Fälle und Lösungen zur StPO. Nils Neuwald
Befugnisnorm
3.2 Adressat
3.3 Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen/Verhältnismäßigkeit
3.4 Besondere gesetzliche Pflichten/Formvorschriften
3.5 Feststellung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme
4 Zwang
4.1 Benennung der Art des Zwanges
4.2 Zulässigkeit der Vollstreckung
4.3 Adressat des Verwaltungszwanges
4.4 Zur Anwendung unmittelbaren Zwanges berechtigte Personen
4.5 Besondere Vorschriften
– Androhung
– Besondere Anforderungen
4.6 Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen/Verhältnismäßigkeit
4.7 Feststellung der Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Durchsetzung dieser Maßnahme
1.4 Erläuterungen zum Prüfschema
Ziffer 1.1 Entscheidung zu präventivem oder repressivem Handeln
Der Einstieg in die rechtliche Fallbearbeitung erfolgt über die Betrachtung des polizeilichen Anlasses, der sich regelmäßig als Rechtsgutverletzung, d. h. vielfach als Verstoß gegen eine oder mehrere gesetzlich festgeschriebene Normen verstehen lässt.
In den meisten Fällen handelt es sich um eine Gefahr, eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit (OWi), die in einer Gemengelage in unterschiedlicher Vielzahl und Kombination vorliegen kann. Zu beachten ist, dass in dieser Prüfziffer noch keine umfängliche rechtliche Würdigung erfolgt.
Der polizeiliche Anlass ist nur kurz darzustellen. Mit dieser Vorstellung soll dargestellt werden, was offensichtlich erkannt wurde und was weiterhin wahrscheinlich oder möglich ist.
Dabei sollte die Art der Rechtsgutverletzung (RGV) betrachtet werden und zur Entscheidungsfindung des präventiven oder repressiven Handelns beitragen.
Es werden drei Arten der RGV unterschieden, die dann präventives (gefahrenabwehrendes) oder repressives (strafverfolgendes) Tätigwerden erforderlich werden lassen. Dabei ist stets der Grundsatz »Prävention vor Repression« zu beachten.
Eine RGV ist bevorstehend, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, ein Schaden werde bei ungehindertem Geschehensablauf innerhalb einer bestimmbaren oder bereits absehbaren Zeit eintreten.
Eine RGV ist anhaltend, wenn ein Schaden bereits entstanden ist und der sicherheitswidrige Zustand andauert und dadurch eine Schadensvertiefung oder eine Schadensvergrößerung eintreten kann. Oft handelt es sich um Dauerdelikte (z. B. Hausfriedensbruch oder Freiheitsberaubung), die zwar vollendet, aber noch nicht beendet sind.
In Betracht kommen ferner Straftaten im Versuchsstadium und solche Delikte, bei denen eine Schadensvertiefung noch möglich ist. Dies gilt sinngemäß auch für Ordnungswidrigkeiten oder für Rechtsverletzungen nach dem Privatrecht (z. B. Verletzung der elterlichen Sorge [§ 1626 BGB] gegenüber Kindern).
RGV, in der Regel Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, gelten dann als abgeschlossen, wenn sie keinen weiteren unmittelbaren polizeilichen Schaden im Sinne einer Schadensvertiefung oder -vergrößerung bewirken können. Die möglichen mit Strafe bedrohten Handlungen oder Unterlassungen (Straftaten/rechtswidrige Taten) sind vom Bearbeiter zu benennen. Entsprechend ist bei etwaigen Ordnungswidrigkeiten zu verfahren.
Dabei bietet sich folgende Gliederung des Prüfpunktes 1.1 an:
(1) Einleitungssatz
(2) Kurze Sachverhaltswiedergabe
(3) Bisheriger Schaden
(4) Zukünftiger Schaden/Schadensvertiefung
(5) Betroffene Rechtsgüter/Straftat/OWi
(6) Entscheidung
Formulierungsbeispiel für eine bevorstehende RGV:
Sachverhalt
Während Ihrer Streife erkennen Sie den polizeibekannten A wieder, der bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten ist. A geht direkt auf den B zu, pöbelt diesen an und nimmt dabei eine drohende Haltung ein.
Einleitungssatz
Die Entscheidung zu präventivem oder repressivem Handeln ist zu treffen.
Kurze Sachverhaltswiedergabe
A ist bereits mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten in Erscheinung getreten und pöbelt soeben den B an.
Bisheriger Schaden
Noch ist kein Schaden eingetreten.
Zukünftiger Schaden/Schadensvertiefung
Doch ohne polizeiliches Einschreiten könnte der Streit eskalieren und zu Straftaten (wie z. B. Beleidigungen und Körperverletzungen) führen.
Betroffene Rechtsgüter/Straftat/OWi
Es würde sich dann um die Straftat Beleidigung gem. § 185 StGB und Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB handeln. Betroffene Rechtsgüter wären die Ehre, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit des B sowie die objektive Rechtsordnung.
Entscheidung
Es handelt sich um eine bevorstehende Rechtsgutverletzung als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Daher ist hier zunächst präventives Einschreiten zur Abwehr der Gefahr erforderlich.
Formulierungsbeispiel für eine anhaltende RGV:
Sachverhalt
Während Ihrer Streife werden Sie Zeuge, wie T den O mit der Faust ins Gesicht schlägt. T holt erneut zu einem Schlag aus.
Einleitungssatz
Die Entscheidung zu präventivem oder repressivem Handeln ist zu treffen.
Kurze Sachverhaltswiedergabe
T hat O bereits mit der Faust ins Gesicht geschlagen und holt nun zum nächsten Schlag aus.
Bisheriger Schaden
Ein Schaden ist bereits eingetreten.
Zukünftiger Schaden/Schadensvertiefung
Doch ohne polizeiliches Einschreiten wird T den O erneut mit der Faust ins Gesicht schlagen und der Schaden würde sich vertiefen.
Betroffene Rechtsgüter/Straftat/OWi
Es handelt sich um die Straftat Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB. Betroffene Rechtsgüter sind das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit des O sowie die objektive Rechtsordnung.
Entscheidung