Eine Schale Getreide verändert die Welt. Magnus MacFarlane-Barrow

Eine Schale Getreide verändert die Welt - Magnus MacFarlane-Barrow


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eine alte, alleinlebende Frau wie ich eine Schöpfkelle? Oder Extra-Platten und Schüsseln, die ich sowieso nie benutze?“

      Ich rollte von ihrem Haus den Hügel hinunter, den Lieferwagen voll mit ihren Haushaltsgegenständen und neben mir auf dem Beifahrersitz den sorgfältig eingepackten Kuchen. Im Rückspiegel sah ich die winkende Mrs. Duncan Jones. Sie lächelte übers ganze Gesicht.

      Es gab noch weitere Herausforderungen für mich. Wenige Wochen zuvor unterhielten sich Julie und ich (wir waren mittlerweile verlobt) auf der letzten Etappe der Rückreise von einem weiteren Trip nach Bosnien-Herzegowina, und sie begann, vorsichtig-freundliche Fragen wegen meiner Schüchternheit zu stellen – und wegen meiner Art, mich zu kleiden. Ich hatte ihr zu ihrer nicht geringen Bestürzung mit einer gewissen Selbstgefälligkeit mitgeteilt, dass alle meine Klamotten (abgesehen nur von meinem Kilt) nicht mehr als eine Waschmaschinenladung ausmachten. Es war ein ziemlicher Schock für sie, dass ich nicht deswegen so abgerissen aussah, weil ich gerade in der Gegend herumfuhr und den ganzen Tag Lastwagen belud.

      „Nun, das wird dann wohl der Grund dafür sein, dass alle deine Klamotten denselben grässlichen Grauton haben“, sagte sie trocken nach kurzem Schweigen.

      „Was willst du eigentlich machen, wenn wir mit dieser Sache hier fertig sind? Wirst du wieder als Fischfarmer arbeiten?“, fragte sie mich.

      Ich dachte kurz nach und sagte dann: „Ich weiß es eigentlich noch nicht. Das Einzige, was ich sagen kann: Es wird nichts, bei dem ich mit Leuten zu tun haben muss!“

      Im weiteren Verlauf der Monate aber, und weil ich immer mehr Zeit damit zubrachte, mit Menschen zu reden, die ich nicht kannte, wuchs mein Selbstvertrauen allmählich. Julie konnte mich sogar so weit ermutigen, dass ich manchmal nachgab und Vorträge vor Unterstützergruppen hielt. Und irgendwie fing ich an, diese Begegnungen zu mögen – ich hatte das Gefühl, dass ich etwas konnte und dass ich es gut konnte. Ich stellte fest, dass unsere Unterstützer regelrecht hungerten nach Informationen über unsere letzten Hilfstransporte. Wir fingen an, Bilder zu knipsen, und kauften einen alten Diaprojektor, um unsere Vorträge anschaulicher zu machen. Und wir erweiterten unseren Newsletter um Bilder. Ich entwickelte allmählich eine enorme Zielstrebigkeit, wenn es darum ging, den Hilfsbereiten die Bedürfnisse und Äußerungen der Notleidenden zu vermitteln. Eine Zeitlang dachte ich sogar, ich könnte doch versuchen, Journalist zu werden. Eines Tages stieß ich auf eine Anzeige, mit der eine Fischzucht-Zeitschrift einen Journalisten suchte, und ich bewarb mich. Zu meiner Überraschung luden sie mich nach Edinburgh zu einem Gespräch ein. Die beiden Männer auf der anderen Seite des Tischs waren angetan von den Texten, die ich eingeschickt hatte, und alles schien richtig gut zu laufen. Dann stellten sie mir eine hypothetische Frage:

      „Was würden Sie tun, wenn Ihnen Beweise in die Hände kämen, dass eine Firma, die ein wichtiger Werbekunde für unsere Zeitschrift ist, ein Produkt herstellt – beispielsweise eine Chemikalie zur Parasitenbeseitigung bei Lachsen –, das sich äußerst schädlich auf die Schalentiere der Region auswirkt?“

      „Ich würde natürlich einen den Tatsachen entsprechenden, gut recherchierten Artikel verfassen, der darüber informiert. Es wäre eine wichtige Geschichte, und die Leser hätten ein Recht, die Fakten zu erfahren“, sagte ich im Brustton der Überzeugung – nicht eine Sekunde kam mir der Gedanke, dass meine Antwort hoffnungslos naiv war. Aber dann sah ich, wie die beiden sich anschauten, der eine mit hochgezogenen Augenbrauen, der andere süffisant lächelnd. Zu spät wurde mir bewusst, dass meine Fantasien, mit Preisen überschüttete journalistische Beiträge als Waffe im Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit zu verfassen, nicht unbedingt mit einem Job bei einem schottischen Fischzuchtmagazin kompatibel waren.

      Julie wartete draußen auf mich. Als ich ihr erzählte, wie es gelaufen war, mussten wir beide lachen – und wir merkten, dass wir eigentlich tief im Innern nie wirklich davon überzeugt gewesen waren. Faktisch waren wir von gar nichts überzeugt, wenn es nicht mit dem vereinbar war, was wir bereits machten. Und Julie, meine Verlobte, war eine Frau, die nie, nicht ein einziges Mal, irgendwelche Sorgen über unsere zukünftige finanzielle Sicherheit äußerte.

      Allerdings ging uns tatsächlich das Geld aus. Es war mittlerweile ein Jahr her, dass ich meinen Job aufgegeben hatte. Wir mussten ein paar Entscheidungen treffen. Der Stiftungsrat schlug vor, ich solle mich in bescheidenem Rahmen bezahlen lassen, damit diese Arbeit, die an Umfang ständig zunahm, weiterwachsen konnte. Und nach vielem Diskutieren, Nachdenken und Beten erklärte ich mich schließlich einverstanden. Es war eine sehr schwere Entscheidung. Zu unserem ursprünglichen Plan hatte das nicht gehört, und ich fühlte mich überhaupt nicht wohl damit, auch nur einen kleinen Teil des uns gespendeten Geldes abzuzweigen, um selber davon zu leben. Wir wollten, dass unsere Organisation so kostengünstig und mit so vielen Freiwilligen wie möglich arbeitete, und auch heute ist das noch unser Bestreben. Aber die Alternative für mich war eben, mir einen anderen Job zu suchen und die organisatorische Arbeit zurückzuschrauben, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als uns immer mehr Menschen unterstützten und ermutigten, unsere Arbeit fortzusetzen. Und ein einziger geringer Lohn stellte lediglich einen sehr geringen Prozentsatz des Gesamtumfangs der Spenden dar. Ich nahm das Angebot also an, und ich bin sehr froh, dass ich es getan habe.

      Wir suchten weiterhin unermüdlich nach den kostengünstigsten Möglichkeiten, die Hilfsgüter zu überbringen, die uns die Leute zur Verfügung stellten. Ich war froh, dass sich mit unserem neuen, größeren LKW die Transportkosten entscheidend reduziert hatten. Jetzt störte es mich allerdings, dass wir bei der Rückfahrt durch ganz Europa jedes Mal mit einem riesigen leeren Anhänger unterwegs waren. Ich fragte herum, ob es vielleicht irgendjemanden gab, der uns dafür bezahlen würde, dass wir etwas von Osteuropa zurücktransportierten, was die Kosten weiter senken würde. Damals lernte ich Sir Tom Farmer kennen, möglicherweise Schottlands bekanntester Unternehmer und Gründer von Kwik Fit, der riesigen Autoreifen- und Auspuff-Firma. Er hatte vor Jahren Mum und Dad in unserem Einkehrzentrum in Dalmally besucht und sie sehr großzügig unterstützt. Es stellte sich heraus, dass er damals viele Reifen aus Slowenien und Norditalien nach Schottland importierte. Er fand es prima, dass wir einen Teil des Transports als „Rückweg-Fuhre“ zu seinen Kwik-Fit-Niederlassungen übernehmen konnten, und zahlte uns den üblichen Preis. Sir Tom wurde in den nächsten Jahren ein wunderbarer Freund und Lehrer, er war immer für mich da, und ich lernte eine Menge von ihm.

      „Bewerte nicht deine Ziele, sondern ziele deine Werte an“ („Target your values, don’t value your targets“), empfahl er mir, als ich Wachstumsraten oder ehrgeizige Pläne erwähnte. Bei anderen Gelegenheiten, wenn ich mich ausschweifend über neue Ideen äußerte, brachte er mich wieder auf die Kernfrage zurück, indem er sagte: „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ („Magnus, just stick to the knitting!“)

      Die Sache mit den Rückkehr-Ladungen funktionierte großartig, und im Lauf der Zeit arrangierten wir dann über Agenten auch andere Frachtinhalte (Kühlschränke, flachverpackte Möbel etc.), die wir auf dem Heimweg mitnehmen konnten. Um das machen zu können, brauchten wir eine Lizenz für den Betrieb eines Fuhrunternehmens. Ich musste mir also ein paar Informationen über das internationale Transportwesen aneignen und eine Prüfung ablegen. Durch diese zusätzlichen Transporte konnten wir beträchtlich Kosten einsparen, allerdings stellte ich irgendwann fest, dass ich nun meine meiste Zeit damit zubrachte, eine Speditionsfirma zu leiten. Ich merkte, dass ich eigentlich Besseres zu tun hatte. Ich überdachte das Ganze also noch einmal vom anderen Ende.

      Ich beobachtete auf unseren Reisen, dass es viele LKWs aus Osteuropa gab, die Waren nach England lieferten. Die hatten doch, wenn sie zurückfuhren, sicher ihrerseits leere Anhänger, die man befüllen konnte! Und genauso machten wir dann weiter. Nun, da wir verlässliche Partner hatten, beispielsweise das Familienzentrum in Zagreb, konnten wir in Schottland einen kroatischen Lastwagen beladen und einen vernünftigen Preis dafür bezahlen, dass sie unsere Transporte übernahmen. Das wurde unsere bevorzugte Vorgehensweise: Wir konnten uns jetzt darauf konzentrieren, weiter Aufmerksamkeit für unsere Arbeit zu wecken, Spenden zu sammeln und unseren Spendern zu danken. Außerdem kamen wir so auch mit dem ständigen Weiterwachsen unseres Projekts zurecht. Auf dem Höhepunkt unserer Hilfslieferungen, während der Kosovo-Krise im Jahr 1999, beluden wir vor unseren mittlerweile vier Glasgower Lagerhallen zwei Monate hintereinander fast jeden Tag einen 40-Tonnen-Truck. Wir baten


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