Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


Скачать книгу
mit den Fingern in der Nase bohrte. Darauf sperrte Jupiter mit der Strenge eines in Zorn geratenen Herrn und Meisters den kleinen Monsieur Amor in eine schwarze Kammer und gab ihm auf, das Verbum amo zwanzigmal zu konjugieren. Dann kam das Finale, ein Chorgesang, der von den Schauspielern und dem Orchester brillant ausgeführt wurde. Aber als der Vorhang fiel, bemühte sich die Claque vergeblich, einen Hervorruf zu erzwingen; alles stand auf und bewegte sich ohne Verzug zu den Ausgängen. Man stampfte mit den Füßen, schob und stieß sich, zwischen den Reihen der Fauteuils eingezwängt, und tauschte seine Eindrücke aus. Ein einziges Wort fand schließlich den Weg durch die Menge: »Blödsinn! Gräßlicher Blödsinn!«

      Ein Kritiker meinte, daß man das Ding ganz gehörig zusammenstreichen müsse. Um das Stück kümmerte man sich übrigens wenig; hauptsächlich sprach man von Nana. Fauchery und Faloise, die unter den ersten waren, die das Theater verließen, trafen im Orchestergang mit Steiner und Mignon zusammen. Es war zum Ersticken heiß in diesem engen, wie ein Minenschacht zusammengepreßten Gang, der von Gaslampen erhellt wurde. Sie blieben einen Augenblick am Fuß der Treppe unter dem Schutz des Geländervorsprungs stehen. Die Zuschauer der oberen Logen und Galerien polterten die Treppe herab.

      »Ich kenne sie!« rief Steiner, sobald er Faucherys ansichtig wurde. »Ganz gewiß, ich habe sie schon wo gesehen ... Im Kasino, glaube ich, und dort ist sie arretiert worden, so betrunken war sie.«

      »Ich bin mir nicht ganz klar«, bemerkte der Journalist, »aber es geht mir wie Ihnen, ich bin ihr auch schon irgendwo begegnet.«

      Er senkte die Stimme und setzte lachend hinzu:

      »Vielleicht bei der Tricon!«

      »Gewiß in irgendeinem Schmutzwinkel!« konstatierte Mignon, der lebhaft aufgeregt zu sein schien. »Es ist jämmerlich, daß das Publikum die erstbeste hergelaufene Person derartig aufnimmt. Es wird bald kein einziges anständiges Frauenzimmer mehr beim Theater sein ... Den Teufel auch, wenn's mir zu bunt wird, so untersage ich meiner Rose alles weitere Spielen.«

      Fauchery konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

      Ein kleiner Mann, der eine Mütze mit steifem Schirm trug, sagte mit einer schleppenden Stimme:

      »Oh, nicht übel, nicht übel! Ein stattliches Frauenzimmer! Da liegt noch was drin!«

      Im Gange stritten sich zwei junge Männer, die mit gebranntem Haar und hohen steifen Kragen höchst elegant aussahen; der eine wiederholte in einem fort die Worte: »Abscheulich! Erbärmlich!«, ohne einen Grund für sein Urteil zu geben, der andere antwortete mit dem ebensooft gesprochenen Wort: »Reizend! Himmlisch!«, verschmähte aber ebenso jegliche Argumentation.

      Faloise fand Nana ganz vortrefflich; er wagte nur die einzige Bemerkung, daß sie noch bedeutend gewinnen würde, wenn sie ihre Stimme kultivierte. Steiner, der nicht mehr zuhörte, schien plötzlich aus einem Traum emporzufahren. Man müsse abwarten. Vielleicht gehe in den folgenden Akten noch alles schief. Das Publikum habe sehr viel Beifall gezeigt, das sei nicht zu leugnen, aber ebenso sicher sei, daß es noch weit davon entfernt sei, begeistert für die neue Künstlerin zu sein. Mignon beteuerte, daß das Stück unmöglich zu Ende gespielt werden würde, und als Fauchery und Faloise sie allein ließen, um sich nach dem Foyer hinaufzubegeben, nahm er Steiner am Arm, lehnte sich an seine Schulter und flüsterte ihm ins Ohr:

      »Kommen Sie, mein Bester! Sie sollten sich das Kostüm ansehen, das meine Frau im zweiten Akt tragen wird ... Es ist brillant!«

      Oben im Foyer brannten drei Kristallkronleuchter in hellem Lichte. Die beiden Vettern blieben einen Moment lang zögernd stehen; durch die Scheiben der Glastüren hindurch erblickte man eine Woge von Köpfen, die durch zwei Gegenströmungen in einem beständigen Wirbel gehalten wurde.

      Fauchery war, um Atem zu schöpfen, auf den Balkon hinausgegangen. Faloise, der die Photographien der Schauspielerinnen studierte, die zwischen den Säulen hingen, entschloß sich endlich, ihm zu folgen. Eben hatte man die Lampenreihe an der Giebelfront des Theaters ausgelöscht. Draußen war es pechfinster, und ein frischer Luftzug wehte; der Balkon schien leer zu sein, nur ein einzelner junger Herr stand im Schatten über die Steinbrüstung gelehnt und rauchte eine Zigarette, die ab und zu aufglomm. Fauchery erkannte den Herrn: es war Daguenet. Sie tauschten einen Händedruck aus.

      »Was machen Sie denn da, mein Lieber?« fragte der Journalist. »Sie verstecken sich heute in allen Ecken und Winkeln, und an anderen Premieretagen setzen Sie den Fuß nicht aus dem Parkett.«

      »Ich rauche, wie Sie sehen«, erwiderte Daguenet.

      Dann fragte Fauchery, um ihn zu überrumpeln:

      »Sagen Sie doch, Daguenet, was denken Sie denn über die Debütantin? ... Im Foyer und in den Zwischengängen reißt man sie gehörig herunter.«

      »Oh«, gab Daguenet leise zur Antwort, »das sind wohl meist Leute, von denen sie nichts hat wissen wollen.«

      Dies war sein ganzes Urteil über Nanas Talent. Faloise neigte sich über die Brüstung und blickte hinab auf den Boulevard. Die gegenüberliegenden Fenster eines Hotels und eines Klublokals waren hell erleuchtet, während auf dem Trottoir eine schwarze Masse die Tische des »Café Madrid« besetzt hielt.

      Trotz der vorgerückten Stunde war es auf der Straße voll zum Erdrücken: man konnte nur kurze Schritte machen. Aus der Passage Jouffroy kamen beständig Leute heraus. Sie blieben manchmal fünf Minuten lang stehen, bevor ihnen die lange Reihe von vorbeifahrenden Wagen den Übergang gestattete.

      »Welch ein Leben! Welch ein Lärm!« rief Faloise aus, den Paris noch in lebhaftes Erstaunen setzte.

      Ein Läuten ertönte; das Foyer wurde leer. Man eilte die Verbindungsgänge entlang. Der Vorhang war aufgezogen, als noch scharenweise die Hinausgegangenen zum lebhaften Verdruß der bereits Sitzenden den Zuschauerraum wieder betraten und ihre Sitze einnahmen. Der erste Blick, den Faloise durch den Saal sandte, war auf Gaga gerichtet, aber er war verwundert, den langen blonden Herrn, den er eben erst in Lucys Loge gesehen hatte, jetzt neben Gaga stehen zu sehen.

      »Wie heißt denn dieser Herr?« fragte er.

      Fauchery sah ihn nicht gleich.

      »Ach du lieber Gott, Labordette!« sagte er dann mit der nämlichen halb sorglosen, halb wegwerfenden Miene wie vorhin.

      Die Dekoration des zweiten Aktes rief lebhaftes Erstaunen hervor. Man sah das Innere einer Winkelkneipe der Vorstadt, der »Schwarzen Kugel«, am Fastnachtsdienstag; unsaubere Masken tanzten ein Rondo, dessen Refrain sie mit Hackenklappern begleiteten, und dieser außer Rand und Band geratene Janhagel erheiterte das Auditorium dermaßen, daß das Rondo noch einmal begehrt wurde. Und hier herein trat eben die von Iris irregeleitete Götterschar, die sich törichterweise einbildete, die Erde zu kennen, in der Absicht, ihre Untersuchung abzuhalten. Sie waren maskiert, um ihr Inkognito zu wahren. Jupiter trat als König Dagobert ein, eine Eisenblechkrone auf dem Haupt und die Hosen verkehrt über die Beine gezogen. Phöbus kam als Postillion von Lonjumeau und Minerva als normannische Amme. Unbändige Heiterkeit empfing den Kriegsgott Mars, der eine extravagante Schweizer Admiralsuniform trug. Aber das Gelächter erreichte den Gipfelpunkt, als man Neptun erblickte, der mit einer blauen Leinwandbluse bekleidet war, auf dem Kopf eine hohe aufgeblähte Schirmmütze trug, unter welcher Schmachtlocken an den Schläfen hervorkamen, und der in mächtigen Pantoffeln einherschlurfte, während er mit einer speckigen Stimme die Worte lallte: »Wenn man ein sdlöner Mann ist, so muß man sich auch lieben lassen!« Lautes »Oho!« antwortete ihm, während die Damen ihre Fächer ein wenig höher emporhoben. Lucy lachte in ihrer Proszeniumsloge so laut und geräuschvoll, daß Caroline Héquet sie mit einem leichten Schlag ihres Fächers zur Ruhe auffordern mußte.

      Indessen nahm die Handlung ihren Fortgang. Vulkan lief als perfekter Dandy, ganz in Gelb gekleidet, mit gelben Handschuhen, ein Monokel in das rechte Auge geklemmt, beständig hinter Venus her, die endlich als Hökerweib auf der Bühne erschien, ein Tuch um den Kopf geschlungen, mit bloßen, von dickem Goldschmuck behangenen Brüsten. Nana war so weiß und so fett, so natürlich in dieser starke Hüften und ein kräftiges Mundwerk erheischenden Rolle, daß sie im Flug das ganze Auditorium gewann. Man vergaß über ihr völlig Rose Mignon, das reizende


Скачать книгу