Smartphone Sweetheart. Ava Patell
sah auf den blinkenden Cursor in dem kleinen Nachrichtenfeld. »Na gut. Schön. Du hast gewonnen.« Einen Moment überlegte er doch und zögerte erneut. Dann tippte er:
› Die Errungenschaften der Zivilisation sind nur eine Anhäufung von Torheiten, die unweigerlich auf ihre Schöpfer zurückfallen und sie am Ende vernichten werden.‹ Für eine Sekunde biss er sich auf die Unterlippe. Dann tippte er auf Senden und drehte sein Handy um, legte es auf die Tischplatte.
»Gut. Ich hab's gemacht.« Irrationalerweise schlug ihm das Herz bis zum Hals. Es war nur eine Nachricht und dennoch fühlte er sich schlecht. Hanni kicherte.
»Und?«
Er holte tief Luft. »Ich fühle mich furchtbar.«, gestand er.
Sie lachte auf. »Aber du hast es getan und das war gut! Das war mal etwas anderes und das zeigt doch, dass du spontan sein kannst. Und das ist gut . Wir arbeiten einfach daran und du findest schon noch den Typen, der dich genau so nimmt wie du bist, Em. Und mal ganz im Ernst. Ein bisschen Spontaneität hat noch niemandem geschadet. Dann klappt es auch mit dem Traumprinzen.« Nun ja. Es war immerhin schön, dass es einen Menschen auf dieser Welt gab, der daran glaubte.
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Blind griff Matthew Louis nach seinem Handy. Es hatte ruhig neben ihm auf der Couch gelegen, dann kurz vibriert. Er konnte sich schon vorstellen, von wem die Nachricht war und war daher umso überraschter, als nicht der übliche Name auf seinem Display prangte, sondern eine ihm völlig unbekannte Nummer. Matthew las die Nachricht zweimal, die Augenbrauen zusammen gezogen. Welcher Irre schickte ihm denn um diese Uhrzeit ein Zitat von Herbert George Wells, einem der größten Science-Fiction-Visionäre der Welt? Und dann auch noch, ohne die Nummer zu unterdrücken. Zeitreisen und Science-Fiction-Romane waren zwar überhaupt nicht sein Ding, aber dafür hatte er ja Noah, seinen 8-jährigen Neffen, der total auf diesen Typ Geschichten ansprang. Kopfschüttelnd schob Matthew das Handy wieder auf die Couch. Sicher nur ein Streich von Glenda. Die Geschäftspartnerin seines Arbeitgebers schrieb ihm ständig Nachrichten, was er noch zu bedenken oder zu tun hatte. Er richtete seinen Blick auf den Laptopbildschirm vor sich, ging seine Präsentation für übermorgen weiter durch und entschied sich für eine andere Grafik für Seite drei. Doch seine Gedanken blieben nicht lange bei den Grafiken und Buchstaben vor ihm auf dem Bildschirm, sondern wanderten zurück zu dem so bedeutungslos scheinenden Vorfall. So ein Streich sah Glenda gar nicht ähnlich. Was, wenn sich jemand verwählt hatte? Konnte man sich in einem Nachrichtenprogramm verwählen? »Hm...«, machte Matthew leise in die Stille seines Hotel-Wohnzimmers hinein, griff nach dem hohen Glas auf dem Tisch und leerte es. Der Geschmack des Aspirins haftete noch lange an seinem Gaumen und für einen Moment verzog er den Mund. »Na schön...« Erneut griff er nach seinem Blackberry und legte die Finger auf die digitale Tastatur. »Wie war das gleich?«, murmelte er zu sich selbst, bevor er zu tippen begann.
› Stärke ist das Ergebnis der Not, Schwäche ist ein Preis der Sicherheit.‹ Matthew nickte leicht. So müsste es stimmen und er zögerte nicht, die Nachricht an einen vermeintlich fremden Menschen zu schicken. Als er das Handy beiseiteschob, schüttelte er doch über sich selbst den Kopf. Er hätte gar nicht darauf eingehen sollen. Übermorgen würde ihn Glenda damit aufziehen. Wenn er sich die brünette Mittvierzigerin vorstellte, war er froh, noch knapp zwei Tage in Los Angeles zu haben, bevor er zurück musste. Er mochte seine Arbeit bei Welsh & Baker, auch wenn er sie nur als Sprungbrett ansah. In den Jahren seiner Anstellung bei dem Private Equity Unternehmen hatte er einiges gelernt, was in seinem Wirtschaftsstudium zu kurz gekommen war. Wie er Investoren dazu brachte, ihnen zu helfen, junge Unternehmen aufzunehmen oder mit ihnen gemeinsam den Börsengang zu bestreiten zum Beispiel.
Erneut wendete er seine Aufmerksamkeit der Präsentation zu, ging sie weiter durch und klappte schließlich den Laptop zu, schob ihn in die Tasche und stellte alles, was er brauchen würde, neben die Eingangstür seines Hotelzimmers. An einem Haken der Garderobe hing sein Anzug für übermorgen auf einem Bügel, sicher verstaut in einer Kleiderhülle. Matthew trat auf den kleinen Balkon, der zu seinem Zimmer gehörte, lehnte sich auf die Brüstung und ließ seinen Blick über das nächtliche L.A. gleiten.
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Das Handy machte sich in Emmetts Tasche bemerkbar, als er schon im Bus auf dem Weg nach Hause saß. Die Straßen waren dunkel, nur erhellt von den Laternen und den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos. Es hatte gleichermaßen etwas Mystisches als auch Bedrohliches, besonders da jetzt noch leichter Nieselregen einsetzte. Manchmal wünschte Emmett sich, er hätte ein Auto, wurde aber aus seinen Gedanken gerissen, als sein Handy vibrierte. Er dachte, Hanni würde ihm schreiben, aber er kannte die Nummer nicht und als er die Nachricht öffnete, schoss ihm vor Scham das Blut in die Wangen. Eine Weile sah er darauf. H. G. Wells. Die oder der Fremde hatte das Zitat also erkannt... Schon alleine das war verrückt genug, aber noch verrückter war, dass dieser Mensch auch noch geantwortet hatte. Und dann ebenfalls mit einem Zitat. Tropfen hingen an der Fensterscheibe des Busses und Emmett sah sein eigenes Spiegelbild darin. Rote Wangen. Verlegenheit und Scham.
»Ich kann so was einfach nicht, Hanni.«, flüsterte er zu sich selbst und fiel damit sicherlich unter die Rubrik ›der Irre, der des Nachts unterwegs ist und mit sich selbst spricht‹. Genau der Typ Mensch, neben dem man spät am Abend oder früh in der Nacht nicht sitzen wollte. So weit war es jetzt schon gekommen.
› Bitte entschuldigen Sie. H. G. Wells war ein schlauerer Mensch als ich und hätte sich nie auf so einen kindischen Streich eingelassen.‹
Vermutlich war dies schon der nächste Schritt in seinem Irrsinn, denn er hätte es einfach gut sein lassen können. Doch diese Entschuldigung war ihm ein echtes Bedürfnis. Seine Mutter sollte nicht behaupten können, sie hätte ihn falsch erzogen. Prompt fühlte er sich besser. Mit einer Entschuldigung tat man niemandem weh. Und ihm selbst nahm diese kleine Geste das nagende, kleine, fiese Gefühl ab, das ihn belastet hatte. Er war einfach nicht spontan. Und er war auch nicht mutig. Egal was Hanni versuchte, er würde sich dahingehend wohl nie ändern, weil das einfach Teil seiner Persönlichkeit war. Und so etwas ließ sich so schnell nun einmal nicht ändern. Wenn überhaupt. Sein Blick ging wieder nach draußen. Dieses kleine Intermezzo, das für ihn aufregend gewesen war, war nun beendet.
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Im Bett liegend las Matthew die Nachricht, allerdings antwortete er nicht. Ein Streich also doch, aber nicht von Glenda wie er gedacht hatte, denn die hätte sich spätestens jetzt verraten und sich schon gar nicht entschuldigt oder sich selbst als kindisch bezeichnet. Er legte das Handy beiseite und nahm sich vor, nicht mehr darauf einzugehen. Ein Streich, der offensichtlich missglückt war. Tiefer rutschte er in die Laken und war bemüht darum, noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen bevor ihn am Sonntagmorgen sein Biorhythmus kurz vor neun Uhr weckte. Er verließ das Zimmer und frühstückte in der Lobby des Hotels. Das Frühstück war gut, das Ambiente angenehm und beruhigend. Seine Anstellung brachte es mit sich, dass er viel reiste, um sich mit Investoren zu treffen oder mit den Gründern von Firmen, an denen sein Chef, Henry Baker, interessiert war. Eines Tages würde das vielleicht ein Ende haben, aber noch war er auf diesen Mann angewiesen, wenn er weiter die Miete seiner Wohnung zahlen wollte. Erst als er am späten Vormittag auf sein Handy sah, um seine E-Mails zu kontrollieren, erinnerte sich Matthew an diese merkwürdige Begebenheit des gestrigen Abends. Lächelnd schüttelte er den Kopf und wandte seinen Blick aus dem Seitenfenster des Taxis, in dem er sich befand. Wahrscheinlich ein junges Mädchen, das im Beisein ihrer Freundinnen gezwungen wurde, so eine Nachricht zu schreiben oder sie hatten sich alle überlegt, wie witzig es wäre, einem Fremden zu texten. Vielleicht steckte auch eine romantische Vorstellung geprägt durch Film und Fernsehen dahinter.
Er hatte sich heute einiges vorgenommen. Wenn er schon in L.A. war und den heutigen Tag frei hatte, wollte er auch etwas von der Stadt sehen. Beverly Hills interessierte ihn weniger, aber die Crystal Cathedral kannte er noch nicht und der Taxifahrer, der vor ihm im Wagen saß und zu der leisen Musik, die das Autoradio von sich gab, den Kopf hin und her wog, hatte ihm ein Restaurant in Little Tokio empfohlen. Erst als er am Abend zurück im Hotel durch das mehr als bedrückende Fernsehprogramm schaltete, kam ihm der Gedanke an diesen unbekannten Menschen erneut. Er tauschte Fernbedienung durch Handy aus.