Himmelgelb. Gudrun Baruschka

Himmelgelb - Gudrun Baruschka


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Diesmal war sie zwar nicht schuld, aber das wusste ich ja nicht so genau. Mein Bruder schnallte sich ziemlich unbeteiligt die Riemchen seiner Sandalen zu. Und Mutter rief gerade aus dem Schlafzimmer, dass ich den Ofen ganz ausschalten solle, damit die Kohlrouladen nicht verbrannten.

      Das Faltenröckchen stand an der Küchentür; ich wollte hindurch. Meine Bemerkung von vorhin war noch nicht erwidert. 'Wenn ich der Besen bin, dann bist du die Schaufel!'

      Das saß wie eine Ohrfeige. Wir funkelten uns an. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir Mädchen hätten uns geprügelt.

      'Kinder, nun lasst doch mal die ewige Streiterei.' Mutter trat uns in ihrem neuen Sommerkostüm entgegen.

      'Ich trage die Tasche', erbot sich unser Bruder artig, und ich hatte das Gefühl, dass er damit irgend etwas wiedergutmachen wollte. Also durchquerten wir bald besser gelaunt in Vorfreude auf Omas Kuchen den angenehm schattigen Stadtwald.“

      Sie hielt einen Moment inne, nahm zwei, drei Schluck Kaffee.

      „Ich finde ja so eine große Familie echt toll. Hab' leider keine Geschwister“, meinte er. „Zu meiner Mutter hatte ich auch ein super Verhältnis... obwohl... sie hat mir mal auf offener Straße eine runtergehauen, aber das war unterm Regenschirm, da hat's keiner so genau gesehen... Und schuld war ich ja auch.“

      Sie schaute amüsiert, da fuhr er erklärend fort:

      „Muss ich auch so 15 gewesen sein. Arm in Arm mit Frau Mama auf Einkaufstour. Weil es ziemlich regnete, unter einem Schirm, da hatte sie drauf bestanden, ehe ich ganz klitschnass geworden wäre. Ich fand aber ihre kurzen Trippelschritte zu peinlich und blieb bei meinen langen. So kamen wir aus dem Gleichklang, und eine Spitze der Regenschirmbespannung piekte in ihre Hochfrisur. Damals waren Haarteile der letzte Schrei. Kunstvoll in Locken gelegt.. Jedenfalls kam alles in Rutschen, ihre Hand auch... Und aus war's mit dem Bummel... Aber wie ging es denn bei Ihnen weiter?“

      „Tja, erst einmal recht fröhlich. Wir trafen unsere Verwandten in Omas Garten, hatten Zeit und Partner für so manchen Spaß im Spiel zwischen den Wiesen und Büschen... Leider fiel inmitten des schönsten Trubels an der Kaffeetafel die Frage meiner Mutter: 'Hast du auch den Herd ausgeschaltet, Gudy?'

      Da war er, dieser eiskalte Schreck, der mich durchfuhr bis ins Mark, der meine Gedanken zu lähmen drohte. Hatte ich den Gasherd abgeschaltet? Der Streit vom Mittag verwischte meine Erinnerung daran, was ich getan hatte und in welcher Reihenfolge. Entsetzt konnte ich weder nicken, noch den Kopf schütteln, hob nur ratlos die Schultern. Keinen Bissen der Erdbeertorte mit Schlag brachte ich mehr hinunter, saß einfach wie versteinert. Still war's auch in der großen Runde geworden. Jeder überlegte wohl für Bruchteile von Sekunden, welche Gefahr von so einem unbeaufsichtigten eingeschalteten Gasherd und seinem Inhalt ausgehen könne.

      'Da passiert nix', beschwichtigte als erste Tante Chrille. 'Nur eure Wohnung wird verräuchern.'

      'Trotzdem, wir müssen heim. Entweder Gudy allein oder wir alle', überlegte meine Mutter noch.

      'Zu dumm, wir haben alle Alkohol getrunken, sonst wäre ein Rumbringen mit dem Auto kein Problem', bedauerte Onkel Hans und blickte auf seine Armbanduhr. 'Die Straßenbahn fährt aber in 20 Minuten.'

      'Kommt euer Vater denn nicht auch bald her?', fragte meine Oma mit neuer Hoffnung.

      'Ungewiss. Vielleicht kann er uns gerade man nach dem Abendbrot abholen. Darauf können wir nicht warten.' Mutter war nun entschlossen. 'Wir gehen.'“

      „Meine Güte, wie einfach sind solche Dinge heutzutage durch Handys!“, entfuhr es ihrem Zuhörer, und sie nickte.

      „Nun, unser Abschied fiel etwas überstürzt aus. Eilig legten wir den einstündigen Weg zurück. Der Stadtwald nahm uns wieder auf, doch diesmal fror ich im Schatten der Bäume. Meine Mutter sagte kein einziges Wort zu mir, erwiderte auch kaum auf die Fragen meiner Geschwister, die doch mal herumalberten und den Ernst der Situation nicht zu erfassen schienen. Mir wäre lieber gewesen, wenn sie mich ausgeschimpft, mir Vorwürfe gemacht hätte. Ihr Schweigen traf mich wirklich viel tiefer. Am Waldrand, als wir die Straße überquerten, fasste ich mit einem langen Blick den Wohnblock ins Auge...

      Ich hatte in meiner Angst Flammen erwartet oder doch zumindest dicken Qualm aus unseren Fenstern und eine Traube aufgeregter Leute vorm Haus... Tatsächlich war es aber nur von der Julisonne und spätnachmittäglicher Ruhe umgeben. Einige Kinder spielten auf dem Rasen davor. Von irgendeinem Balkon klang eine Radiostimme herunter...

      Hatte ich den Gasherd womöglich doch abgedreht und alle Sorge war umsonst gewesen?

      Ähnliches hatte wohl auch meine Mutter gedacht. Ich konnte die Erleichterung in ihrem verschwitzten Gesicht erkennen... Sie schloss auf – wir stürmten in die Wohnung.

      Unser Sittich begann zu zwitschern – und es roch verbrannt. Die Küche qualmte leicht.

      Herd ausschalten, Fenster öffnen, den geschwärzten Brattiegel mit dem Topflappen herausziehen...

      Ich sah Mutters hastige Hantierungen von der Küchentür aus, aber sie kamen mir vor wie im Zeitlupentempo ausgeführt. Ich musste mich mitten im Flur setzen. Meine Geschwister hatten mich scheu beobachtet. 'Mutti... Gudy ist übel...' Ja, da hat sie sich über mich gebeugt, mir den Ponny liebevoll aus der Stirn geschoben und mich ermuntert: 'Ruf mal bei Oma an und gib durch, dass alles in Ordnung ist.'“

      „Nette Familienschnurre... Gudy... ist das ein Spitzname? Darf ich Sie auch so nennen?“

      „Mhm. Wie wurden Sie gerufen?“

      „Nicht lachen... Zipfel.“

      „Volltreffer!“ Sie lachte doch. „Warum?“

      „Ich war immer der Kleinste. In der Kindergartengruppe. In der Schulklasse. Und zwischen Vater und Mutter auch. Aber erfunden hat ihn meine Lieblingstante, übrigens auch aus Berlin. Die hatte für jede Gelegenheit Sprüche drauf. Wenn ich was ausgefressen hatte, sah sie mir's schon von Weitem an und orakelte: 'Nachtijall, ick hör dir trapsen'. Und wurde ich zur Rechenschaft gezogen für meine Missetaten, tröstete sie dann: 'Nu weene ma nich, nu weene ma nich, inne Röhre steh'n Klöße, die siehste bloß nich'.“

      „Wobei wir wieder bei besagtem Herd wären... Aber diese Altberliner Sprüche kenne ich auch. Tante Chrille, rotwangig und vollbusig, ließ sich mal zu einer entscheidenden Bemerkung hinreißen, weil ich mir beim Tragen neuer Schuhe immer, aber auch wirklich immer, blutige Hacken hole: 'Berliner Schuhe und pommersche Beene, det passt einfach nich'... Ich nehm's ihr heut noch übel.“

      Jetzt lachte er.

      Ehe sie vom Restaurant aufbrachen, rückte sie sich noch schnell am Foyer-Spiegel ihr kupferfarbenes Haar zurecht. Er beobachtete es aus den Augenwinkeln, fand es aufregend. Eindringlich fragte er:

      „Sie werden doch jetzt nicht gehen wollen? Wie wäre eine Motorradtour durch die Gegend? Ich kenne mich aus und das Wetter ist schön dafür heute.“

      Überrascht blickte sie in den sonnigen Himmel, auch in bernsteinbraune Augen. War einverstanden. Gut, dass sie Jeans und nicht den schmalen Rock trug, den sie heut' früh noch überlegend in der Hand gehalten hatte.

      „Was wird aus meinem Gepäck?“

      Sie gaben es am Bahnhof in ein Schließfach.

      „So, und woher nehmen wir das Motorrad?“, blitzte sie ihn unternehmungslustig an.

      „Darf ich bitten...“

      Er wies in Richtung Parkplatz. „Meine MZ steht bereit.“

      „Sie scheinen ja schon alles geplant zu haben. Sprechen Sie jeden Tag Frauen am Bahnhof an?“

      „Was Sie denken... Es ist nicht so, wie es scheint. Lassen Sie Ihr Herz sprechen. Es wird interessant werden..., na?“

      Sie hatte ihn wieder angeschaut; unmöglich, seine gutmütige Erwartung zu enttäuschen.

      „Berliner Pflanzen sind keine Mauerblümchen... Los!“

      Die alte, gut gepflegte


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