Armee ohne Auftrag. Wilfried von Bredow
href="#u0ce7caaa-bf3e-4a36-b85e-e71f89eef840">Strategiekommunikation
Sicherheitsgefährdung durch Pandemien und Seuchen
Der rechtliche Rahmen für Auslandseinsätze
Neue Aufgaben – weniger Personal
Transformation und vernetzter Ansatz
Eine Neuausrichtung nach der anderen
Einleitung
In Deutschland ist die Bundeswehr die einzige Großbürokratie mit angeschlossenem eigenem Sicherheitsdienst. Zwar trifft man auf die Krake der Bürokratie in allen modernen Gesellschaften. In Deutschland allerdings begleitet die Bundeswehr seit ihrer Gründung ein besonders lautes Stöhnen über die Bürokratie. Nun gehört, darüber sollte man sich keine falschen Vorstellungen machen, eine funktionierende Bürokratie zu den Voraussetzungen, damit komplexe Organisationen ihre Ziele erfolgreich anvisieren und erreichen können. Aber sie muss halt funktionieren, sonst kommt es zu permanenten Reibungsverlusten und mangelhafter Effektivität.
Über die Bundeswehr dringt seit längerem vor allem Unerfreuliches an die Öffentlichkeit: Skandale, Personalnöte, Defizite bei Bewaffnung und Ausrüstung, Traditionswirrwarr. Von all dem gab es in den letzten Jahren mehr als genug. Bedenklich vor allem der Zustand der Ausrüstung mit Waffen und Geräten. Großgeräte von Marine, Luftwaffe und Heer sind nicht einsatzfähig. Ersatzteile fehlen. Neuentwicklungen werden um ein Vielfaches teurer als ursprünglich ausgemacht. Außerdem werden die Liefertermine seitens der Rüstungsindustrie zu oft nicht eingehalten. Scharfzüngige Kritiker haben sogar das demütigende Wort von der »Schrottarmee« in die Debatte geworfen. Wie passen diese betrüblichen Entwicklungen zu dem kernigen Satz aus dem letzten regierungsamtlichen Weißbuch (2016) zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr: »Die Bundeswehr ist ein wesentliches Instrument unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik«?
Ist sie das wirklich? Oder ist sie eine »Armee ohne Auftrag«, weil die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der »Zivilmacht Deutschland« auf Prioritäten geeicht ist, bei denen dieses Instrument keineswegs eine wesentliche sondern, wenn überhaupt, nur eine nachgeordnete Rolle spielt?
Selbstverständlich kann man unzähligen offiziellen Texten und Dokumenten der Bundesrepublik Deutschland entnehmen, welche Aufträge der Bundeswehr zugedacht sind. Im Weißbuch 2016 verteilen sich die Aufzählung und Erklärung dieser Aufträge und der Aufgaben der Bundeswehr gleich über drei Seiten. Die Bundeswehr kann sich geradezu vor Aufträgen und Aufgaben nicht retten! Aber dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass in der deutschen Sicherheitspolitik Ziele und Instrumente nicht gut zusammenpassen. Genau das ist mit dem, gewiss etwas zugespitzten Titel »Armee ohne Auftrag« gemeint: Es fehlt hierzulande an dem aufgeklärten Bewusstsein vom rechten Gebrauch der Streitkräfte als Instrument der Politik. Dieser Mangel macht die Konturen der deutschen Sicherheitspolitik unscharf und ihre Inhalte unglaubwürdig. Eine Folge davon ist, dass mit der Bundeswehr zeitweise zu nachlässig umgegangen wird, was wiederum deutliche Konsequenzen für das professionelle Selbstverständnis der Soldaten hat, egal, auf welcher Hierarchiestufe.
Die Bundeswehr verschlingt einen nicht unbeträchtlichen Teil des jährlichen Bundeshaushalts. Aber was genau sie macht und vor allem warum sie was macht, darüber liegt ein Schleier der Unkenntnis. Was hatte es beispielsweise mit Deutschlands Sicherheit zu tun, wenn sie in Somalia ein Feldlager für eine indische Brigade aufbaut, die niemals dort eintraf? Wenn sie im Kongo manipulierte Präsidentschaftswahlen überwachte, bei denen es glücklicherweise zu keinen gewalttätigen Zwischenfällen gekommen ist? Oder wenn sie zwei Jahrzehnte lang am Hindukusch vergeblich versucht hat, Staat und Gesellschaft Afghanistans zu stabilisieren?
Deutschland-Hologramm
Wenn man in Deutschland über Sicherheitspolitik redet, dann redet man über die UNO und ihren Sicherheitsrat; über die NATO, die – den Amerikanern sei Dank – Deutschland beschützt; über die OSZE, die irgendwie wichtig erscheint, ohne dass man Genaueres über sie weiß; über die EU, die bedauerlicherweise sicherheitspolitisch nicht in die Puschen kommt. Sicher, manchmal redet man auch von der Bundeswehr. Aber deren alter Werbespruch »Wir produzieren Sicherheit« ist eigentlich nie auf viel Verständnis gestoßen.
Nach der Vereinigung 1990 gewann Deutschland trotz aller internen Schwierigkeiten bei der Eingliederung der neuen Bundesländer auf der europa- und weltpolitischen Bühne mehr Gewicht. Für seine Außen- und Sicherheitspolitik galt es nun, neue Verhaltensweisen im gründlich veränderten internationalen Umfeld zu entwickeln. Die Erwartungen aus diesem Umfeld an Deutschland hatten sich ein großes Stück weit verändert – einer der Hauptgründe dafür, dass sich auch die Selbstwahrnehmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ändern musste – ohne dass tief eingeprägte Grundentscheidungen (doppelte Westintegration) zur Disposition gestellt und erfolgreiche Methoden (Multilateralismus) aufgegeben werden sollten. Konnte dieselbe Kontinuität auch für das nach 1949 ausgebildete Merkmal außen- und sicherheitspolitischen Verhaltens, die »Kultur der Zurückhaltung« uneingeschränkt gültig bleiben?
Der Kraftakt, bewährte Grundsätze weitgehend zu bewahren, sich zugleich aber den schwierigen neuen Rahmenbedingungen internationaler Politik anzupassen, ist bislang nicht so gelungen, wie man es sich wünschen würde. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, behaupten ihre Kritiker, stolpert oft nur vor sich. In einem seiner letzten Bücher kennzeichnet Hans-Peter Schwarz (2005) sie als orientierungslos. Ihre Führungspolitik sei ratlos, behauptet der frühere Diplomat Volker Stanzel (2019). Freilich gibt es jede Menge Empfehlungen von Beobachtern und Fachleuten, wie das zu ändern wäre. Wie nicht anders zu erwarten, widersprechen sie