Menschenspuren im Wald. Peter Wohlleben

Menschenspuren im Wald - Peter Wohlleben


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Entfaltung gelangen.

      Doch heute wird der Begriff zunehmend für verdeckte Kahlschläge missbraucht. Und diese funktionieren über »Z-Bäume« (Zukunfts-Bäume). Das sind besonders gerade Exemplare mit makellosen Stämmen, die von den Förstern dauerhaft mit Farbe markiert werden (siehe Foto auf Seite 21). Diese Elite wird von nun an bei jeder Durchforstung kräftig gefördert, indem jeweils ein bis zwei Nachbarn entfernt werden. So können die Z-Bäume eine große Krone ausbilden und besonders viel Holz bilden. Bei 50 bis 100 Stück pro Hektar, die so gefördert werden, kommt irgendwann der Tag X: Dann sind alle Nachbarn gefällt, und die Auserwählten sind unter sich. Alle etwa gleich dick, gleich schön, gleich alt und gleich groß – das ist ein uniformer Wald, der sich gut zu Geld machen lässt. Und weil alle Bäume gleichzeitig ihr optimales Erntealter erreichen, werden innerhalb weniger Jahre auch alle gefällt. Hat sich durch die permanente Auflichtung schon ein wenig Nachwuchs angesiedelt, dann zählt dies wie zuvor beschrieben als Schirmhieb und damit offiziell als ökologisch nachhaltig. Wehe jedoch, Stürme oder Borkenkäfer vergreifen sich an den Auslesebäumen und bringen ihnen den Tod! Da die weniger attraktiven Stämme meist schon entfernt wurden, kann nun nicht auf Ersatzkandidaten umgesattelt werden, wodurch lokal kleine Löcher im Wald entstehen, die sich so schnell nicht wieder schließen.

      Dauerwald heißt: Wirtschaften ohne Kahlschlag. Anfangs war das auch wirklich so.

      Naturnahe Forstwirtschaft in einem Naturschutzgebiet in der Eifel.

      Am Rande sei vermerkt, dass Betriebe, die den Dauerwaldbegriff so verwenden, noch ein anderes Wort verfälscht haben. Echte Ökobetriebe (und davon gibt es einige!) wirtschaften naturgemäß. Sie möchten sich in allen Eingriffen an natürlichen Prozessen orientieren und diese in ihrer Entfaltung so wenig wie möglich stören. Konventionelle Betriebe haben das aufgegriffen – allerdings nur verbal. »Naturgemäß« änderten sie ab in »naturnah«, und schon konnten sie sich dieses bedeutungslose Etikett anheften. Tatsächlich behaupten die meisten Kahlschlagsförster, ihre Betriebsweise sei naturnahe Waldwirtschaft. Das beruhigt zumindest das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger, die ihren Waldhütern völlig vertrauen.

      Hinter den Kulissen wird jedoch bereits auf großer Fläche die Renaissance der Nadelholzplantagen eingeleitet. Während unter dem Eindruck der 1990er-Windwürfe ein großer Umschwung zu mehr Naturnähe einsetzte, ist momentan der gegenläufige Trend zu beobachten. Schon macht das hässliche Wort der »Verbuchung« in der Branche die Runde; Laubbäume werden damit zu Unkraut abgestempelt. Und mit der Verhärtung der Sichtweise gelten nun auch kleinere Kahlschläge wieder als salonfähig, wenn sie zur Umwandlung naturferner Plantagen in Dauerwald dienen.

      Ein Zukunfts-Baum – er wird im Dauerwald regelmäßig von seinen Nachbarn »befreit«.

      Doch Moment: Führt ein Kahlschlag mit anschließender Bepflanzung nicht wieder zu einem monotonen gleichaltrigen Baumbestand? Ich habe den Eindruck, dass es momentan überwiegend darum geht, den immer rascher wachsenden Holzhunger der Industrie zu befriedigen. Um die Bevölkerung zu beruhigen, werden für diese naturfernen Wirtschaftsweisen sämtliche Vokabeln aus dem Bereich der Ökologie so verbogen, dass sich zumindest in den PR-Broschüren der Forstverwaltungen ein harmonisches und nachhaltiges Bild unserer Wälder ergibt.

      Künstlich, aber nahe an der Natur: der Laubplenterwald.

      Plenterwald: die urwaldähnlichste Wirtschaftsform

      Wenn Sie durch einen Wald spazieren, in dem kleine und große, dicke und dünne Bäume aller Altersgruppen und Durchmesser innig gemischt auftreten, dann sehen Sie einen Plenterwald. Er ist die urwaldnächste Wirtschaftsform. Bäume jeglicher Größe stehen bunt gemischt zusammen und bilden eine pflanzliche Sozialgemeinschaft. In der Regel stehen hier heimische Baumarten wie Buchen, Weißtannen und Eichen, allenfalls gelegentlich durch einzelne Douglasien, Fichten oder Kiefern ergänzt. Einen herkömmlichen Forst in einen Plenterwald zu überführen, dauert etwa 100 Jahre. Anschließend verändert sich das Waldgefüge über viele Jahrhunderte nicht mehr – ganz so wie in einem Urwald. Und doch ist der Plenterwald eine Kunstform. Im Gegensatz zum Urwald fehlt ihm Totholz, selbst wenn der eine oder andere Baum hier sein Leben zu Ende leben darf und dann verrottet. Das meiste Holz soll schließlich geerntet und teuer verkauft werden. Aus diesem Grund fehlen auch ganz alte Exemplare, die ja meist im Inneren schon Pilzbefall aufweisen und dann wirtschaftlich wertlos werden.

      Kleine und große Nadelbäume bunt gemischt – so kann im Alpenraum ein Plenterwald aussehen.

      Die gesamte Biomasse beträgt in einem Plenterwald höchstens die Hälfte des wilden Vorbilds, sodass es in ihm viel heller ist (weniger Bäume = mehr Licht am Boden). Für manche Urwaldarten unter Käfern und Spinnen ist er dadurch kein geeigneter Lebensraum mehr. Dennoch – ökologischer kann man nicht wirtschaften, und daher sind Plenterwälder, durchsetzt mit Schutzgebieten, die sinnvollste und schonendste Form der Forstwirtschaft. Leider sind sie hierzulande nur auf wenigen Prozent der Waldfläche zu finden.

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