Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten. Ingrid Kaltenegger

Echte Kerzen wären schon schöner. Neue Weihnachtsgeschichten - Ingrid Kaltenegger


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war es, und so kamen die Kinder auf die Idee, ihre Khala, ihre Tante Nesrin zu besuchen. Ihre Khala Nesrin war die ältere Schwester ihrer Mutter und ein paar Monate vor ihnen ins fremde Land gekommen. Allein war sie damals gereist und alleine lebte sie auch nun, in einem anderen Stadtteil, gar nicht so weit entfernt von dem ihren.

      Die Kinder rannten durch das Stiegenhaus hinab in die Backstube, beide noch in ihren Nachtkleidern, und baten ihren Vater um Erlaubnis. Sie wurde ihnen erteilt, und so liefen sie wieder zur Mutter zurück, damit diese die Kinder anzog, oder eigentlich nur das Mädchen, der Junge begann sich selbst anzukleiden und stand bald ungeduldig da.

      Als die Mutter fertig war, sagte sie:

      »Bassam, gib Acht: Weil ich dir das Mädchen mitgehen lasse, so müsst ihr recht aufpassen und gleich, nachdem ihr bei der Khala gegessen habt, wieder nach Hause kommen, denn die Tage sind kurz und die Sonne geht bald unter.«

      »Ich weiß es schon, Mutter«, sagte Bassam.

      »Und pass gut auf Sanna auf, dass sie nicht hinfällt oder verloren geht.«

      »Ja, Mutter.«

      »So, Inshalla, geht noch zum Vater und sagt, dass ihr jetzt fortgeht.«

      Nachdem sich die Kinder verabschiedet hatten, zogen sie Hand in Hand los. Die Mutter sah ihnen nach, wie sie über den Markt in Richtung Straßenbahn gingen, über Bassams Schulter hing die Ledertasche, in die der Vater noch ein Brot für die Tante gepackt hatte. Die kleine Schwester hielt der Bub fest an der Hand, und Sanna machte schnelle Schritte, um mit dem Bruder mitzuhalten.

      Gerne wäre Faizah mitgegangen, sie sorgte sich, wenn die Kinder alleine unterwegs waren, obwohl Bassam schon acht Jahre alt war und sehr vernünftig und verständig. Erst seit einem halben Jahr lebten sie hier bei Mhamed, neun Monate lang hatten sie in einem türkischen Lager auf die nötigen Papiere gewartet, denn der abenteuerliche Weg, den Mhamed illegal gegangen war, war mit den Kindern zu gefährlich gewesen. Schon in dieser Hölle aus Zelten, schlechtem Essen und gefährlichen Menschen hatte sie sich auf den Jungen verlassen können. Er war immer in der Nähe geblieben, hatte sich nie an den Raufereien der anderen Kinder beteiligt und sich rührend um Sanna gekümmert.

      Die Kinder liebten ihre Tante Nesrin, sie war viel älter als ihre Mutter, so dass sie zu den Kindern fast wie eine Großmutter war, die die beiden nach Strich und Faden verwöhnte.

      Bassam hatte den Weg schon einmal alleine zurückgelegt. Seine Eltern erlaubten ihm zwar nie, ihr Viertel ohne ihre Begleitung zu verlassen, aber zur Khala durften sie, das war eine Ausnahme. Einmal war sie krank gewesen, und seine Mutter hatte keine Zeit gehabt, da hatte er die Einkäufe zu Tante Nesrin gebracht, ja, er hatte ihr sogar eine Suppe warm gemacht. Der Vater konnte sowieso nie weg aus seiner Backstube, und die Mutter putzte die Wohnungen von fremden Leuten, jeden Nachmittag. Und wenn sie heimkam, dann putzte sie in ihrer kleinen Wohnung gleich weiter.

      Bassam kannte den Weg genau, gleich da vorne, am Ende des Marktes musste man in die Straßenbahn steigen, vier Stationen fahren und dann noch in eine andere Linie umsteigen. Er hob seine kleine Schwester über die hohen Stufen in die Bahn. Es war kein Sitzplatz frei, alles war voller Menschen mit schweren Einkaufssäcken. Ein junger Mann stand mitten im Wagen und hielt einen kleinen Tannenbaum, um den ein Netz gewickelt war. Sanna stellte sich daneben, blickte Bassam fragend an und begann, an den Nadeln zu zupfen.

      »Lass das«, zischte ihr Bruder in ihrer Sprache, die Sprache, die die meisten Menschen hier nicht verstanden. Doch der junge Mann lächelte sie freundlich an, Bassam senkte die Augen, Sanna lächelte zurück.

      »Bassam?«

      »Ja, Sanna?«

      Sie waren ausgestiegen und warteten an der Haltestelle auf die andere Bahn.

      »Warum hat der Mann einen Baum gehabt?«

      »Das machen die hier. Weißt du, morgen ist Weihnachten, da stellen sich die Menschen einen Baum ins Zimmer und stecken Kerzen drauf.«

      »Warum?«

      »Das weiß ich auch nicht. Ich hab’s in der Schule gelernt. Aber warum sie das machen, das haben sie uns nicht erzählt.«

      Die Tante wartete schon auf die Kinder und winkte ihnen vom Fenster aus zu. Sie nahm ihnen die Jacken ab, führte sie in die Küche, wo ein reichlich gedeckter Tisch bereitstand, und fragte sie, wie es ihnen auf dem Weg ergangen war. Die Kinder stürzten sich auf die Leckereien, Sanna erzählte begeistert vom Straßenbahnfahren und dem Tannenbaum des jungen Mannes. »Khala, weißt du, warum man sich einen Baum ins Zimmer stellt?«

      »Das weiß ich leider auch nicht, Sanna, aber es geschieht zu Ehren des größten Festes der Christen. Da feiern sie, dass Jesus geboren wurde. Es gibt gutes Essen, und die Kinder bekommen Geschenke.«

      »Bekommen wir auch Geschenke, Khala?«

      »Nein, weil ihr keine Christen seid. Ihr bekommt die Geschenke nach dem Ramadan, das weißt du doch.«

      Bassam tunkte sein Brot nachdenklich in den Humus und überlegte kurz, ob er vom Nikolaustag in seiner Schule erzählen sollte. Da hatte er auch ein Geschenk bekommen, ein kleines Säckchen mit einer Mandarine, Schokolade, Nüssen und einem kleinen Buch. Die Mandarine und die Schokolade hatte er sofort gegessen, die Nüsse seinem Sitznachbarn geschenkt, Nüsse mochte er nicht. Das kleine Büchlein über einen Heiligen namens Nikolaus hatte er neben seinem Bett liegen, und immer vor dem Einschlafen las er ein wenig darin.

      »Ihr solltet dann heimgehen, Kinder.« Die Tante unterbrach seine Gedanken. »Es wird früh dunkel, und kälter wird es auch.«

      »Ja, Tante. Wir gehen gleich.«

      Daraufhin stand Tante Nasrim auf und packte Bassams Umhängetasche voll mit allerlei Essen und Naschereien. Vom mitgebrachten Brot schnitt sie noch zwei dicke Scheiben ab, bestrich sie mit Butter und steckte sie in die Tasche des Jungen.

      Die Tante küsste beide Kinder und schob sie zur Tür hinaus, nicht ohne sie vorher zu ermahnen, nicht zu trödeln, mit keinem Fremden zu sprechen und auf dem kürzesten Weg nach Hause zu gehen.

      Viel kälter war es geworden, seit sie von zu Hause aufgebrochen waren, auch war der Himmel nicht mehr blau mit dünnen Wolken, vielmehr war alles wie von einem grauen Tuch bedeckt. Der Wind pfiff kalt durch die Gasse, und Bassam wies seine kleine Schwester an, ihre Hände in die Jackentasche zu stecken, sie hatten beide ihre Handschuhe vergessen.

      Zum Glück kam die Straßenbahn rasch und die Kinder stiegen ein. Diesmal waren nicht viele Leute unterwegs, sie bekamen sogar einen Sitzplatz, Sanna rutschte ans Fenster und drückte ihre Nase gegen die kalte Scheibe.

      Nach einer Weile schob Bassam seine Schwester zur Seite, wischte mit dem Jackenärmel die angelaufene Scheibe sauber und versuchte zu erkennen, wo sie gerade waren. Die Fahrt kam ihm viel zu lange vor, sie hätten längst an der Umsteigestelle sein müssen. Als er bemerkte, dass keine anderen Menschen mehr im Wagen waren, sie und der Fahrer waren die Einzigen, blieb die Straßenbahn auch schon stehen, und die Türen gingen auf. Durch den Lautsprecher schallte eine Ansage, aber Bassam verstand kein Wort und beschloss, einfach sitzen zu bleiben und abzuwarten.

      Der Fahrer öffnete die kleine Tür und kam nach hinten in den Wagen. Sanna hielt Bassams Hand und schaute den Mann neugierig an, der sich vor die Kinder stellte und zu reden begann. Bassam verstand nur wenige Worte, kaputt, Garage, aussteigen. Der Fahrer deutete mit dem Arm in Richtung Tür, und da packte Bassam seine kleine Schwester und sprang mit ihr aus dem Wagen.

      Sie standen in einer Halle, in der sich lauter Straßenbahnen befanden, wahrscheinlich war das eine Art Garage für Straßenbahnen, dachte Bassam und ging zielstrebig in Richtung Ausgang.

      »Komm Sanna, komm mit, wir müssen zurück, damit wir den richtigen Weg finden.«

      »Ja, Bassam.«

      »Wir suchen uns einfach die Station in die andere Richtung und fahren wieder zurück. Dann erkenne ich es bestimmt wieder, und ich weiß, wo wir umsteigen müssen.«

      »Ja,


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