah andächtigen Blicke zu ihr auf und lachte auf einmal in derselben sonderbaren kichernden Manier wie vorher.

      »Was hat sie? Wer ist sie?«

      Warwara Petrowna ließ ihren befehlshaberischen, fragenden Blick bei den Umstehenden herumgehen. Alle schwiegen.

      »Sind Sie unglücklich? Bedürfen Sie einer Unterstützung?«

      »Ja ... ich bin gekommen ...« stammelte die »Unglückliche« mit einer Stimme, die vor Aufregung versagte. »Ich bin nur gekommen, um Ihnen die Hand zu küssen ...« Und wieder kicherte sie.

      Mit einem ganz kindlichen Blicke, so wie Kinder blicken, wenn sie schmeichelnd um etwas bitten, streckte sie den Arm aus, um Warwara Petrownas Hand zu ergreifen, zog ihn aber, wie erschrocken, auf einmal wieder zurück.

      »Nur deswegen sind Sie gekommen?« fragte Warwara Petrowna mit mitleidigem Lächeln, zog aber sofort ihr Perlmutterportemonnaie aus der Tasche, entnahm ihm einen Zehnrubelschein und reichte ihn der Unbekannten hin.

      Diese nahm ihn. Warwara Petrownas Interesse war stark angeregt, und sie hielt die Unbekannte offenbar nicht für eine gewöhnliche Bittstellerin.

      »Nun seht mal an, zehn Rubel hat sie ihr gegeben!« sagte jemand in der Menge.

      »Gestatten Sie mir, bitte, Ihre Hand!« stammelte die »Unglückliche«; sie hielt mit den Fingern der linken Hand die empfangene Banknote an einer Ecke fest, so daß sie im Winde wehte.

      Warwara Petrowna runzelte ein wenig die Stirn (es mußte ihr wohl etwas mißfallen) und hielt ihr mit ernster, fast strenger Miene die Hand hin; diese küßte sie ehrfurchtsvoll. In ihrem dankbaren Blicke leuchtete sogar eine Art von Entzücken. Und gerade in diesem Augenblicke kam die Frau Gouverneur heran, und hinter ihr her strömte die ganze Schar unserer Damen und höchsten Würdenträger. Die Frau Gouverneur mußte notgedrungen einen Augenblick im Gedränge stehen bleiben; und ebenso die andern.

      »Sie zittern ja; frieren Sie?« fragte Warwara Petrowna plötzlich.

      Sie warf ihren Mantel ab, den der Diener im Fallen auffing, nahm ihr schwarzes, sehr kostbares Schaltuch von den Schultern und hüllte den entblößten Hals der immer noch knienden Bittstellerin eigenhändig damit ein.

      »Aber stehen Sie doch auf; erheben Sie sich; ich bitte


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