Das Dorf am Grunde des Sees. Gabriele Behrend

Das Dorf am Grunde des Sees - Gabriele Behrend


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Er hätte ihn mir verkaufen sollen, der Narr. Dann hätte er ein hübsches Sümmchen machen können.« Die Händlerin schnalzte mit der Zunge. »Willst du mir den Tand verkaufen? Du könntest dir etwas aus meinem Fundus aussuchen und ich würde dir noch obendrein ein gutes Startkapital aushändigen. So ein bisschen Klimpergeld kann nicht schaden.«

      Claire strich sich über den Kaftan. Sie hatte sich in ihn verliebt, in die Stickereien, die Farben – und er trug sich so unglaublich weich auf der Haut. So schüttelte sie den Kopf.

      »Tut mir leid, der steht nicht zum Verkauf. Aber vielleicht das hier?« Claire sah auf den Ring, den sie erst wenige Tage zuvor in dem Dorf oben, am Ufer des Sees, erstanden hatte. Sie erinnerte sich an das rudimentäre Gespräch mit dem Händler, der weder Deutsch noch Englisch sprach und mit dem sie aber letztlich ins Geschäft gekommen war, mit Händen und Füßen und ihrem Handy-Dolmetscher. Den Reif hatte sie lieb gewonnen, doch wenn sie sich schon von etwas trennte, dann lieber von eben diesem Ring.

      Sie streifte das Kleinod schnell entschlossen ab und reichte ihn der älteren Frau. Diese setzte sich eine Diamantenlupe ins rechte Auge und studierte das Schmuckstück.

      »Keinen Wert«, gab sie nach der Prüfung zum Besten. »Touristenschmock.«

      Claire hielt der Marketenderin die Hand hin. »Dann geben Sie ihn mir zurück, bitte.«

      »Ah, Kleine, man nennt mich die fliegende Händlerin, die mit allen auf Du und Du ist. Also hör’ mit der gestelzten Höflichkeit auf. Ich bin Emma. Aber das bleibt unter uns.«

      Das Mädchen nickte ergriffen.

      »Und wer bist du?«, hakte die Krämerin freundlich nach.

      »Claire Lindenbaum«, erwiderte die verspätet. »Und was machen wir damit?« Sie wies mit ihrem Kinn zu dem Ring, der noch immer in Emmas Hand lag.

      Die besah sich den Stein ein zweites Mal und nickte dann leicht. »Dekorativ ist er ja. Da wird sich sicher einer finden, der das Schätzchen mitnimmt.« Damit steckte sie ihn sich an den rechten Mittelfinger.

      Claire fiel erst jetzt auf, dass die Finger der fliegenden Händlerin all überall mit Ringen der verschiedensten Couleur bestückt waren.

      »Ist das deine Auslage?« Claire grinste. »Sieht ja beeindruckend aus.«

      Emma erwiderte das Grinsen. »Man muss ja zeigen, was man hat.«

      »Was hast du denn noch?«

      Die Krämerin vollführte eine einladende Geste. »Sieh dich um, in aller Ruhe. Ich mache so lange unser Geschäft dingfest.«

      Claire näherte sich den feilgebotenen Waren. Sie stöberte durch die verschiedensten Stoffe und Textilien. Da gab es Krinolinen, Reifröcke, Mieder der unterschiedlichsten Machart, aus Samt, aus Leder, aus Metall, aus Plastik, alles Waren, die Claire so bisher nie in den Händen gehalten hatte. Als ihr ein Wams zwischen die Finger geriet, entfuhr ihr ein »Davor!«

      Emma merkte auf, sah zu ihr hinüber und lächelte. »Ich sehe, du verstehst so langsam unseren Spleen. Moment!« Sie trat neben Claire, griff in die Kiste und zog einen spitzenbesetzten Body mit Druckknöpfen im Schritt hervor. »Von wann ist das?«

      »Danach?«

      »Genau.« Emma nickte bekräftigend, griff erneut in die Kiste und beförderte ein Kleidungsstück an die Oberfläche, dass zu viele Falten und Nischen und Ärmel hatte, als das Claire die Anatomie der Trägerin abschätzen konnte. Dass es weiblich war, mutmaßte sie anhand der Farben und des Musters. Aber wer wusste das schon genau?

      »Und was ist das?« Emma baumelte mit dem Textil vor Claires Nase herum.

      »Ich weiß es nicht.«

      »Das ist ein Daneben.«

      »Was willst du mir damit sagen?«

      »Nun, geh zur Schmiede, kaufe einen Nagel und lass ihn dir zu einem Ring formen. Dann hast du ein einzigartiges Andenken an das Dorf und kannst dir anschauen, was ›Daneben‹ wirklich bedeutet.«

      »Aber womit kann ich etwas kaufen?«

      Emma klopfte sich auf ihre Börse, öffnete sie und entnahm eine Handvoll Münzen, Steine und Knöpfe. »Hier hast du dein Handgeld für den Ring. Setz’ es gut ein.«

      »Soll ich da jetzt wirklich rausgehen?«

      »Irgendwann musst du dich ihnen zeigen, Süße.« Emma tätschelte Claires Schulter. »Und vergiss nicht, du hast jetzt eine Aufgabe. Geh zur Schmiede. Und grüß den Tylla von mir.«

      »Tylla ist der Schmied?«

      »Jepp. Ein feiner Kerl. Lass’ dich nur nicht ins Bockshorn jagen.«

      »Warum denn?«

      »Geh einfach hin.« Emma machte dicht.

      Claire steckte sich das Handgeld in die Hosentasche, winkte der Krämerin und wandte sich dem Markttreiben zu. Das bestand aus vielen kleinen Ständen, an denen Lebensmittel wie Gemüse, Brot, Honig und Obst feilgeboten wurden. Haushaltswaren, eine Seifensiederei, Bürsten und Besen und immer wieder Strickwaren, textiles Allerlei, Arm- und Beinstulpen, Schuhe, Kappen und Mützen. Überall scharten sich Menschen darum, begutachteten und prüften die Waren, unterhielten sich mit den Händlern oder untereinander.

      Aber da waren ebenfalls andere, die Claire unpassend empfand. Sie wirkten wie aus der Zeit gefallen, obwohl sie die Kleidung trugen wie die Dörfler. Es lag an ihrem Gehabe, ihrem Auftreten, an den forschenden Blicken.

      Claire kam sich auf einmal wie ein fein gestimmtes Instrument vor, sie spürte Schwingungen um sich herum, es prickelte auf ihrer Haut und kroch ihr in den Nacken hoch. Sie verkroch sich in ihren Kaftan, duckte sich. Es war ihr, als zöge sich der Boden unter ihr weg. Mit einem Stöhnen kippte sie seitlich auf die weißlich glühende Straße, schlug mit dem Kopf auf einen Stein und verlor das Bewusstsein.

      »Hallo?« Claire hörte eine Stimme, eine junge, männliche. »Hallo? Komm zurück zu uns!«

      Sie wimmerte.

      »Hey, hey. Alles gut.« Der junge Mann klang besorgt. »Wer bist du denn?«

      »Claire«, murmelte sie. Dann hob sie die Lider langsam und sah in ein offenes freundliches Gesicht mit dunkelbraunen Augen und von welligen Haaren umgeben. Sie lächelte unwillkürlich.

      »Lindenbaum«, schob sie hinterher. »Claire Lindenbaum.«

      »Gio Dante.« Seine Stimme klang aufrichtig und ernst, aber die Lachfältchen um seine Augen sprachen Bände. »Giovanni Dante. Der dritte Dante-Bruder.«

      »Oh«, entfuhr es Claire. »Ein dritter Bruder? Wie im Märchen?«

      »Tja«, erwiderte Gio. »Das konnte ich mir nicht aussuchen. Kannst du aufstehen?«

      »Ich weiß nicht. Ist eben alles schwarz geworden um mich.«

      »Dein erster Besuch?« Gio lächelte verständnisvoll. »Da kann das mal passieren. Warte, ich helfe dir.«

      Entschieden schob er seinen Arm unter Claires Schulter und richtete sie auf. Sie half mit, zunächst zögerlich, dann aber ebenso nachdrücklich, wie Gio sie zog. Gemeinsam rappelten sie sich hoch, stießen kurz mit den Köpfen zusammen und standen dort mitten auf der Straße und starrten sich unverhohlen an.

      Gio hatte nie zuvor ein Mädchen wie Claire gesehen. Die kurzen Haare waren so ungewohnt für ihn, dass er seinen Blick nicht davon löste. Sie wirkten so frech und ungebärdig.

      Claire bemerkte das und strubbelte sich durch die kurzen Strähnen, auf das diese wild ihren Kopf umstanden. »Besser so?«, meinte sie ironisch.

      Gio lachte auf. »Ja, besser sogar noch als eben!« Ihm war die Ironie vollkommen entgangen.

      Claire hingegen lernte zwei Dinge. Zum einen, dass ihre kurzen Haare hier zwar befremdlich, aber kein Ausschlusskriterium waren und zum anderen, dass Gio sie gern hatte. Wenigstens ein klein wenig. Sonst gäbe er sich nicht so. So, als ob er, sie schmunzelte leicht, von Unschuld


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