Astrophysik. 100 Seiten. Alexander Mäder

Astrophysik. 100 Seiten - Alexander Mäder


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      Auch hier ist alles in Bewegung: In drei Milliarden Jahren werden Andromeda und die Milchstraße kollidieren. Weil zwischen den Sternen viel Platz ist, werden kaum Sterne direkt aufeinanderprallen, doch durch ihre Schwerkraft werden sich die beiden Galaxien ganz schön aufmischen. Wenn die Erde dabei nicht in die Leere hinausgeschleudert wird, dürfte man am Himmel ein leuchtendes Spektakel erleben, das sich über einige Milliarden Jahre erstrecken wird, bis sich die beiden Galaxien beruhigt und zu einer größeren vereinigt haben. Doch dann wird unsere Sonne schon so groß und heiß geworden sein, dass man auf der Erde nicht mehr leben kann, und wenig später wird die Sonne ihren Brennstoff verbraucht haben und sich mit einem kräftigen Blitz verabschieden.

      Von wegen harmlos!

      Was soll man von dieser technischen Ortsbestimmung halten? Manche Leute geben dem Ganzen einen tieferen Sinn und sind überzeugt, dass die Bewegungen am Himmel mit Ereignissen auf der Erde zusammenhängen. Die Konstellation der Sterne am Tag der Geburt soll sogar die Persönlichkeit eines Menschen beeinflussen. Ich wüsste nicht, warum das so sein sollte. Physikalisch haben die Sterne nichts mit der Erde zu tun, wenn man einmal davon absieht, dass uns ein Bruchteil ihres Lichts erreicht. Und die Sterne eines Sternbilds haben auch nicht unbedingt etwas miteinander zu tun: Der eine kann der Erde nahe stehen und der andere weit entfernt sein – und nur von der Erde aus gesehen liegen sie am Nachthimmel nebeneinander. Warum sollten solche zufälligen Perspektiven auf die Sterne reale Vorgänge beeinflussen?

      Auf mich machen solche astrologischen Einteilungen des Himmels einen willkürlichen Eindruck. Die Naturwissenschaft bietet spannendere Zusammenhänge: Sauerstoff, Kohlenstoff, Eisen, Phosphor oder Schwefel – also Atome, die das Leben ausmachen – waren zum Beispiel bei der Geburt des Universums noch nicht vorhanden. Sie sind im Inneren von großen Sternen durch Kernverschmelzung entstanden und später im Weltall verteilt worden, als die Sterne in einer Supernova explodierten. Die Eisenatome in meinen roten Blutkörperchen waren also vor langer Zeit einmal in einem Stern. Diese Erkenntnis hilft zwar nicht dabei, meine persönliche Zukunft vorherzusagen, aber solche Prognosen kommen mir ohnehin überzogen vor. Man weiß schon so erschreckend wenig über das Universum und das Leben auf der Erde, etwa über die Myriaden von Bakterien, die im menschlichen Körper wohnen. Woher nehmen Wahrsager da die Gewissheit, das Glück oder Pech eines Menschen ermitteln zu können? Sind die Regeln, nach denen Horoskope erstellt werden, wirklich raffiniert genug, um die Komplexität der Welt zu erfassen?

      Verstehen kann ich hingegen das Gefühl der Bedeutungslosigkeit, das einen überfällt, wenn man unseren Blauen Planeten als Sandkorn im schwarzen kosmischen Meer betrachtet. Überall im Universum gibt es Dinge, die größer, heißer und stärker sind als alles auf Erde. Es gibt zum Beispiel Schwarze Löcher, die alles verschlingen, was ihnen zu nahe kommt, und es gibt Supernova-Explosionen, die ihre galaktische Nachbarschaft für lange Zeit unbewohnbar machen.

      Man muss die Stellung der Erde im Universum aber nicht so negativ sehen. Mir liegt eine andere Perspektive näher: Ich verstehe die Erde als etwas Besonderes im Kosmos und sehe auch uns Menschen in der Pflicht, diese Einzigartigkeit möglichst gut zu bewahren. Es gibt zwar viele Planeten im All, aber es kommt sicher nicht oft vor, dass die Bedingungen so gut zusammenpassen wie auf der Erde und sich deshalb ein derartig vielfältiges Leben entwickeln kann.

      Es dürfte daher nicht leicht sein, eine zweite Erde zu finden, wenn es mit der ersten schiefgeht. Im Kinofilm Interstellar vernichtet der Mehltau weltweit die Ernte und entzieht der Atmosphäre sogar den Sauerstoff. Die NASA prüft deshalb, ob sie die Erde evakuieren und Milliarden Menschen durch ein Wurmloch in eine andere Galaxie bringen könnte.

      Das soll tatsächlich die einfachere der beiden Optionen sein! Ich plädiere dafür, lieber den Kampf mit dem Mehltau und allen anderen Umweltgefahren aufzunehmen, denn interstellare Reisen sind ausgesprochen schwierig. Ich habe zwar ein großes Herz für ausgefallene Ideen der Science-Fiction, denn die Natur überrascht uns ebenfalls immer wieder. Und es macht Spaß, sich auszumalen, was man alles mit einem Warp- oder Hyperraumantrieb unternehmen könnte. Aber am Ende handelt Science-Fiction immer auch von uns in der Gegenwart: Sie zeigt, wovon wir träumen und was uns wichtig ist. Vor allem zeigt sie, was in uns steckt. Deshalb wundere ich mich über Interstellar, weil der Film die Menschen am Ende ihrer Kräfte sieht. Ohne das Wurmloch, das im Sonnensystem aufgetaucht ist, wären die Menschen im Film verloren.

      Der Film Avatar blickt sogar noch pessimistischer auf die Menschheit, denn dort gibt es nicht einmal eine Raumfahrtagentur, bei der noch ein paar intelligente Leute arbeiten. Vielmehr fragt sich der Protagonist Jake Sully in seinem Videoblog, was man den intelligenten Lebewesen des Mondes Pandora, den Na’vi, anbieten könne. Ihm fallen nur zwei kulturelle Leistungen der Menschheit ein: Blue Jeans und Dosenbier – und auf die könne man ja getrost verzichten. So negativ muss man die Menschen und die Wissenschaft aber nicht sehen. Ich bin gespannt, ob in den nächsten Avatar-Filmen nicht zumindest einige der Na’vi beginnen, mehr über ihre und die anderen Welten erfahren zu wollen. Eine Zivilisation ganz ohne Neugier und Entwicklung wäre doch langweilig! Diese Geschichte wird nur noch getoppt durch Captain Kirk, der 50 Jahre nach dem Start der TV-Serie im Film Beyond erklärt, ihn öde das ganze Forschen an.

      Für dieses Buch sollten Sie daher ein wenig Phantasie mitbringen. Ich will mit Ihnen durch den Kosmos reisen, und unser Ziel ist dabei die Erde. Wir beginnen an dem Punkt, der am weitesten von uns entfernt ist, und zoomen uns an uns selbst heran. Das wird damit nicht nur eine Reise durch den Raum, sondern auch eine Reise durch die Zeit: von der ersten Sekunde bis zur Gegenwart. Sie benötigen keine astronomischen Vorkenntnisse und schon gar kein Teleskop, aber Sie sollten sich nicht von sehr großen und sehr kleinen Zahlen einschüchtern lassen. Sind Sie bereit? Auf geht’s!

      Die Quellen des Buchs

      Ein guter Teil dieses Buchs stützt sich auf Recherchen aus meiner Zeit als Redakteur der Berliner Zeitung und der Stuttgarter Zeitung. Viele Wissenschaftler, vor allem des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), haben mir Fragen beantwortet. Hervorheben möchte ich zudem die lebendige Gemeinschaft der Astronomie-Blogger, die astronomische Entdeckungen kommentieren und im Lauf der Jahre viele Fragen beantwortet haben. In der Recherche für dieses Buch haben mich Wissenschaftler und Mitarbeiter des Heidelberger Instituts für Theoretische Studien (HITS) und des Hauses der Astronomie in Heidelberg unterstützt. Ihnen allen möchte ich herzlich danken. Widmen möchte ich das Buch meinem Vater Hans Friedrich, der in meiner Kindheit und Jugend Radioteleskope gebaut hat, und meiner Mutter Dalva Lúcia, die Sprachen immer interessanter fand als Physik. Mit meinen Interessen stehe ich wohl zwischen ihnen.

      Der Knall im Urknall

      Gehen wir in Gedanken zum Anfang von Raum und Zeit, reisen wir ausgesprochen weit in die Vergangenheit zurück: 13,8 Milliarden Jahre. Damals entstand das Universum mit dem Urknall, wie man heute sagt. Dass es so war, lehren uns die Astronomen. Sie vergleichen ihre Arbeit mit der von Archäologen, die Werkzeuge oder Stadtmauern ausgraben und anhand solcher Hinterlassenschaften rekonstruieren, wie unsere Vorfahren gelebt haben. Astronomen interessieren sich dafür, wie das Universum aufgebaut ist – und wie es zu dem wurde, was es ist. Sie untersuchen zu diesem Zweck das Licht, das Sterne hinterlassen, und schließen daraus, wie das Universum früher aussah. Während Archäologen alte Gegenstände ausgraben, die im Laufe der Jahrtausende von Sand und Steinen überdeckt worden sind, schauen Astronomen mit Teleskopen ins All und sehen Licht, das vor Millionen oder gar Milliarden Jahren ausgestrahlt worden ist. Je tiefer Astronomen ins All blicken, umso älter ist das, was sie sehen. Das liegt an der Geschwindigkeit des Lichts: Es ist zwar schnell und umrundet die Erde in einer Sekunde gleich sieben Mal, aber es ist nicht unendlich schnell.

      Einsteins Tempolimit

      Diese Erkenntnis über Lichtgeschwindigkeit klingt harmlos, aber sie hat gravierende Konsequenzen. In unserem Alltag spielt das kaum eine Rolle. Ein TV-Signal benötigt zwar eine Viertelsekunde von einer Bodenstation über den Satelliten in 36 000 Kilometer Höhe zur anderen Bodenstation. Doch es sind die unterschiedlich schnell arbeitenden Computer, die dafür sorgen, dass das Tor der Nationalmannschaft beim Nachbarn


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