AMANDA. Bo Bowen

AMANDA - Bo Bowen


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sie nicht gar irgendwohin verschleppt wurde und als Sklavin gehalten wird.“

      Yvonne sieht mich verunsichert an. „Glaubst du wirklich? Das wär ja furchtbar.“

      „Da kann ich sie beruhigen“, erklingt hinter uns eine tiefe Männerstimme. Ich zucke zusammen und fahre herum, während das Adrenalin in meinen Körper schießt. Fast wäre ich dabei noch gestrauchelt, doch ein fester Griff an meinem Arm verschafft mir den nötigen Halt. „Entschuldigen sie bitte“, fügt er hinzu. „Ich wollte sie nicht erschrecken. Mein Name ist Benedikt, Benedikt Harving.“

      „Amanda“, sage ich hastig. „Ich heiße Amanda und das ist meine Freundin Yvonne.“ Ich sehe keinen Grund, einem Wildfremden meine ganzen Namen zu verraten und will Yvonne zuvorkommen, ehe sie zu viel von uns preisgibt.

      Benedikts Gesicht ist markant und braungebrannt. Die Lippen, die zu einem einladenden Lächeln geöffnet sind, können vermutlich auch sehr energisch wirken und seine Nase ist ein wenig zu lang, obwohl sie auf den zweiten Blick gut zu seinen restlichen Zügen passt. Das volle blonde Haar, das er in einer ebenso unauffälligen wie schmucken Kurzhaarfrisur trägt, ist nur einen Tick dunkler als meines, doch all das verblasst neben den wasserblauen Augen, deren Blick auf mir ruht, als hätte er soeben ein Einhorn erblickt. Ich versuche sein Alter zu schätzen, komme aber auf keinen grünen Zweig. Er kann ebenso gut dreißig sein wie fünfundvierzig und trägt jene Gelassenheit zur Schau, die allzu oft aufgesetzt wirkt, ihm aber überraschend gut zu Gesicht steht.

      „Was sehen sie?“, erkundigt sich Benedikt mit einem Nicken in Richtung des Bildes, das mich so aus der Fassung gebracht hat, und diesmal höre ich einen leichten Akzent aus seinem kultivierten Deutsch, den ich nicht einordnen kann. Erst als ich mich umwende, bemerke ich, dass seine Hand noch auf meinem Arm liegt und im nächsten Moment vermisse ich die warme Berührung, als er sie jäh zurückzieht.

      Obwohl sich mein erster Zorn über die unmenschliche Behandlung der armen Frau gelegt hat, weiß ich, dass ich im Recht bin. Außerdem will ich mich nicht von ihm manipulieren lassen und so sehe ich keinen Grund mich zurückzuhalten. „Ich sehe eine Frau, die erniedrigt wird und gequält. Ich kann nicht erkennen, ob die voyeuristische Gier des Betrachters, die perversen Gelüste des unbekannten Täters oder doch die Geldgeilheit des Fotografen im Vordergrund steht, aber es interessiert mich auch nicht.“

      Er nickt mit einer wissenden Arroganz, die mich gleich wieder auf die Palme bringt. „Für ein nicht vorhandenes Interesse reagieren sie recht heftig“, merkt er an. „Vielleicht geht es darum, sie emotional zu erreichen, ein Gefühl zu befreien, das sie tief in sich weggeschlossen haben. Sie empfinden Wut, doch entstammt aus dieser heraus nicht auch ihre Kraft?“

      „Natürlich bin ich wütend!“, Ich übergehe seine hobbypsychologischen Ambitionen und bringe die Sache auf den Punkt. „So etwas tritt die Rechte der Frauen mit Füßen, als hätten die letzten einhundertfünfzig Jahre nie stattgefunden. Das ist inakzeptabel.“

      „Frauenrechte?“ Er legt den Kopf schief und schmunzelt, als wäre ich die Erste und Einzige, die dieses Bild damit in Verbindung brächte. Dann erhellt sich seine Miene, als hätte ich ihm soeben die Erkenntnis des Abends vermittelt. „Interessant. Aber sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

      „Wieso?“, erkundige ich mich irritiert. „Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt.“

      „Sie haben mir gesagt, was sie mit dem Bild assoziieren und welche Schlüsse sie daraus ziehen, aber meine Frage war, was sie tatsächlich sehen.“ Sein Blick ist eindringlich, als sähe er durch meine Augen in die Tiefen meiner Seele. Ich sollte ihn abkanzeln, das seltsame Gespräch beenden und diesen abartigen Ort verlassen, doch etwas hält mich davon ab.

      „Ich weiß nicht, was ich denken soll“, schaltet sich Yvonne ein, die ich im Eifer des Gefechts völlig vergessen habe. „Es liegt unzweifelhaft Schmerz in ihrer Miene, aber auch eine ungewisse Erregung. Ich glaube nicht, dass sie Angst hat und sie zeigt eine Entschlossenheit, als wollte sie etwas durchziehen.“

      Unfug, will ich erwidern, entscheide mich aber für einen zweiten Blick auf das Bild. Menschen mit Vorurteilen stoßen mich ab. Ich pflege sie in die Ecke zu drängen, bis sie zugestehen, nicht alles bedacht zu haben, doch diesmal bin vielleicht ich diejenige, die voreilige Schlüsse gezogen hat. Also werde ich sein Spiel mitspielen, bis ich ihm klar machen kann, mit welchen Details ich meine Einschätzung über dieses Machwerk untermauern kann.

       Was sehe ich?

      Die Augen der Japanerin zeigen tatsächlich eine wilde Entschlossenheit, als könne sie sich nur Kraft ihrer Gedanken über die Allmacht ihres Peinigers hinwegsetzen. Ja es scheint fast, als hielte sie das Heft in der Hand und würde nur darauf warten, was als nächstes geschähe. Die kleinen Brüste quellen zwischen den unnachgiebigen Stricken hervor. Die geklammerten Warzen sind fast weiß, doch die Höfe zeigen deutlich hervortretende Poren, was auf eine erhebliche Erregung schließen lässt, eine Erregung, der ich mich nicht entziehen kann, als ich mir der erotischen Ästhetik des Bildes bewusst werde. Ich bringe gerade noch genügend Selbstbeherrschung auf, nicht zu erschauern, als ich von einem jähen Pulsen zwischen meinen Beinen überrascht werde.

      „Sehen sie dieses Zittern im Mundwinkel, fast, als könne die Photographie des Moments mehr als diesen einfangen?“, höre ich Benedikts Stimme. „Hier, diese Fältchen am Auge. Sieht das nach Leid aus?“

      Ich will ihm widersprechen, bin aber vollauf beschäftigt, mit den unerklärlichen Reaktionen meines Körpers klar zu kommen.

      „Das arme, ausgebeutete Ding hier hat für die Serie zwölftausend Dollar bekommen – und die schärfsten Orgasmen ihres Lebens“, fährt er fort. „Das waren ihre Worte“, fügt er hinzu, als wir ihn mit zweifelnden Blicken bedenken. „Dieses Bild entstand etwa drei Sekunden vor ihrem zweiten Höhepunkt. La Morte Petite, wie die Französinnen sagen, ‚der kleine Tod‘. Leid und Erfüllung als Gegensätze, die sich treffen. Wussten sie, dass diese französische Wendung auch in Japan geläufig ist?“

      „Ist sie eine Masochistin?“, flüchte ich mich in ein letztes Klischee.

      „Masochistin? Nein.“ Ben ist sichtlich belustigt. „Kuyn ist ein international erfolgreiches, gut bezahltes Modell. Die Bereitschaft, sich auf etwas Unkonventionelles einzulassen, steckt in jedem von uns, doch die wenigsten wagen es ihr nachzugeben. Manche springen lieber ohne Fallschirm aus einem Flugzeug, als sich völlig in die Hand eines anderen zu begeben, aber die Grundidee ist die gleiche.“

      „Wow“, platzt Yvonne heraus. „Sie sind der Fotograf. Sie sind Ben Hardworth. Sie waren unartig. Sie haben uns angelogen.“ Sie flirtet den Mann derart ungeniert an, dass ich fast rot werde.

      „Ein Pseudonym“, zieht er sich aus der Affäre. „Ein Künstlername. Ich hoffe, mein Geheimnis ist bei Ihnen gut aufgehoben. Sie wissen ja gar nicht, was für einen spontanen Shitstorm die Verbände in den sozialen Medien organisieren können, vor allem die Frauenrechtlerinnen.“ Er grinst mich derartig ungeniert an, dass ich mir ein Mauseloch wünsche, in das ich mich verkriechen kann.

      „Sie sind Amerikaner?“, erkundige ich mich um Zeit zu gewinnen – und um Yvonne den Wind aus den Segeln zu nehmen.

      „Ich bin in Amerika geboren“, gibt Ben bereitwillig Auskunft. Erst im zweiten Moment, bemerke ich, dass er der Frage nach seiner tatsächlichen Herkunft damit elegant ausweicht.

      „Aber wenn sie keine Masochistin ist …?“, zieht Yvonne das Gespräch wieder an sich.

      „Das Wichtigste ist absolutes Vertrauen“, antwortet Ben. „In jedem von uns steckt das Bedürfnis nach Abhängigkeit, sowohl im passiven, als auch im aktiven Part. Sobald sie sich uneingeschränkt aufeinander einlassen, entdecken sie die darin verborgene Kraft und es macht Spaß, diese im Sexuellen zu entfesseln. Kuyn ist da keine Ausnahme.“

      Seine lässige Art reizt mich, stachelt meinen Widerstand an und jetzt hat er sich zu weit vorgewagt. Ich würde ihn nicht mehr vom Haken lassen. „Sie behaupten also ernsthaft, sie könnten so etwas mit jeder Frau machen?“

      „Nicht mit Jeder,


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