Die Kunst der kleinen Lösung. Klaus Henning
Klaus Henning
DIE KUNST DER KLEINEN LÖSUNG
Wie Menschen und Unternehmen die Komplexität meistern
Inhalt
I. WANDERN ZWISCHEN DEN WELTEN
7. VOLLBREMSUNG BERGAUF MIT 160 TONNEN Wenn man denkt, man hätte an alles gedacht, und am Ende fehlen zehn Zentimeter für eine Vision
Dank
Herzlichen Dank für alle, die mir geholfen haben,
dass dieses Buch entstanden ist.
Renate Henning, Christoph Schlegel, Sebastian Kutscha,
Giuseppe Strina, Günther Refle und viele andere Freunde und
Freundinnen waren dabei treue Wegbegleiter. Allen, die mir ermöglicht
haben ihre Geschichte zu erzählen danke ich ganz besonders.
Orte, Namen und Daten sind zum Teil verändert.
Die Kunst der kleinen Lösung hat mir auch geholfen,
mich selber besser zu verstehen. Und diejenigen,
mit denen ich zusammenarbeiten durfte.
I. WANDERN ZWISCHEN DEN WELTEN
Handschuhe brauche ich nicht
In 2800 Metern Höhe beginnt es kritisch zu werden. So war es auch an diesem Spätsommertag. Wir befanden uns weit oberhalb der Baumgrenze, in den Schweizer Alpen. Wir waren eine kleine Gruppe, drei Männer. Zwei Geschäftspartner und ich. Wir wollten auf eine Hütte steigen, diese lag bei knapp 3000 Metern. Am Morgen war es recht kühl und daher empfehlenswert, Handschuhe zu tragen. Der eine nahm die Handschuhe, der andere lehnte ab: »Das brauche ich nicht.« Er war sich da sehr sicher.
Wir wanderten los. Und je höher wir stiegen, desto kälter wurde es. Die Temperatur lag vielleicht noch bei ein, höchstens zwei Grad. Das kann im Sommer passieren. Im August können in den Bergen schnell 30 Zentimeter Schnee liegen. Und auf der Höhe kann es ohnehin kalt sein. Der Berg ist nicht berechenbar. Wie gesagt: Zwei trugen Handschuhe, einer nicht. »Nein, keine Handschuhe.« Schritt für Schritt stiegen wir nach oben, es war ein beschwerlicher, aber machbarer Weg. Bald ließen wir die Baumgrenze hinter uns. Schmale Serpentinen nach oben, vorbei an Felsen, an Disteln, immer weiter unserem Ziel entgegen.
Wir hatten es fast geschafft. Wir konnten die Hütte bereits sehen, eine kleine Hütte mit einer Schweizer Fahne. Plötzlich blieb er stehen, unser Kamerad ohne Handschuhe. Mitten auf dem schmalen Weg. Er rührte sich nicht mehr, ging weder vor noch zurück. Er stand da neben einem Schneefeld und blickte zu Boden. Wir sprachen ihn an. Er antwortete nicht. Er schien völlig neben der Spur zu sein. Ich ging näher zu ihm hin: »Was ist los?«
Er blickte nicht auf, sagte nur: »Ich kann nicht mehr, Klaus, ich drehe jetzt um und gehe alleine zurück.« Fast 1000 Höhenmeter Abstieg. Noch dazu war ein Gewitter im Anmarsch. »Nein, das machst du jetzt nicht!«, rief ich ihm zu. In seiner Lage wäre er keine 100 Höhenmeter weiter gekommen. Für ihn wäre der Abstieg lebensbedrohlich geworden. Das ist das Tückische an den Bergen. Plötzlich sagte er: »Klaus, ich glaube, ich habe mir die Finger erfroren.« Er hatte ja keine Handschuhe an, und die Temperatur war inzwischen unter den Nullpunkt gefallen.
Jetzt mussten wir handeln. Wir rieben seine Hände mit Schnee ab, um sie aufzuwärmen. Wir sprachen ihm gut zu, wir verwiesen auf die Hütte, die nicht mehr weit sei. »Es sind höchstens noch 10 oder 20 Minuten Fußweg, schau, da vorne«, sagte ich ihm. »Das schaffst du!« Doch er wollte nicht mehr. Er konnte nicht mehr. Wir redeten ihm zu, wir versprachen, ihn zu stützen, nahmen ihm den Rucksack ab. Und irgendwie schafften wir es, ihn zum Weitergehen zu bewegen. Wir schleppten ihn mehr, als dass er ging. Mehr als eine Stunde haben