Bambis Kinder. Felix Salten

Bambis Kinder - Felix Salten


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      Geno hatte sie ihnen zweimal erzählt und beide Male darunter gelitten. Boso und Lana genügte das jedoch nicht. Sie wollten den Hergang wieder und wieder hören.

      »Was hat der Fuchs getan?« fragte Boso.

      Lana, als ob sie es nun erst erfahren würde: »Ist Er gräßlich gewesen? Er?«

      »Du hast Ihn ja gesehen«, drängte Boso, »rede endlich!«

      Geno wehrte sich: »Ich habe euch alles schon erzählt ...«

      »Das schadet nichts!« rief Lana.

      Und Boso verlangte sachlich: »Erzähle noch einmal! Von Anfang!«

      Geno machte kehrt und entlief.

      Weder er noch Faline hielten es aus, wenn Rolla und ihre Kinder von der Zeit sprachen, da Boso und Lana allein waren. Sie prahlten miteinander ein wenig.

      Rolla schwieg darüber, daß sie sich nun dennoch einem neuen Gatten gesellt hatte.

      Faline und Geno gingen nicht mehr auf die Wiese. Sie fanden Ersatz. Ein großer Kahlschlag ließ Faline staunen.

      »Hier sind einst mächtige Eichen gewesen«, sagte sie, »Baum neben Baum. Muß Er alles zerstören?«

      Geno machte sich nichts daraus; er nahm das Vorhandene nach Kinderart, wie es eben war, als etwas Endgültiges, und er trollte, angelockt von würzigen Düften, in den Schlag. Die Mutter folgte ihm.

      Kleine Haselstauden wucherten überall, junge Silberpappeln, Holunder, Schlehdorn, Liguster, und es winkten vielversprechende Gräser, schmackhafte Kräuter. Dazwischen glänzten in breiten, hellen Scheiben die Stümpfe gefällter Stämme.

      Die Wurzeln der alten Eichen hatten noch Urkraft bewahrt, und sie trieben aus den Rinden der verstümmelten Ueberreste ein Gewirr von Schößlingen hervor. Die waren bittersüß und strotzten von Saft.

      Geno glaubte, noch nie so was Gutes gegessen zu haben. Auch Faline, die dergleichen von früher her kannte, labte sich an der köstlichen Aesung.

      Den Hirschen galt dieser Schlag als ihr liebster Nährboden. Von allen Seiten wanderten sie herbei, suchten ihn auf, ganz heimlich mitten in der Nacht, besonders wenn kein Mond am Himmel stand oder wenn die Wolken ihn verhüllten. Dann weilten die Hirsche stundenlang hier.

      Heute gab die dünne Mondsichel nur matten Flimmerschein.

      In solch fahlem Licht wirkten die Hirsche noch weit größer.

      Sie befanden sich jetzt in der Feist; sie hatten ihr Geweih verfegt, und wie sie einer nach dem andern auftraten, boten sie einen imposanten Anblick.

      Geno hatte noch nie einen Hirsch gesehen.

      Als der erste nebelhaft sichtbar wurde, ganz leise, beinahe geschlichen kam, riesig, schier drohend, begann Geno zu zittern und starrte die gespenstische Erscheinung an, ohne sich zu rühren.

      Der zweite, der dritte glitt heran, gigantische Schatten, doch ohne Zweifel lebendig.

      Jetzt hatte Faline die Hirsche wahrgenommen. Das Entsetzen packte sie, von dem die Rehe bei jedem Zusammentreffen mit Hochwild ergriffen werden. Sie stieß einen Schrecklaut aus: »Bah–oh!« Fluchtartig rannte sie weg vom Schlag in die Dickung, und sie schreckte fortwährend langgezogen: »Bah–oh! Bah–oh! Bah–oh!«

      Sie konnte nicht aufhören.

      Geno verlor die Fassung; er wollte fort, wollte zur Mutter, doch zunächst vermochte er nicht, sich vom Fleck zu bewegen. Gebannt hingen seine Augen an den ungeheuren Gestalten, die langsam umherwandelten.

      Aus dem Dickicht klang das Schreien Falinens: »Bah–oh! Bah–oh!« Es entriß Geno plötzlich seiner Erstarrung.

      Wie toll raste er der Mutter nach, in hohen, stürzenden Fluchten. Kein Ton war in seiner jungen, zugeschnürten Kehle, so sehr er sich auch bemühte, gleich der Mutter zu schreien.

      Endlich erreichte er Faline.

      »Mutter ... Mutter ...!« Seine Stimme war erstickt, »wer ist das?«

      Faline aber schrie in kurzen Pausen: »Bah–oh! Bah–oh! Bah–oh!«

      Sie ließ sich nicht aufhalten, ging mit steifen Schritten tiefer in den Wald hinein.

      »Ist noch Gefahr, Mutter?« Geno war sehr bang.

      »Nein, mein Sohn«, erwiderte sie endlich, »ich hoffe nicht ...« Sie brach in ein letztes empörtes »Bah–oh!« aus.

      Schüchtern stellte Geno die Frage: »Wer war das?«

      »Das waren die Könige ...«

      Ehrfurchtsvoll wiederholte er: »Die Könige ... Sind die Könige böse?«

      »Das weiß niemand genau. Zuweilen sollen sie sehr arg werden. Man hat eine furchtbare Geschichte herumgetragen.«

      »Was für eine Geschichte, Mutter? Bitte, erzähl mir.«

      »Ach, das ist schon lange her ... schon sehr, sehr lange ...«

      »Bitte, Mutter, bitte, die Geschichte ...«

      »Nun, einer der Könige soll einen unserer Prinzen gespießt haben.«

      »War der Prinz tot?«

      »Das kann ich nicht sagen. Ueberhaupt ... du hörst doch ... das ist schon sehr lange her. Keiner, der es gesehen hat, lebt mehr. Auch dieser König nicht. Er soll wenige Tage darauf durch die Feuerhand umgekommen sein. Niemand weiß heute, was zwischen dem König und dem Prinzen vorgefallen ist. Sonst kümmern sich die Könige nicht um uns.«

      »Sehen wir ihnen nicht ähnlich, Mutter?«

      »Keine Spur! Freilich gibt es einige unter uns, die behaupten, daß wir mit den Königen verwandt sind. Ich bin anderer Meinung. Ihre großen plumpen Figuren haben etwas erschreckend Fremdes! Widerlich!«

      Geno schauderte.

      Inzwischen ästen die Hirsche friedlich auf dem Schlag. Fast unsichtbar. Nur das rupfende Geräusch der abgebissenen Blätter und Gräser war vernehmlich.

       * * *

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