Hölderlins griechische Seele. Michael Ladwein

Hölderlins griechische Seele - Michael Ladwein


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      Michael Ladwein

       Hölderlins griechische Seele

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       »Wem sonst

       als Dir«

       Inhalt

       »Griechenland war meine erste Liebe«

       Frühe Ahnungen

       Die Idee der Wiederverkörperung

       Der enge Bezug der Goethezeit zum antiken Griechentum

       Hölderlin und Susette Gontard – Hyperion und Diotima

       Hölderlins Traum von der wahren Heimat

       Hölderlin und die griechische Götterwelt

       Hölderlins Christussuche

       Tragische Vollendung

       Das »innere Griechenland« in der Dichtung von Friedrich Hölderlin (Textauszüge)

       Anmerkungen

       Literatur

       Was ist es, das

       An die alten seeligen Küsten

       Mich fesselt, dass ich mehr noch

       Sie liebe, als mein Vaterland?

       Denn wie in himmlische

       Gefangenschaft verkauft

      Dort bin ich, wo Apollo ging.

       (Der Einzige, erste Fassung)

      Ich liebe dies Griechenland überall.

      Es trägt die Farbe meines Herzens.

       (Hyperion)

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       Friedrich Hölderlin im Alter von zweiundzwanzig Jahren

      Pastellbild von Franz Carl Hiemer, 1792.

       Es scheint, wir berühren ein Stück nicht nur abendländischer Bildungsgeschichte, sondern abendländischen Selbstverständnisses, wenn wir nach Hölderlin und Griechenland fragen. Indessen: Liegt unserer Gegenwart an dieser Bildung und an diesem Selbstverständnis? Ist sie nicht vielmehr damit beschäftigt, sich vom Ballast ihrer bildungsbefrachteten Vergangenheit zu befreien und das schon öfters totgesagte Abendland endgültig zu begraben? Und wenn das so ist, kann unser Thema dann mehr als den Versuch bedeuten, sich an einem Beispiel klarzumachen, wovon wir Abschied nehmen sollen?

       (Wolfgang Binder: Hölderlin und Sophokles – der Name ›Sophokles‹ wurde hier durch ›Griechenland‹ ersetzt)

       »Griechenland war meine erste Liebe«

      Der erste Biograf und Herausgeber von Hölderlins Schriften, Christoph Theodor Schwab, überlieferte den Eindruck, den dessen Studiengenossen im Tübinger Stift von ihm hatten: Wenn er vor Tisch im Speisesaal erschien, »sei es gewesen, als schritte Apoll durch den Saal«. Jahre später bekannte Hölderlin von sich:

       Denn wie in himmlische

       Gefangenschaft verkauft

      dort bin ich, wo Apollo ging.

       (Der Einzige, erste Fassung)

      Und nach der Rückkehr von seiner letzten Anstellung als Hauslehrer in Bordeaux, schon merkliche Zeichen äußerer und seelischer Zerrüttung zeigend, war er überzeugt, ihn habe »Apollo geschlagen«.1

      Ja, die griechischen Götter, nicht nur Apollo, und Griechenland überhaupt, waren das Thema seines Lebens, mehr noch: der Lebensquell seiner geistigen Existenz. Und dies von Beginn an, zunächst naturgemäß eher traumhaft-unbewusst, dann zeitweilig überlagert vom Theologiestudium – als fortgeschrittener Student hatte er in den umliegenden Dörfern Predigten zu halten. Es brach sich aber, aus den Tiefen seines ganzen inneren Wesens heraus, immer mächtiger Bahn, bis zu voller Bewusstheit.

      Von früher Jugend an lebt ich lieber, als sonstwo, auf den Küsten von Ionien und Attika und den schönen Inseln des Archipelagus, und es gehörte unter meine liebsten Träume, einmal wirklich dahin zu wandern, zum heiligen Grabe der jugendlichen Menschheit.

      Griechenland war meine erste Liebe und ich weiß nicht, ob ich sagen soll, es werde meine letzte sein.

       (Aus der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion)

       Wohl manches Land der lebenden Erde möcht

       Ich sehn

       […]

      Doch lieb ist in der Ferne nicht eines mir,

       Wie jenes, wo die Göttersöhne

      Schlafen, das trauernde Land der Griechen.

       (Der Main)

       O all ihr treuen

       Freundlichen Götter!

      Dass ihr wüsstet,

       Wie euch meine Seele geliebt!

       […]

      Doch kannt ich euch besser,

      Als ich je die Menschen gekannt,

      Ich verstand die Stille des Äthers,

      Der Menschen Worte verstand ich nie.

       […]

      Im Arme der Götter wuchs ich groß.

       (Da ich ein Knabe war)

      Die Allgegenwärtigkeit Griechenlands, seiner Götter, seiner Religion, Dichtung und Philosophie, seiner Geschichte und seiner Landschaft im Werk Hölderlins ist dermaßen unübersehbar, dass man sich wundert, wie der so besonders innige Bezug des Dichters zu dieser Kultur jemals in Zweifel gezogen werden konnte. So sprach der Philosophieprofessor Julius Ebbinghaus schon 1941 fast naserümpfend von des Dichters »Griechenmetaphysik« und seiner »Theorie vom Griechentum« und kam zu dem ihn selbst bloßstellenden Ergebnis: »Dieses Griechentum Hölderlins ist eine Idee, der außerhalb der dichterischen Phantasie nicht der Schatten einer Realität einwohnt.« Und schließlich: »So sind uns denn […] die Griechen Hölderlins unter den Fingern ins Nichts zerronnen.«2

      Und auch in der aktuellen Gegenwart kann es geschehen, dass


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