Ein Jahr wie kein anderes – Eine Sylt-Romanze. Alea Raboi
aufpassen. Bei denen weiß man nie. Das ist ein südländisches Volk. Hinzu kommt, dass das Land hoch verschuldet ist. Die hat sich doch nur schwängern lassen, damit du sie heiratest und sie dann leichter an einen deutschen Pass kommt.«
»Was? Ach, Mama, bitte. Das ist doch Schwachsinn. Sie ist ganz anders. Und ihre Eltern, die sind so herzlich.«
»Ihre Eltern«, brummte mein Vater. »Du hast ihre Eltern bereits kennengelernt?«
»Ja. Und sie sind supernett. Ihnen gehört der Hellas-Imbiss.«
»Oh, nein, nicht das Hellas. Doch nicht etwa die Familie«, maunzte Mutter. »Der Chef dort läuft ständig im gerippten Unterhemd herum. Also, nicht, dass ich jemals dort gewesen wäre. Aber das erzählt man sich eben. Der hat wohl noch nie etwas von Anstand gehört.«
Ich lachte auf. »Ja, das ist Costa. Costa der Zweite. Alikis Vater.«
Einige Sekunden schwebte eine eisige Stille über uns.
»In Ordnung«, unterbrach meine Mutter die Ruhe. »Wir sind eine Familie, und wir stehen das gemeinsam durch.«
Sie blickte kurz zu Vater, dann wieder zu mir. Wow! Das waren ja ganz neue Töne aus ihrem Mund.
»Dein Vater und ich zeigen uns hilfsbereit, und wir werden dieser Frau den Abort bezahlen.«
»Das kommt nicht infrage!«, polterte ich zurück.
Doch nicht ganz neue Töne.
»Und übrigens: Ich liebe sie. Es war Liebe auf den ersten Blick.«
Mein Vater meldete sich wieder zu Wort: »Also, bei einem kann sich diese Frau sicher sein: Deine Mutter und ich werden nicht auf das Baby schauen. Wir haben unser eigenes Leben. Und ich will nicht, dass diese Frau unser Haus betritt. Und ebenso wenig will ich, dass du konvertierst. Diese Leute sind orthodox, Junge! Die sind nicht so wie wir.«
Das war ja wohl die Höhe. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht ausfällig zu werden. »Es besteht kein Grund zur Sorge, Papa«, beruhigte ich ihn und stand auf. »Ihre Eltern lassen übrigens ausrichten, dass sie euch sehr gerne kennenlernen würden.«
Meine Mutter rollte daraufhin die Augen, sagte aber nichts. Niedergeschlagen verließ ich die Wohnung. Mir war durchaus bewusst gewesen, dass meine Eltern kein Freudentänzchen aufführen würden. Aber auf so großen Widerstand zu treffen, damit hatte ich nicht gerechnet.
2. Kapitel
Joris
Meine Eltern, im Besonderen meine Mutter, haben sie nun kennengelernt. Ich kann es immer noch kaum glauben, doch als ich nichtsahnend meine Fenster putzte, bekam ich einen Anruf …
Schwarz war das Tuch nach dem Wischen. Ich war überrascht, wie klar doch die Sicht aus einem geschlossenen Fenster sein konnte. Nach schweißtreibenden fünf Scheiben legte ich eine Pause ein. Ich trat auf den Hofplatz und setzte mich auf die alte, mittlerweile morsche Holzbank ohne Rückenlehne, die so platziert war, dass der Sitzende sich an der Hauswand anlehnen konnte. Die Bank stammte noch aus Großvaters Zeiten. In meiner Kindheit hatte ich oft stundenlang einfach nur dagesessen – meist, wenn ich von zu Hause weggerannt und vor meiner egoistischen Mutter auf den Hof geflohen war. Okay, so grausam war sie nicht, aber ich war nie sonderlich gut mit ihr klargekommen.
Aus irgendeinem Grund hatte sie etwas gegen Landwirte, obwohl auch sie Milch trank, die von Kühen stammte. Ein Leben auf dem Hof war unter ihrem Niveau, und daher erwartete sie auch von mir ein anderes Leben, als ich momentan führte. Aber ich liebte die Naturverbundenheit, die mir dieses Leben gab, das satte Grün, die Dünen, das Watt und den harzigen Geruch des Waldes. Die wenigen Bäume auf meinem Grundstück waren zwar nicht wirklich ein Wald, dennoch verweilte ich gerne dort. Und ich liebte Großvaters Kühe, was meine Mutter nie verstanden hatte. Oft saß ich nach einem Streit mit ihr wie versteinert auf dieser Bank, lehnte mit dem Rücken an der Fassade und beobachtete die grasenden vierbeinigen Milchproduzenten. Auch heute lehnte ich mich wieder zurück, schloss dabei die Augen und ließ die wohltuenden Sonnenstrahlen mein Gesicht mit positiver Energie durchströmen.
Wahnsinn! Mein Leben hatte eine unerwartete Wendung genommen. Ich ließ meinen Blick über den Hof schweifen und stoppte. Eine alte, marode Scheune, und ich erwog, sie abzureißen und einen Spielplatz darauf zu bauen.
Das klingelnde Telefon riss mich unsanft aus meinen Gedanken. Ich eilte hinein, denn ich dachte, es wäre Aliki. Bei unserem letzten Treffen hatte sie gesagt, sie bräuchte ein paar Tage für sich, um das Ganze zu verarbeiten.
»Ja.«
»Mein Junge …«
»Mama. Was ist? Ich muss gleich wieder zurück aufs Feld«, log ich, denn ich hatte keine Lust, mit ihr zu reden.
Vom anderen Ende der Leitung vernahm ich ein Räuspern. Herrgott, warum konnte sie mir nicht einfach geradeheraus sagen, weshalb sie anrief?
»Mama, was ist los? Du rufst mich doch nicht einfach nur an, um ein bisschen zu plaudern.«
Ich hörte, wie sie durchatmete.
»Richte der Familie deiner Freundin aus, dass wir einem Treffen zustimmen. Wir hätten am Samstagabend Zeit.«
Na also, ging doch. Obwohl, bei dem Gedanken an diese schon fast irreale Konstellation wurde mir ehrlich gesagt ein wenig flau im Magen.
Das kommt gut, dachte ich, lachte aber gleichzeitig.
Meinen Optimismus in Ehren, aber ich musste mir eingestehen, dass es nur eine Utopie war. Aber was, wenn es entgegen allen Erwartungen doch funktionierte? Ich zuckte zusammen. Nein, das passierte nie und nimmer. Meine Mutter würde so bleiben, wie sie nun mal war: schwer zu ertragen.
Nach Beendigung des Gespräches ging ich ins Haus zurück. Auf dem Weg rief ich Aliki an.
»Ja.«
»Hallo, mein Schatz.«
»Hallo. Grüß dich, Joris. Gibt’s was Neues?«
»Ja, das kann man wohl sagen. Meine Mutter hat mich soeben angerufen. Sie und mein Vater stimmen nach anfänglichem Misstrauen nun doch einem Treffen zu. Und zwar am Samstag.«
»Hey, das klingt ja … toll«, sagte sie monoton.
»Ist alles in Ordnung?« Ich vernahm einen Seufzer.
»Na ja … also, ich bezweifle ehrlich gesagt, dass das mit dem Treffen eine gute Idee ist. Deine Eltern und meine. Versteh mich bitte nicht falsch, ich freue mich sehr, sie kennenzulernen, aber ich weiß, dass sich meine leider nicht zusammenreißen werden, um einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen.« Sie stieß laut die Luft aus.
Einen Augenblick beherrschte eine eisige Stille das Telefongespräch.
»Aliki?«
»Hm?«
»Ich merke doch, dass etwas nicht in Ordnung ist. Was bedrückt dich?«
»Ach, ich glaube, wir passen … ich meine, ich bin schwanger.« Sie räusperte sich. »Ich frage mich, woher können wir sicher sein, dass wir zusammengehören? Wir … wir passen doch eigentlich gar nicht zusammen. Ich meine, wenn ich nicht schwanger geworden wäre, dann hätten wir uns nie mehr wiedergesehen.«
Ich schürzte die Lippen und legte eine kurze Denkpause ein, bevor ich antwortete: »Was erwartest du?«
»Was ich erwarte?«
»Ja, was erwartest du? Von mir, von der Beziehung? Oder anders gefragt, was muss ein Mann deiner Meinung nach in eine Beziehung mitbringen?«
Ihr schweres Atmen hörte ich sehr gut. Dann ein Räuspern. »Nun«, begann sie, »ich erwarte eigentlich gar nicht viel. Ich verlange und wünsche auch nicht viel. Zumindest nichts Materielles. Ich … ich möchte einfach nur geliebt werden – bedingungslos. Ich will endlich nicht mehr allein einschlafen müssen und die schmerzliche Einsamkeit spüren. Ich möchte einen Mann, der liebevoll und zuvorkommend ist, dessen Augen strahlen, wenn er mich sieht. Ich