Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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mit Tim, der nicht verstehen kann, warum er mich ausgerechnet einen Tag, bevor er kommen will, nicht erreicht. Dann die von Ellen, die mich vergebens an der Bushaltestelle erwartet hatte und in jeder Pause versuchte, mich zu erreichen. Ihre SMSen, die zusätzlich mein Handy überfluten, werden von morgendlichen Wutanfällen bis hin zu nachmittäglichem Flehen, mich doch endlich zu melden, immer länger. Während sie morgens nur wütend schrieb: „Wo bist du? Kannst du dich nicht abmelden, wenn du nicht zur Schule kommen willst?“, schreibt sie nachmittags ganze Texte von wegen, ich könne mit allem zu ihr kommen und sie wäre doch immer für mich da.

      Tim schrieb mittags erneut, ob alles in Ordnung ist und ich solle mich unbedingt melden.

      Ich schreibe ihm zurück, dass er mich morgen anrufen soll, wenn er da ist und dass wir uns dann treffen.

      Ellen schreibe ich, dass sie sich keine Sorgen machen soll und ich mich später noch bei ihr melde.

      Marcel schreibe ich besser erst später. Er soll nicht genug Zeit zum Nachdenken haben.

      Mein Bus kommt und ich steige ein, eine SMS von Erik ignorierend, die auch noch wartet, als mein Handy in meiner Hand vibriert. Ich lasse es fast fallen, weil ich mich so erschrecke.

      Mich auf den nächstbesten Sitz werfend, sehe ich auf das Display. Es ist Ellen2. Also ein Anruf von Erik.

      Fast panisch drücke ich das Handy aus. Den kann ich jetzt nicht verkraften. Außerdem ist er der Einzige, der es immer wieder schafft, mich dahin zu bringen, wo ich gar nicht hinwill. Bestimmt hat Ellen ihm gesagt, dass ich nicht in der Schule war und auch, dass sie mich den ganzen Tag nicht erreichen konnte.

      Ich sehe seinen Blick vor mir, als ich ihn in seinem Mustang vor dem Bahnhof zurückließ. Er wirkte tatsächlich so, als mache ihm mein schneller Abgang etwas aus. Das ist nicht der alte Erik. Mir ist lieber, er ist wütend auf mich. Das passt besser zu ihm.

      Als ich an meiner Bushaltestelle aussteige, habe ich erneut einen langen Weg vor mir. Aber als mich das ländliche Idyll umfängt, atme ich auf. Hier finden mich zumindest die Geister aus meiner Osnabrücker Welt nicht. Weder Ellen noch Erik wissen, wo ich hier zu finden bin. Das ist mein kleiner Ort der Zuflucht.

      Als ich endlich bei unserem Haus ankomme, bin ich völlig verschwitzt und müde. Ich schließe die Haustür auf und werde von der Kühle des Hauses empfangen. Sofort gehe ich in mein Zimmer hoch, betrete mein mir so vertrautes Reich und schließe die Tür zur Außenwelt. Ein wenig kann ich nachvollziehen, wie es Erik geht, wenn er seine Paniktür hinter sich schließen kann.

      Das hier ist mein Panikraum. Leider habe ich keine Paniktür, die nur ich wieder öffnen kann.

      Ich lasse mich auf mein Sofa fallen. Wenn ich bei Marcel ausziehen möchte, muss ich hier wieder einziehen. Das behagt mir gar nicht.

      Aber wird Marcel mich überhaupt gehen lassen?

      Bestimmt, jetzt wo er diese Sabrina hat.

      Es tut weh, den Gedanken an eine Trennung unabänderlich ins Auge zu fassen. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig, jetzt, wo er sich sowieso schon einen Ersatz gesucht hat.

      Ich komme gar nicht drüber weg, dass ihn so eine Tussi wirklich nur mit einer SMS rumkriegt. Außerdem muss ich zugeben, dass es auch bei mir nicht so weitergehen kann. Ich darf bei Marcel nicht bleiben, weil das falsch wäre.

      Mittlerweile habe ich dreimal mit Erik geschlafen und es lässt sich da gar nichts mehr schönreden. Ich gehe fremd. Massiv fremd. Und das heißt doch nur, dass da etwas nicht stimmt. Aber warum hänge ich dann noch so an Marcel?

      Erneut laufen mir Tränen über das Gesicht und ich weiß, wenn ich jetzt nicht aufhöre zu heulen, dann werden meine Eltern später sofort sehen, dass etwas nicht stimmt und ich darf mir unnötig viele dumme Fragen anhören. Was werden sie überhaupt sagen, dass schon wieder Schluss ist?

      Mein Vater wird unendlich enttäuscht sein. Aber er kann ja trotzdem mit Marcel zum Fußball gehen … und Sabrina wird das neue Maskottchen.

      So sehr ich es hasste, wenn Marcel durch die Ränge lief, um mich vor allen zu küssen, so sehr hasse ich den Gedanken, dass er das mit einer anderen tut.

      Ich hieve mich vom Sofa und beschließe erst mal zu duschen. Vielleicht sehe ich dann auch nicht mehr so fertig und verweint aus.

      Als ich aus dem Badezimmer komme und geduscht, gut duftend und mit geföhnten Haaren mich wieder wie ein Mensch fühle, steht meine Mutter in der Tür.

      „Carolin!“, ruft sie erschrocken. „Du hast mich erschreckt! Ich dachte schon, wir hätten Einbrecher im Haus.“

      „Ich wollte mit euch über Freitag sprechen und schauen, ob Post für mich gekommen ist. Außerdem dachte ich mir, ich schlafe heute Nacht hier.“

      „Okay“, raunt meine Mutter mit unsicherem Blick. „Ist was mit dir und Marcel?“

      „Ne, passt schon“, antworte ich wage. Ich will das erst mit Marcel klären, bevor ich meinen Eltern wieder unter den Rock krieche.

      Ich helfe meiner Mutter beim Essen machen und frage sie wie nebenbei, ob es überhaupt möglich ist, dass ich Julian besuche und ob ich auch zu der Verhandlung muss.

      Meine Mutter druckst herum und sagt dann entschieden, dass ich auf alle Fälle Julian besuchen kann und meine schriftliche Aussage vor Gericht reicht.

      Ich bin verwirrt und verunsichert. Also werde ich es Freitag tatsächlich darauf ankommen lassen müssen.

      Mein Vater ist auch vollkommen überrascht, mich zu Hause vorzufinden und fragt auch sofort, ob zwischen mir und Marcel alles in Ordnung ist.

      „Sicher, Papa“, raune ich nur und schiebe meine Hausaufgaben vor, um mich zurückziehen zu können.

      In meinem Zimmer werfe ich mich auf mein Sofa und mache mir leise Musik an. Ich nehme mein Handy und schalte es ein. Sofort laufen mehrere SMSen ein.

      Tim hat zurückgeschrieben: „Alles klar! Ich freue mich auf morgen und melde mich dann bei dir.“

      Ellen schrieb: „Ich mache mir aber Sorgen. Was ist los? Was ist passiert?“

      Ich schreibe ihr zurück: „Es geht mir gut. Ich bin nur ein wenig angeschlagen und schlafe heute Nacht bei meinen Eltern. Ich komme morgen nicht zur Schule. Sag bitte im Sekretariat Bescheid. Danke. Ich melde mich morgen noch mal.“

      Die mittlerweile angehäuften SMSen von Erik beunruhigen mich. Ich will sie nicht öffnen. Aber natürlich tue ich es doch.

      „Ruf mich bitte an.“

      „Carolin, warum drückst du mich weg? Was ist los?“

      Die dritte klingt aufgebracht.

      „Verdammt, melde dich jetzt gefälligst. Ich drehe sonst durch!“

      Ich schreibe Erik mit zittrigen Händen zurück.

      „Es geht mir gut. Mach dir keine Sorgen. Ich brauche nur eine Auszeit … von allem.“

      Das muss für Erik reichen.

      Außerdem muss ich Marcel noch schreiben, werde aber panisch, weil ich weiß, dass Erik mich gleich bestimmt erneut anzurufen versucht, jetzt, wo er weiß, dass ich mein Handy anhabe.

      Ich schalte das Handy lieber schnell wieder aus.

      Es klopft an der Tür und meine Mutter schaut herein. „Ist wirklich alles in Ordnung? Du kannst mit mir reden, wenn du Probleme hast“, sagt sie und lächelt verlegen.

      Ich kann mit ihr Probleme besprechen? Das ist mir neu.

      „Ich will nur meine Ruhe haben. Mehr nicht“, antworte ich ihr und sie sieht mich traurig an und geht wieder. Ich habe jeglichen Bezug zu meinen Eltern verloren. Außerdem habe ich Angst vor ihrer Reaktion, wenn sie erfahren, dass zwischen mir und Marcel wieder Schluss ist.

      Ich mache die Musik aus und den Fernseher an. Ich versuche durch die Probleme anderer, wie es die Serien offerieren,


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