Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker
„Gasstaat“. Deswegen ticken in der Gaswirtschaft „die Uhren anders“. Rechtlich hat sich die Gaswirtschaft aber der Monopol- und Kartellstrukturen bedient, die sich die Stromwirtschaft geschaffen hatte; vor allem mit Hilfe der kommunalen Unternehmen, die keinen Anlass für unterschiedliche rechtliche Strukturen sahen. Mit der Ruhrgas AG entstand so in aller Stille das beherrschende deutsche Gastransport- und -handelsunternehmen mit einem Marktanteil von schließlich 80 %.
Wie machte das die Ruhrgas? Der deutsche Markt wurde großflächig aufgeteilt, und zwar zwischen der NAM, der Gasunion, Shell und Esso und der Ruhrgas, mit wechselseitigen Andienungs- und Abnahmepflichten.
5 Zum Vorstehenden: Wikipedia „Kohle-Syndikat gründet Ruhrgas AG“.
8. Kapitel
Das Glühlampenkartell Phoebus
Das deutsche Glühlampenkartell, das Rathenau und Siemens schon vor der Einführung der Stromversorgung verabredet hatten, hatte anfangs wenig Erfolg. Das lag an den Produktpiraten, die die Preise von anfänglich 6 Mark bis auf 17 Pfennig herunter brachten. Dem gegenüber war das US-amerikanische Glühlampenkartell unter Anführung von General Electric wesentlich erfolgreicher – wie berichtet. Aber ein Weltkartell kam vor dem Ersten Weltkrieg nicht zustande.
Das wurde nach dem Krieg anders. Schon 1920 hatte ein Untersuchungsausschuss des britischen Unterhauses bei der Überprüfung von Kriegsgewinnen in der Elektroindustrie davor gewarnt, dass „britische, holländische und amerikanische Lampenhersteller sich zu einer internationalen Organisation zusammenschließen, die ... Produktionsmengen und Preise von Glühlampen in weiten Teilen der Welt“ kontrollieren könnte. 1924 trieb der Chefunterhändler für General Electric, Woodward, alle großen Glühlampenhersteller der Welt zu einem „gigantischen Weltkartell“ (US-Gerichtsurteil) zusammen. Er sah darin einen „Erziehungsprozess“, der davon abhing, dass man sich über Produktionsquoten, Preise etc. einigte, was nicht so einfach war. Aber schließlich wurde am Heiligabend 1924 das „Weltkartell der Glühlampen“ unter dem Namen des Sonnengottes Phoebus in Form einer Aktiengesellschaft in der neutralen Schweiz, und zwar in Genf, gegründet. Das Kartell sicherte für jedes Mitglied ein Kontingent für verschiedene Märkte und legte von Land zu Land die Preise bindend fest. Außenseiter wurden mit allen Mitteln bekämpft. „Neutrale“ Lampenfabriken wurden verdeckt aufgekauft. Deutscher Verhandlungsführer war William Meinhardt von der Auer-Gesellschaft, den die Engländer „the wily old fox“ nannten. Meinhardt kommentierte die wichtigsten Vorschriften des Kartellvertrags wie folgt:
„Bei den Verhandlungen war es im Gegensatz zu anderen internationalen Vereinbarungen bemerkenswert, dass sich zunächst die Großen in der ganzen Welt verständigten und erst nach Klärung der grundsätzlichen Ziele die Kleinen zum Anschluss aufforderten. Zum Gegenstand des Vertrages gehören alle Lampen, die zur Beleuchtung, Heizung oder zu medizinischen Zwecken dienen ... Von einer Regelung der Produktion ist Abstand genommen worden. Dagegen ist eine sorgfältige Kontingentierung des Absatzes und eine Aufteilung der Märkte erfolgt. ... Durch die sachgemäße Aufteilung der Märkte erhält jedes Mitglied die Möglichkeit, mit den denkbar geringsten Vertriebsspesen seine Waren zu vertreiben.“ Diese delikaten Einzelheiten wurden allerdings dem Publikum in seiner im Jahr 1932 – also auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise – erschienen Schrift „Entwicklung und Aufbau der Glühlampenindustrie“ nicht verraten.
Zu den Kartellgeheimnissen gehörte auch die Begrenzung der Lebensdauer einer normalen Glühlampe auf 1.000 Brennstunden, obwohl 3.000 Stunden und mehr technisch möglich waren, ein Phänomen, das sich „geplanter Verschleiß“ nennt. Die Kartellbrüder versprachen sich davon „eine Verdopplung des Geschäfts in fünf Jahren“. Die Preise wurden auf diese Weise 30 % höher als sie eigentlich hätten sein können, was sich aus den Preisen einer gewerkschaftseigenen schwedischen Glühlampenfabrik ergab.
Bemerkenswert war, dass General Electric – obwohl Konstrukteur des Kartells – niemals formelles Mitglied des Kartells wurde. Das war auch nicht nötig, weil General Electric an zahlreichen Unternehmen beteiligt war, die zum Kartell gehörten. Aber eine Unterschrift erschien nicht opportun, nachdem der Aufkauf von 200 lokalen Elektrizitätsgesellschaften die amerikanischen Kartellbehörden auf den Plan gerufen hatten. Der amerikanische Senat ordnete eine Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen auf dem Strommarkt an. Daraufhin zog sich General Electric im Jahr 1924, als das Kartell abgeschlossen wurde, sogar ganz aus dem Stromverkauf zurück.
Der eigentliche Grund lag aber darin, dass in den USA – anders als in Deutschland – schon früh Kartellverbote erlassen wurden. Anlass war das Entstehen von Monopolen, z.B. der Standard Oil Company, der Carnegie Steel Company, der Accessory Transit Company, verbunden mit Namen wie John D. Rockefeller und Cornelius Vanderbilt, die mit ihren „großen Konstruktionen“ Monopole schufen, die die Abgeordneten auf den Plan riefen. Der Sherman Antitrust Act von 1890 brachte ein Monopolisierungsverbot, das auch horizontale und vertikale Absprachen grundsätzlich verbot. Das Gesetz sah sogar die Möglichkeit der Entflechtung vor; Unternehmen mit Monopolstellung konnten unter bestimmten Voraussetzungen aufgeteilt werden. Bei Erlass des Gesetzes war eine Strafe von bis zu 5.000 US-Dollar oder eine Gefängnisstrafe von einem Jahr möglich. Der Rahmen für Geldstrafen war natürlich viel zu gering. Im Jahr 2005 waren die Strafen schon auf bis zu 10 Mio. US-Dollar für Unternehmen bzw. 1 Million US-Dollar für natürliche Personen gestiegen. Allerdings dauerte es einige Jahre, bis das Gesetz auch wirklich angewandt wurde. American Tobacco wurde 1911 auf Grundlage des Sherman Antitrust Acts entflochten, Standard Oil am 8.11.1906 von der Regierung der USA angeklagt und am 5.5.1911 entflochten. DuPont wurde im Jahr 1912 wegen eines Monopols auf Sprengstoffe in mehrere Teile zerschlagen.6 Aber General Electric hielt das nicht vom Bau des Welt-Glühlampenkartells ab. Die Zusammenarbeit wurde vielmehr durch finanzielle Verflechtungen nur noch enger. In der Boom-Zeit von 1924 bis 1929 legte das RWE vier Anleihen in Höhe von 65 Mio. Dollar für den US-Markt auf, zu denen 157 Mio. Auslandsanleihen der RWE-Töchter traten. Siemens ließ sich durch ein New Yorker Bankhaus bis 1929 Anleihen in Höhe von 29 Mio. Dollar besorgen. Die AEG überließ den alten transatlantischen Geschäftsfreunden von General Electric gegen Dollar eine 25 %ige Beteiligung an ihrem Aktienkapital von 200 Mio. Mark. Aber den Amerikanern ging es dabei nicht um das Geldverdienen, sondern um Vorbeugung: Wenn sich auf den Heimatmärkten Probleme ergaben, könnten die Konzerne möglicherweise auf die Idee kommen, sich auf Exportmärkten zu engagieren. Um hier regulierend einzugreifen, wollten die Chefs von General Electric und Westinghouse ein Weltkartell der großen Anlagenbauer konstruieren, das jedem hungrigen europäischen Konzern so viel zu beißen gab, dass er nicht auf die Idee kam, in die USA zu expandieren. Am 13.12.1930 war es soweit. Zwar rieten die US-Rechtsberater dringend von einer Unterzeichnung des Weltkartellvertrags ab, weil die Vereinbarung gegen die Antitrustgesetze verstieß. Aber die Amerikaner setzten sich über die Bedenken hinweg und unterschrieben das International Notification and Compensation Agreement, das Internationale Benachrichtigungs- und Kompensationsabkommen. Später wurde das Kartell in International Electric Association umgetauft: Internationale Elektrizitätsvereinigung – absolut nichtssagend. Die Konzerne versprachen sich Heimatschutz: Auf ihren Märkten war die Festlegung von Preisen allein ihre Sache. Als Heimatgebiete galten alle europäischen Länder, die USA, Kanada und Japan einschließlich ihrer Kolonien. In den restlichen Ländern der Welt wurden Verkauf und Lieferung von Kraftwerken und Aggregaten durch die Kartellbestimmungen geregelt. Jedes Mitglied, das auch nur von einer Ausschreibung hörte, war verpflichtet, dies auf einer vorgedruckten Karte dem Sekretär des Kartells mitzuteilen. Antworten durften nur die Mitglieder, die vom Sekretär dazu aufgefordert wurden. In der Benachrichtigung waren auch die Mitbewerber aufgeführt. Diese Firmen einigten sich dann untereinander, wem der Auftrag zu welchem Preis zufallen sollte. Erst viele Jahre später deckten die US-Kartellbehörden die Kartellabsprachen auf, die praktisch alle Produkte der Anlagenbauer einbezogen hatten.
Man sieht: Selbst die scharfe US-Kartellgesetzgebung schaffte es nicht, die Kartelle an die Kandare zu legen. Kartellbehörden sind regelmäßig gezwungen, „ex post“ – im Nachhinein – einzugreifen, wenn sie gezielt oder durch Zufall Informationen über Kartelle erhalten. Generelle oder differenzierte Kartellverbote sind das eine; Meldepflichten