Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova


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liebe Sie und ich wünsche, aus Ihrem Munde zu hören, ob Sie noch ferner mich geliebt haben würden, wenn ich darein gewilligt hätte, mich verächtlich zu machen.‹

      Annitas Brief aber hatte allein Geist, er lautete: ›Angela ist über Ihren Verlust in Verzweiflung. Die Nacht welche Sie bei uns zugebracht, war grausam, ich gebe es zu; aber, wie es mir scheint, dürfen Sie deshalb nicht den Beschluß fassen, auch Madame Orio nicht mehr zu besuchen. Ich rate Ihnen, wenn Sie Angela lieben, noch einmal eine Nacht die Probe zu machen. Sie wird sich rechtfertigen und Sie werden zufrieden weggehen. Kommen Sie also. Leben Sie wohl.‹ Diese beiden Briefe machten mir Vergnügen, denn ich sah das Glück, mich an Angela durch die kälteste Verachtung zu rächen. Ich begab mich also am ersten Festtage mit zwei Flaschen Cyperwein und einer geräucherten Zunge zu den Damen; aber ich war sehr erstaunt, meine Grausame nicht zu finden. Annita, welche das Gespräch auf sie brachte, meldete, Angela habe ihr in der Kirche gesagt, daß sie erst zur Zeit des Abendessens kommen könne. Hierauf rechnete ich, und ehe sie sich zu Tische setzten, entfernte ich mich wie das erstemal und begab mich nach dem verabredeten Orte. Ich sehnte mich danach, die Rolle zu spielen, welche ich mir ausgesonnen, denn ich war überzeugt, wenn Angela sich auch zu einer Änderung des Systems entschlossen hätte, sie würde mir doch nur leichte Gunstbezeigungen bewilligen, und diese wollte ich nicht mehr; mich beherrschte nur noch ein heftiger Rachedurst. Dreiviertel Stunden später hörte ich die Haustür schließen, und bald sah ich Annita und Marietta vor mir erscheinen. »Wo ist denn Angela?« fragte ich.

      »Sie konnte wohl weder kommen, noch es uns sagen lassen.«

      »Sie glaubt mich gefangen zu haben, und in der Tat erwartete ich dies nicht. Übrigens kennen Sie sie jetzt. Sie macht sich über mich lustig; sie triumphiert. Sie hat Sie benutzt, um mich in die Schlinge zu locken, und sie mag sich dessen freuen; denn wenn sie gekommen wäre, würde ich mich über sie lustig gemacht haben.«

      »Oh, was das betrifft, so erlauben sie mir zu zweifeln.«

      »Zweifeln Sie nicht, schöne Annita, und die angenehme Nacht, welche wir ohne sie zubringen werden, wird Ihnen den Beweis geben.«

      »Als Mann von Geist wollen Sie sich in die Umstände schicken; aber Sie werden hier schlafen und wir auf dem Kanapee im andern Zimmer.«

      In einem reizenden Zwiegespräche wußte ich sie zu bestimmen, daß sie mein Abendbrot, das ich mitgebracht, teilten. Sie brachten drei Kuverts, holten Brot, Parmesan-Käse und Wasser, lachten dazu und wir machten uns sodann ans Werk. Der Cyperwein, an welchen sie nicht gewöhnt waren, stieg ihnen zu Kopfe, und ihre Heiterkeit wurde köstlich. Als ich sie so sah, wunderte ich mich, daß ich ihre Vorzüge nicht früher erkannt. Nach unserm kleinen Abendessen, welches ganz köstlich war, setzte ich mich zwischen beide, und, ihre Hände ergreifend, welche ich an meine Lippen führte, fragte ich sie, ob sie meine wahren Freundinnen wären und ob sie die unwürdige Weise, wie Angela mich behandelt, billigten. Sie antworteten beide, daß ich sie bis zu Tränen gerührt.

      »Erlauben Sie also«, fuhr ich fort, »daß ich die Zärtlichkeit eines Bruders für Sie habe, und erwidern Sie diese, als ob Sie meine Schwestern wären: geben wir uns in der Unschuld unserer Herzen ein Unterpfand und schwören wir uns ewige Treue.«

      Der erste Kuß, den ich ihren gab, ging weder aus einer verliebten Empfindung, noch aus dem Wunsche, sie zu verführen, hervor, und auch sie versicherten mir einige Tage später, daß sie ihn nur erwidert hätten, um mich zu überzeugen, daß sie meine ehrbaren brüderlichen Gefühle teilten. Aber diese unschuldigen Küsse wurden bald zur Flamme und entzündeten in uns einen Brand, der uns sehr in Erstaunen setzte, denn wir hielten einige Augenblicke inne und betrachteten uns mit erstaunter und ernster Miene. Beide standen hierauf ohne Affektation auf, und ich blieb mit meinen Gedanken allein. Es war nicht zu verwundern, daß ich mich in diese beiden liebenswürdigen Mädchen sterblich verliebte. Sie waren hübscher als Angela und waren ihr bei weitem überlegen, Annita durch ihren Geist, wie Marietta durch ihren sanften und naiven Charakter. Ich war nicht eitel genug, um zu glauben, sie liebten mich; aber ich konnte annehmen, daß meine Küsse auf sie denselben Eindruck gemacht hatten, wie die ihrigen auf mich, und ich war überzeugt, daß, wenn ich List und feine Künste, deren Wirkung ihnen noch unbekannt sein mußte, anwenden wollte, ich sie zu Gefälligkeiten bewegen würde, die für sie sehr entscheidende Folgen haben konnten. Dieser Gedanke flößte mir Abscheu ein und ich legte mir das strenge Gesetz auf, sie zu schonen, ohne im mindesten daran zu zweifeln, daß ich auch die dazu nötige Kraft haben würde. Als sie wiederkamen, sah ich auf ihren Zügen den Charakter der Sorglosigkeit und der Zufriedenheit ausgeprägt, und ich gab mir rasch dasselbe Aussehen, fest entschlossen, mich nicht mehr der Glut ihrer Küsse auszusetzen. Wir verbrachten eine Stunde, indem wir von Angela sprachen, und ich sagte zu ihnen, ich wäre entschlossen, sie nicht mehr zu sehen.

      »Sie liebt Sie«, sagte die naive Marietta, »und ich bin davon überzeugt.«

      Ich fragte, wie sie das wissen könne.

      »Ich bin dessen ganz sicher«, sagte Marietta, »und bei der brüderlichen Freundschaft, die wir uns versprochen haben, kann ich Ihnen auch wohl sagen weshalb. Wenn Angela bei uns schläft, umarmt sie mich zärtlich und nennt mich ihren lieben Abbé.«

      Bei diesen Worten fing Annita an zu lachen und legte ihrer Schwester die Hand auf den Mund; aber diese Naivität regte mich so sehr auf, daß es mir äußerst schwer wurde, an mich zu halten. Ich bewahrte meinen Ernst, lobte ihre Aufrichtigkeit und sagte ihnen allerlei hübsche Dinge von ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit und tat allmählich so, als ob ich Lust zum Schlafen bekommen hätte. Annita, welche dies zuerst gewahr wurde, sagte zu mir: »Machen Sie keine Umstände, legen Sie sich ins Bett; wir werden uns ins andere Zimmer auf ein Kanapee legen.«

      »Ich würde«, antwortete ich, »mich für den gemeinsten Menschen halten, wenn ich dies tun könnte: unterhalten wir uns; die Lust zum Schlafen wird schon wieder vergehen. Legen Sie sich schlafen, und ich, meine teuren Freundinnen, werde ins andere Zimmer gehen. Wenn Sie Furcht vor mir haben, schließen Sie sich ein; aber Sie würden Unrecht tun, denn ich liebe Sie nur mit dem Herzen eines Bruders.«

      »Das werden wir unter keiner Bedingung tun, sagte Annita; aber lassen Sie sich überreden; schlafen Sie hier.«

      »Angekleidet kann ich nicht schlafen.«

      »Entkleiden Sie sich; wir wollen nicht hinsehen.«

      »Davor habe ich keine Furcht; aber ich könnte nie einschlafen, wenn ich mit ansehen sollte, wie Sie meinetwegen wachen müßten.«

      »Aber wir«, sagte Marietta, »werden uns auch zu Bette legen, nur angekleidet.«

      »Dies ist ein Mißtrauen, welches meine Redlichkeit beleidigt. Sagen Sie mir Annita, ob Sie mich für einen ehrlichen Mann halten?«

      »Ja, sicherlich.«

      »Sehr wohl; aber Sie müssen mir den Beweis liefern, und deshalb legen Sie sich ganz entkleidet an meine Seite und rechnen Sie auf mein Ehrenwort, Sie nicht zu berühren. Übrigens sind Sie zwei gegen einen. Mit einem Worte, wenn Sie mir dieses Zeichen des Vertrauens nicht wenigstens sobald ich eingeschlafen sein werde geben wollen, so lege ich mich nicht zu Bett.«

      Damit hörte ich auf zu sprechen und tat so, als ob ich einschliefe. Nachdem sie sich einen Augenblick leise miteinander unterhalten, sagte Marietta zu mir, ich sollte mich zu Bett legen und sie würden mir folgen, so bald sie mich eingeschlafen sähen. Als Annita dies Versprechen bestätigt hatte, drehte ich ihnen den Rücken zu, entkleidete mich und legte mich ins Bett, nachdem ich ihnen eine gute Nacht gewünscht. Sobald ich im Bette, tat ich so, als ob ich schliefe; aber bald schlief ich wirklich ein und erwachte erst wieder, als sie sich ins Bett legten. Ich drehte mich wie zum Wiedereinschlafen um, blieb ruhig liegen, bis ich sie für eingeschlafen halten konnte, und wenn sie es auch nicht waren, so stand es ja doch in ihrer Macht, so zu tun. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und das Licht war erloschen; ich überließ mich also dem Zufalle und spendete meine Huldigungen der zur Rechten liegenden, ohne zu wissen, ob es Annita oder Marietta war. Ich fand sie zusammengekauert und eingehüllt in das einzige Kleidungsstück, welches sie bewahrt hatte. Ich übereilte nichts und um ihre Scham zu schonen, brachte ich sie allmählich in die Lage, sich besiegt zu erklären, und sie


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