Filmgenres: Horrorfilm. Группа авторов
drohend aufgerichtete Schatten Orloks von Hutter ablässt. Oder: Ellen erwartet ihren Mann am Meeresstrand, auf einem vom Dünensand verwehten Seemannsfriedhof, obwohl sie weiß, dass er zu Pferde unterwegs ist. Über See indes kommt Nosferatu. Wartet Ellen in Wahrheit auf ihn, den seltsamen Liebhaber?
Die Schlusssequenz des privaten Dramas lässt immer deutlicher erkennen, dass sich Ellen zwischen zwei Mächten oder Männern gefangen sieht und die magische Anziehungskraft des Übersinnlichen ihr irdisches Treuegelöbnis überwindet. Das tragische Gesicht der Schauspielerin Greta Schröder mit seinen tiefliegenden Augen und ihre pathetisch jähen Gebärden charakterisieren die hochempfindsame Frau als Gezeichnete, als fromm-inbrünstige Heroine, doch als Braut des Bösen öffnet sie das Fenster mit dem ›expressionistischen‹ Ausdruck sich hingebender Ekstase, der weit geöffnete Körper mit hochgerissenen Armen, gleichsam ein Signal dafür, dass der Vampir bei ihr eintreten dürfe. Das Kalkül geht auf, Nosferatu bleibt zu lange bei der Geliebten, verbissen in ihren Hals, und vergeht zu Rauch im Morgenschein der Sonne, Ellen hingegen kostet ihre Heldentat das Leben. Handelt sie im Film schlafwandlerisch, wirkt sie im Drehbuch viel aktiver: Im 172. Bild – es wird erst gar nicht gedreht (in Murnaus Handschrift ist auf dem Blatt zu lesen »fällt weg«) – feiert Galeens Skript Ellens ›Martyrium‹ als perverse Liebesnacht. Murnau empfand diesen starken, unzweideutigen Orgiasmus aus Schmerz und Lust anscheinend als zu drastisch, zu offenkundig. Er dämpft, verschleiert die sexuellen Indizien, verschiebt den Vorgang ins Halbdunkle der Andeutungen, nimmt Nosferatu den im Drehbuch öfter beschworenen Charakter des Raubtiers, eignet sich poetische Metaphern für die visuelle Erzählung an – lässt etwa den Schatten der Greifhand des Ungeheuers auf Ellens Herzgegend fallen und sich dort zusammenkrampfen. So entzieht Murnau seinem Film die Zeichen der Herkunft von Bram Stokers viktorianischer Einbildung eines Überlibertins Dracula, dem die Frauen nicht widerstehen können, dem sie vielmehr verfallen. Bei Murnau ist Nosferatus Verglühen auch ein Liebestod. Wie er hinter dem Fenstergitter des »öden Hauses« (so heißt es im Drehbuch), von einem kalkbleichen Seitenlicht beschienen, auf ein Zeichen Ellens wartet, ist er nicht von einem irdischen Liebhaber zu unterscheiden, der in der Nacht zum Haus der Geliebten hinüberstarrt, um einen Wink zu erhaschen, der ihn dazu ermutigt, sich zu nähern. Nur ist der beharrliche Galan von erschreckender Gestalt, ein Monstrum, kein Gentleman wie Dracula bei Bram Stoker, vielmehr ein todbleicher Geselle mit kahlköpfiger Gespensterfratze, wie von Alfred Kubin ersonnen, eine Schreckfigur (deren Darsteller auch noch Max Schreck hieß), ein missratener Mephisto mit zwei Nagetier-Vorderzähnen, eben ein Herr der Ratten und der Mäuse deutscher Tradition: oft elegant angezogen, feine Schuhe an den Füßen, nur mit einem greisen riesigen Kinderkopf oder Tierschädel auf gebeugter hagerer, merkwürdig verformter Gestalt, mit langfingrigen Krallenhänden ausgestattet. Diese Tendenz verstärkt Werner Herzogs Remake Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) und macht aus der Titelfigur in der Interpretation Klaus Kinskis eine leidende tragische Kreatur, die nicht mehr Furcht, sondern Mitleid erregt.
Die Schreckenschronik, die sich in Murnaus Nosferatu entfaltet, könnte unter dramaturgischen Aspekten als Nebenhandlung gelten, obwohl auch hier die Welt Nosferatus verderblich – wie die Ehe der Hutters – das öffentliche Leben der Bürgerschaft heimsucht. Da ist der Häusermakler Knock, der von Orlok als seinem Meister spricht, da ist vor allem die enge, aber nicht zwingende Verbindung zwischen dem Vampir und der Pest. Wie es sich für seinesgleichen gehört, muss er die Erde, in der er bestattet war, mit sich übers Meer führen. Zusätzlich transportieren die Särge auch Ratten, die Überträger der Pest. Bereits während der Schiffsreise erkrankt die Mannschaft und wird dezimiert, so dass am Ende nur noch Orlok als Kapitän dieses Totenschiffs übrig bleibt. Die Pest gehört nicht notwendig zu Nosferatu, sie verstärkt, als Komponente der öffentlichen Geschichte, die Angst vor einem für die meisten unfassbar und unsichtbar bleibenden Grauen. Erst das Logbuch des Kapitäns, dann der Schluss suggerieren die Analogie zwischen Vampirismus und Pest. Als Nosferatu endlich im Sonnenlicht ›verraucht‹ ist, so wird im letzten Insert festgestellt, habe auch die Pest plötzlich zu wüten aufgehört.
Ein alter Mann im hohen Zylinder malt an fast jede zweite Wisborger Tür ein weißes Kreuz, als Signal dafür, dass auch hier der schwarze Tod geerntet hat. Eine lange, schier endlose Parade von Särgen wird durch die Gasse getragen, von Ellen aus ihrem Fenster beobachtet – eine Querstrebe ist im Bildkader, bricht den Blick, subjektiviert ihn. Dieser Anblick treibt Ellen zusätzlich dazu an, sich dem bösen Spuk hinzugeben, um alle davon zu befreien. Die Seuche selbst bleibt im Bild ausgespart, weil die ›Pest‹ für Murnau eine Chiffre ist für die Angst, die alle ergreift, vor dem unaufhaltbaren Verderben. Die Auffassung der Ratten in Nosferatu als ›Symbole‹ für eine jüdische Bedrohung aus dem Osten scheint daher reichlich abwegig zu sein. Eine derart plumpe antisemitische Abscheu-Metaphorik, die die störenden Anderen zu Ekelwesen und »lebensunwerten« Tieren abwertet, verbreitete sich erst während des Dritten Reichs. Es war naturwissenschaftlicher Befund, dass Ratten die Pest übertrugen. Näherliegend ist es, die Pest als Gleichnis für den gerade zu Ende geführten Krieg zu verstehen oder als Anspielung auf die Epidemie der spanischen Grippe, die sich nach dem Krieg in Europa ausbreitete und nach einigen Zählungen mehr Tote als alle Schlachten zwischen 1914 und 1918 forderte. Murnau setzte – bei der oder jener Deutung – eine allgemeine Erfahrung des Überwältigtseins als Erinnerung an Kriegs- oder Nachkriegselend voraus, des ohnmächtigen Überwältigtseins von einer unaufhaltsamen Todeswalze. Zugleich wollte er diese historische Verstörung ›derealisieren‹, auf der Zeitachse zurückschieben bis in die Epoche, in der Biedermeier und Schauerromantik zum ersten Mal als unversöhnliche Welten, als trügerische Idylle und unbegreiflicher Terror aufeinanderstießen: eine dämpfende ›Umschreibung‹ des Schocks, durch Granaten oder ebenso tückische Viren bedingt, der die bürgerliche Zivilgesellschaft des Vorkriegs durcheinanderwirbelte? Oder wollte Murnau in Anlehnung an das distanzierende Caligari-Modell das Rad der Zeit absichtlich in seiner Handlung zurückdrehen, in eine vor-moderne Epoche, die für das Grauen lapidarere und märchenhaftere Vorstellungen bereitstellte, wahrscheinlich auch, um dem Sog zeitgenössischer Identifikationen zu entrinnen. Murnaus Methode der ›Verfremdung‹ sollte ernst genommen werden.
Denn Nosferatu entbehrt der physischen Gruseleffekte. Einige cinegraphische Pointen, wie Stopptricks und Doppelbelichtungen, die Negativprojektion beim Übergang Hutters ins ›Gespensterreich‹ oder die im Zeitraffer schnell dahinzuckelnde Kutsche, sind heitere Bildwitze aus der Zeit der Laterna magica und des frühen Kinos, rufen kein Schaudern mehr hervor, weniger jedenfalls als der reale Anblick des Schlosses auf steilem Felsen. Der Film ist auch nicht konsequent und logisch an vielen Stellen, durchbricht selbst den magischen Bann: Wenn das Schloss des Vampirs tatsächlich ein von allen gemiedener Ort ist, wie kann es dann ein gelassener Reiter wagen, seelenruhig vorbeizutraben und sogar noch einen Brief von Hutter mitzunehmen? Dennoch gelingt es Murnau, den Einbruch des Grauens in eine Friedenswelt zu zeigen – indem er über weite Strecken wie von einem schweren Traum erzählt. Traumhaft die – in der kolorierten Fassung – blauen Nachtszenen. Im Schlaf, im Bett überfällt einen die fremde Gewalt, zuerst unsichtbar, lässt Ellen auf der Balustrade balancieren und visionär die Gefahr erahnen, die Hutter droht. Traumhaft langsam sind die Bewegungen des nun sichtbaren Unholds, scheinbar unausweichlich sein Vorrücken auf das Lager Hutters zu, mit ausgestreckten Armen und Händen, als wolle er ihn erwürgen. Traumhaft das Irrwischartige, Sprunghafte des ›irren Gnoms‹ Knock – und zugleich Reminiszenz an die groteske Figurenwelt des Schauerromantikers E. T. A. Hoffmann. Traumhaft das Vorbeigleiten der Kamera, wie in einem Flug, an dem leeren Totenschiff, einem Fliegenden Holländer. Traumhaft schließlich dessen Einfahrt in den Hafen von Wisborg – als wäre der Kopf des Betrachters eisern festgehalten und dürfte nicht der Ankunft der Gefahr ›entgegenschwenken‹. Ein sozusagen biologischer Reflex, den der Überlebensinstinkt diktiert, wird gehemmt. So sticht das Schiff mit dem Bugspriet voran unaufhaltsam ins Bild, ist vordringlich Unheilsbote, der Tod und Verderben ankündigt.
Murnaus besondere Könnerschaft besteht darin, das vage Unheimliche, das verschwebend Traumhafte zur scharf umrissenen, malerisch plakativen Gestalt zu verwandeln: der Transfer aus der nebulösen Phantasie ins prägnant Phantastische. Dieses Sichtbarwerden nimmt den Erscheinungen der ›Zwischenwelt‹ vielleicht etwas von dem Grauen, das sie in ihrer relativen Unbestimmbarkeit auslösen, verleiht ihnen dagegen die Deutlichkeit tiefer Eindrücke und ›märchenhafte‹ Plastizität.