Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis
Ausgerechnet bei Loki gab es genug Gründe eben genau gar nicht zu kichern. Mara hätte sich das auf jeden Fall nicht getraut, und auch der Professor würde sich hüten. Vor allem, weil der all die Geschichten rund um Loki kannte.
Doch da war es schon wieder! Ganz eindeutig hatte da gerade jemand gelacht! Loki blieb stehen und drehte sich sehr langsam um. Sofort wurde es mucksmäuschenstill in der riesigen Halle.
Doch Loki sagte kein Wort, trat nur an einen der Tische heran und sah in die Runde. Die Krieger, die nun direkt vor ihm saßen, zogen instinktiv ihre Köpfe ein.
Loki tat einen Moment lang gar nichts. Dann erst fuhr er zwischen die Teller und Schüsseln auf dem wuchtigen Tisch und griff sich ein Stück Fleisch an einem Knochen. Er betrachtete das Stück prüfend, roch daran, während er sich wieder wegdrehte und anschickte, weiterzugehen. Doch gerade, als die Männer wieder aufatmeten, schrie jemand an einem der Nebentische auf. Schreckensschreie und Tumult zeigten Mara und Steffi, wo sie hinzusehen hatten: Einer der Krieger war aufgesprungen und machte sehr unappetitliche Geräusche. Er röchelte schrecklich und fasste sich dabei mit beiden Händen an den Hals. Sein Hals war seltsam dick, und es sah aus, als steckte etwas Großes darin fest, was den Mann am Atmen hinderte.
Mara und Steffi wendeten den Blick ab, als der Mann gurgelnd vornüberkippte und nach ein paar weiteren verzweifelten Versuchen zu atmen, hilflos mit den Armen ruderte, noch ein paarmal zuckte und dann liegen blieb.
Alle blickten zu Loki. Das Stück Fleisch in seiner Hand war verschwunden.
»Loki hat den Mann … umgebracht?«, wisperte Mara fassungslos. »Einfach so, weil er gekichert hat?«
Steffi nickte nur und sagte nichts, was man nicht auch ihrem Blick entnehmen konnte.
Niemand lachte jetzt mehr oder machte irgendein Geräusch, während Loki seinen Weg fortsetzte. Als er schließlich vor Odin haltmachte, war nichts mehr zu hören außer dem grollenden Knurren der beiden Wölfe zu Füßen des ältesten und mächtigsten Gottes der Germanen.
Seltsamerweise sprach Loki immer noch kein Wort. Das war schon ungewöhnlich. Dafür flüsterte Steffi Mara zu: »Ich hab eine Ahnung, wer das ist. Das könnte …«
»Das ist Loki«, unterbrach Mara sie ebenso leise. »Wir kennen uns. Okay, jetzt gerade kennt er mich noch nicht.«
Steffi sah Mara seltsam leer an, und Mara seufzte: »Also, dieser Loki da ist nicht der Loki, den ich … nein, das stimmt nicht. Er ist schon der Loki, den ich später mal kennenlerne, aber er weiß das jetzt noch nicht. Weil jetzt früher ist, und ich ihn erst später kennenlerne. Und weil er jetzt wohl auch … anders ist, und ich ihn jetzt gar nicht kennen will. Wie bei den Raben. Oh Mann, die will ich schon kennen, ich meine: Die wissen jetzt auch noch nicht, wer ich bin. Sein werde. Bin. So.«
Steffis Blick blieb so leer wie eine Pfandflasche, aber sie rang sich ein sehr langsames Nicken ab.
»Gut«, sagte Mara. »Ist nämlich echt nicht einfach zu erklären.«
Dann wendeten sie sich beide von dem unlösbaren Problem des Zeitreiseparadoxons ab und den Geschehnissen in der Halle zu.
Odin sagte gerade irgendetwas, das sie über die Entfernung nicht verstanden, und Loki blieb die ganze Zeit über still. Dann plötzlich lachte wieder jemand. Es war Odin persönlich. Dazu bedeutete er Loki mit einer nachlässigen Handbewegung zu verschwinden.
Loki blieb einen Moment lang unschlüssig stehen, doch als die beiden Wölfe Odins grollten, drehte er sich schließlich um und ging wortlos den Gang zwischen den Bänken zurück, den er gekommen war.
Das Lachen Odins begleitete ihn den ganzen Weg entlang, aber niemand wagte es mehr mitzulachen.
Erst als Loki die Säule passierte, hinter der Mara und Steffi versteckt waren, konnten sie ihn endlich richtig von vorne sehen. Mit diesem einen Blick beantworteten sich mehrere Fragen: erstens warum Loki nichts gesprochen hatte, zweitens warum er so wütend war auf den Kicherer und warum Odin ihn ausgelacht hatte. Lokis Lippen waren zusammengenäht mit einem dicken schwarzen Lederband.
Mara schrie auf und wusste sofort, dass das ein ganz großer Fehler war.
Kapitel 9
Unzählige Augenpaare richteten sich auf Mara. Schneller, als sie achduscheißedummdumm denken konnte, waren schon die ersten Krieger aufgesprungen und hatten ihre Waffen gezogen.
Loki selbst stieß ein ersticktes Knurren zwischen seinen zugenähten Lippen hervor, und seine düsteren Augen verengten sich zu Schlitzen. Er hatte so gar nichts von dem schalkhaften Kerl, den Mara in der Höhle kennengelernt hatte. Dieser Loki hier war ein mörderischer, rachsüchtiger Dämon!
Mara wich zurück und versuchte, Steffis Arm zu erwischen, um mit ihr körperlichen Kontakt aufzunehmen. Nur dann konnte sie sicher sein, dass sie sie wieder mit zurücknehmen würde! Sie erwischte einen Ärmel, riss ihn zu sich und konzentrierte sich sogleich auf den Platz vor dem Museumstrakt.
Professor Weissinger war ebenso überrascht, wie Mara aufgeregt war: »Wow, das war knapp!«, sprudelte sie sofort los. »Wir waren in der Halle mit den toten Kriegern! Odin war auch da und Loki! Und er hatte den Mund zugenäht, warum könnte das denn sein, oder ist das wieder irgend so eine brutale Göttergeschichte? Auf jeden Fall bin ich erschrocken und zwar zu laut. Und alle haben hergesehen, Loki auch, und da sind wir sofort abgehauen, boah, war das knapp!«
Sie sah den Professor an, doch der sagte nichts. »Hallo?«, fragte Mara. »Alles okay?«
Der Professor schüttelte den Kopf und deutete dann nur mit seinem Blick und einem Nicken seines Kinns an, wohin Mara schauen sollte. Mara drehte den Kopf und erschrak noch einmal: Sie hielt den Ärmel eines Wikingers in der Hand.
»Ah!«, rief Mara und sprang zur Seite wie ein Flummi. Gleichzeitig zog der Wikinger sein Schwert. Ein wütender Kampfschrei klang dumpf unter dem breiten Nasenschoner des Helmes hervor, als er das Schwert geschickt um den Körper kreisen ließ, um dann von ganz oben mit voller Wucht zuzuschlagen.
Mara stolperte rückwärts, prallte gegen die Hauswand und rutschte zitternd daran herab. Sie hatte keine Chance, dem Hieb auszuweichen, und wusste das. Sie wusste auch, dass es nichts brachte, die Augen zu schließen und dabei schützend die Arme über den Kopf zu heben, und tat es trotzdem.
Da hörte sie einen weiteren Schrei und öffnete die Augen. Es war die Stimme des Professors, der Maras Stab in beiden Händen hielt und gerade einen Hieb des Wikingers parierte.
»Weg von der Mauer!«, rief er ihr zu, während er sich seitlich zu seinem Gegner postierte, um weniger Angriffsfläche zu bieten und gleichzeitig die linke Hand vom Stab löste. Mit der Rechten führte er nun den Stab wie ein Schwert, ließ ihn durch eine Bewegung des Unterarmes zweimal blitzschnell kreisen und schlug dann dem Wikinger aus einem überraschenden Winkel mit voller Wucht auf die Schwerthand. Der schrie wütend auf und ging zum Angriff über. Doch sein Schwert glitt ins Nichts, denn der Professor stand nun daneben und vollführte mit dem Stab eine seltsame Drehbewegung entlang der gegnerischen Klinge. Bevor Mara verstehen konnte, wie der Professor das gemacht hatte, fiel das Schwert des Wikingers auch schon in den Kies. Mara bemerkte sehr wohl, dass der Professor sein typisches Ich-liebe-es-wenn-ein-Plan-funktioniert-Gesicht trug. Sie schrie erschrocken auf, als der Wikinger nach seiner Waffe tauchte.
Professor Weissinger schwang den Stab wie einen Golfschläger und traf das Schwert präzise am Knauf. Singend schlitterte die Waffe des Wikingers über den Kiesboden und schlug mit der Spitze am Fuß eines Baumstamms ein. Der Wikinger landete bäuchlings im Kies.
Gerade als er sich aufrappeln wollte, um hinter dem Schwert herzurennen, schob ihm Professor Weissinger den Stab zwischen die Füße. Der Wikinger vollführte einen halben Salto in der Luft, und es machte ziemlich laut PANK, als der Helm auf den Kiesboden