IKEA. 100 Seiten. Thomas Steinfeld

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sein und sind nach Produktgruppen sortiert. So tragen Stoffe und Gardinen Frauennamen, Sessel und Sofas schwedische, Teppiche dagegen dänische Ortsnamen. Das manchmal Unbeholfene, ein wenig Sperrige, das in dieser Namensgebung liegt, erscheint dabei als eher sympathischer Eigensinn.

      Der mit Entstehen des Versandhandels etablierte Direktvertrieb erlaubte Ikea, günstigere Preise als die Konkurrenz anzubieten. Der Kostenvorteil wurde in Annoncen hervorgehoben, die Zwischenhändler wurden darin sogar als Preistreiber beschimpft. Zwar hatten die ersten beiden schwedischen Versandhäuser ihre Tätigkeit schon in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts aufgenommen, durchsetzen konnte sich dieses Geschäftsmodell allerdings erst später, in Schweden wie in Deutschland: in einer ersten Welle in den zwanziger Jahren, in einer zweiten Welle in der frühen Nachkriegszeit, und zwar jeweils konzentriert auf den Handel mit Kleidung. In beiden Ländern richtete sich das Sortiment dabei vor allem an Kunden in einkommensschwachen und ländlichen Regionen. Standardisierung, Massenproduktion, eine verbesserte Infrastruktur und nicht zuletzt die steigende Nachfrage nach Konsumgütern in der Industriegesellschaft führten dann vor allem im Flächenstaat Schweden dazu, dass der Versandhandel rasch an Bedeutung gewann. Dass Ikea seine Möbel über den Versand verkaufte: Das war etwas Neues.

      Das Land der Verbannten: Wo Småland liegt

      Die Schriftstellerin Astrid Lindgren schildert die Dörfer Smålands zum Vergnügen der halben Erdbevölkerung als friedliche Orte, die Bullerbü (auf Schwedisch: Bullerby) oder Lönneberga heißen und in denen Olle, Inga, Lasse, Britta und Michel mit der Suppenschüssel zu Hause sind, wie auch sonst nur fröhliche und redliche Menschen dort leben. Diese Bilder aus den schwedischen Wäldern, einer Landschaft, in der eine Anarchie der guten Seelen herrscht, wo Natur und dörfliche Gemeinschaft den frei umherschweifenden Kindern ihre Unabhängigkeit lassen und sie doch zur Vernunft führen, gruben sich tief in die Vorstellungen ein, die sich Mitteleuropäer vom Norden machen. Die wahrheitsgemäßere Geschichte dieser Region nördlich der Moräne von Halland wäre indes eine von großer Armut und dringender Not.

      Aus Wald besteht diese Landschaft, und das heißt hier: hauptsächlich aus Fichten, die auf einem Boden aus Granit stehen. Zwischendurch sieht man Birken, ein paar Eichen oder Eschen, dann wieder Fichten und abermals Fichten. Im felsigen Boden bleibt das Wasser stehen, so dass es in dieser Gegend unzählige Seen gibt, Sümpfe, morastige Stellen. Nur selten wird der Wald von einer Rodung unterbrochen, von einer freien Fläche mit ein paar Feldern und Wiesen, die mit roh gefügten Steinmauern eingefasst sind – die Steine wurden in mühsamer Arbeit von den Äckern geholt –, von einem Holzhaus, das rot und mit weißen Eckpfosten unter hohen Bäumen steht. Dann wieder Wald, Bäche, Entwässerungsgräben, kleine Flüsse, in denen Wasserrosen wachsen und die von Schilf gesäumt sind.

      Zwischen 1850 und 1925 verlor die Gegend um Osby, im »Östra Göinge« genannten nördlichsten Amtsbezirk von Schonen, fast jeden zweiten Bewohner. Ein wenig weiter nördlich, bei Älmhult, waren es womöglich noch mehr. Die Leute packten ihre Sachen, verließen ihre Häuser und versuchten, mindestens in Dänemark unterzukommen, eher aber noch auf dem Zwischendeck irgendeines Segel- oder Dampfschiffes, das sich anschickte, den Atlantik zu überqueren. Die meisten dieser schwedischen Auswanderer siedelten sich dann im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten an, in Dakota, Wisconsin oder Minnesota. »Dies ist das Land der Verbannten«, schrieb der Dichter August Strindberg um die Jahrhundertwende über Schweden. Tatsächlich war das Land bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein eine der ärmsten Regionen Europas gewesen. Während die Industrialisierung in weiten Teilen Westeuropas längst eingesetzt und im Falle Großbritanniens bereits ihre Reifephase erreicht hatte, arbeiteten damals noch mehr als achtzig Prozent der schwedischen Bevölkerung in der Landwirtschaft. Erst die sich immer stärker entwickelnde wirtschaftliche Integration Europas sowie die innereuropäisch gestiegene Nachfrage nach Rohwaren wie Holz und Eisen führten zu einer beginnenden Industrialisierung einzelner Produktionszweige in Schweden.

      Während nun aber die Industrialisierung in Deutschland und Großbritannien zur Entstehung von Ballungsräumen führte, vollzog sie sich im Flächenstaat Schweden vor allem in der Provinz, in kleineren Gemeinden in der Nähe von Rohstoffvorkommen, um die herum kleine bis mittelgroße Unternehmen entstanden. Auf diese Weise hatte sich rund um Älmhult seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Holz- und Möbelindustrie angesiedelt. Die wenig fruchtbaren Böden der Provinz eigneten sich kaum zum Ackerbau, so dass die Möbelherstellung sich als Alternative zur Landwirtschaft anbot. Außerdem brauchte man nicht viel Kapital, um eine Möbelfabrik zu gründen: Zumeist reichten Säge, Hobel und Bohrer. Nur die wenigsten Fabriken nutzten avancierte Techniken, mit denen gebogene und andere ausgetüftelte Konstruktionen hergestellt werden konnten. Der geringe Kapitalbedarf führte dazu, dass im Jahr 1945 in mehr als der Hälfte der schwedischen Möbelunternehmen weniger als elf Mitarbeiter arbeiteten, ein Drittel hatte gar fünf oder noch weniger Mitarbeiter. In dieser Welt war Ingvar Kamprad aufgewachsen, und als er das Sortiment seines Gemischtwarenhandels auf eine solide Grundlage zu stellen suchte, stieß er selbstverständlich auf die heimische Industrie. Sie vereinfachte ihm einerseits den Zugang zu Möbeln, legte ihm diesen Geschäftszweig andererseits aber auch nahe.

      Neue Möbel für neue Menschen. Wohnungseinrichtung als Politikum

      Der neue Mensch: Man lebt, wie man wohnt

      Als das 20. Jahrhundert noch jung war, sollte der Mensch neu werden – ganz anders, als der Mensch im 19. Jahrhundert gewesen war, besser organisiert, rationaler, freier, vor allem aber solidarischer, mit seinesgleichen wie mit sich selbst. Damals gab es Leute, die sich für die Entstehung dieses neuen Menschen, für seine Ausbildung und Formung nicht nur verantwortlich fühlten, sondern auch meinten, diese Entwicklung praktisch herbeiführen zu können. Gewiss, Vorstellungen vom neuen Menschen, Vorschläge auch, wie er herangebildet werden könne, hatte es seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in großer Zahl gegeben. Doch die mehr oder minder philosophischen Forderungen, wie die Welt einzurichten sei, aus der ein neuer Mensch hervorzugehen habe, verhallten im unendlichen Reich der Utopie. Erst als das utopische Denken selbst – oder die, die es gepachtet zu haben meinten – an die Macht gekommen war, nach dem Ersten Weltkrieg, in Gestalt von kommunistischen, sozialistischen oder sozialdemokratischen Regierungen, wurde die Verfertigung einer neuen Spezies tatsächlich auf die Tagesordnung gesetzt – als politisches Projekt.

      Ähnliches geschah in allen industrialisierten Ländern Europas und Nordamerikas, in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, in der Tschechoslowakei, in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen, je nachdem, wofür das Kollektiv jeweils stehen konnte oder sollte. In der Sowjetunion war der neue Mensch ein Projekt der großen proletarischen Revolution, und das riesige Land zog damals viele Architekten und Gesellschaftsplaner an, darunter auch den Frankfurter Stadtbaumeister Ernst May. Ihre Hoffnungen auf eine Erlösung im Diesseits müssen in jener Zeit sehr ausgeprägt gewesen sein, und Leo Trotzki formulierte noch 1932 die Vision, der Mensch werde, wenn er einmal mit den »anarchischen Kräften« der eigenen Gesellschaft fertig geworden sei, »sich selbst in Arbeit nehmen, in den Mörser, in die Retorte des Chemikers. Die Menschheit wird zum ersten Mal sich selbst als Rohmaterial, bestenfalls als physisches und psychisches Halbfabrikat betrachten. Der Sozialismus wird einen Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit auch in dem Sinne bedeuten, daß der gegenwärtige, widerspruchsvolle und unharmonische Mensch einer neuen und glücklicheren Rasse den Weg bereiten wird.«

      Doch hatten die sowjetischen Projekte wenig Zukunft, weil es dabei zunächst einmal um die Ordnung der Lebensverhältnisse für ein ebenso armes wie schnell anwachsendes Arbeiterheer ging, das vor allem Dächer über den Köpfen und regelmäßige Mahlzeiten brauchte – weshalb all diese Versuche dann auch in den dreißiger Jahren, in der Zeit der großen Finanzkrise der Sowjetunion, wieder aufgegeben wurden. In den deutschsprachigen Ländern war der neue Mensch eher ein Unternehmen der »Neuen Sachlichkeit«, und die Übergänge ins Esoterische waren dabei fließend. In den Vereinigten Staaten, und dort vor allem an den Rändern der Neuen Welt, waren die


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