Die alten Götter. Luci van Org
atmete durch. Weil es jedes Mal aufs Neue nicht leicht war, die passenden Worte zu finden und weil ihr schon ganz blümerant war, in der qualmgeschwängerten Luft. „Das … meine ich nicht“, ergänzte sie schließlich gepresst. „N … natürlich ist dieses ganze … Gastfreundschafts-Ding uns alles andere als egal, aber … du bist ja jetzt schon mehr als anderthalb Jahrtausende hier und angesichts dieser langen Zeitspanne …“, die oberste Göttin der Asen lächelte etwas gequält, „Angesichts dieser langen Zeitspanne finden auch Wotan und die anderen, dass es bestimmt auch für dich besser wäre, wenn …“
Lautes, langanhaltendes Gurgeln eines tiefen Zuges am grüngläsernen Bong der Marke „Power Tower“. Frija unterbrach ihre Ausführungen, denn während das Blubbern in angestrengtes, auch für geübte Rauschmittelkonsumenten besorgniserregend dauerhaftes Luftanhalten überging, musste sie Halt an der Türklinke suchen, weil ihr vom Zusehen endgültig schwindelig wurde.
Endlich entließen des Logierbesuches Lippen zwei winzige Rauchwölkchen ins nachmittägliche Dämmerlicht. Und drei Worte: „Sch … schwul oder was?“ Empört hüstelnd und mit von der Strapaze knallrotem Gesicht zog Jehova sein Federbett hoch bis ans Kinn und drehte sich zur Wand.
Die Personalkantine des Jobcenters Berlin-Tempelhof-Schöneberg war überfüllt. Wie immer, wenn es Eisbein mit Püree gab, obwohl jedes Mal alle so taten, als würden sie das Zeug nicht mögen.
Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in der Warteschlange wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund.
Kadir und Christoph taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie angesichts der Schweinebeine in der Auslage an ihre Väter denken mussten.
Nicht wegen etwaiger optischer oder gar charakterlicher Ähnlichkeiten.
Aber die Tatsache, dass Christophs alter Herr so gut wie täglich riesige Schweinestücke in sich hineinzustopfen pflegte, wohingegen es Kadirs Vater schon vor Abscheu schüttelte beim bloßen Gedanken an das unreine Ekelzeug, belustigte die Liebenden gleichermaßen und war eine von unzähligen Kleinigkeiten, die sie verband.
Eine andere war, dass Kadirs und Christophs Vater damals vor sechs Jahren beide erst einmal keinen Sohn mehr gehabt hatten, nach Erhalt einer Einladungskarte. „Wir trauen uns“ hatte darauf gestanden, dazu Datum und Uhrzeit einer feierlichen Verpartnerungszeremonie im Standesamt Berlin Tempelhof-Schöneberg.
„Des is net gotgwoildt …!“, hatte Christians Vater nach dem Kirchgang über seinen Teller Wellfleisch gebrüllt. Und Kadirs alter Herr hatte geschrien und gewimmert, wie er das denn dem Imam erklären solle am kommenden Freitag und beide Mütter hatten sich dazu auf die Lippen gebissen, leise geschluchzt und geschwiegen.
Ein Verhalten, das – mal abgesehen von etwaigen theologischen Feinheiten – ja durchaus auf bestehende Gemeinsamkeiten zwischen den Bräutigamseltern hätte hinweisen können. Ebenso wie die Tatsache, dass alle vier sich bis heute nicht entscheiden mochten, ob das Schlimmste eigentlich ihr schwuler Nachwuchs an sich war, oder dass dieser sich ausgerechnet in den Sprössling eines bayerischen Katholiken beziehungsweise eines türkdeutschen Muslimen hatte verknallen müssen.
Trotzdem wurde man in den Familien nicht müde bei jedem nur erdenklichen Anlass auf all die vermeintlich so tiefgreifenden, religionsbedingten Unterschiede zwischen ihren Kulturen hinzuweisen. Und dabei gar nicht zu bemerken, wie sehr doch auch dies eigentlich schon wieder verdächtig nach Gemeinsamkeit roch.
Weil elterliche Sehnsucht aber bisweilen stärker war als Gottesfurcht, lud man die Verdammten seit kurzem zumindest ab und zu mal gemeinsam zum Essen ein. Hier zu Schweins- dort zu Lammbraten und an beiden Orten zu Vorhaltungen und Klagen. Darüber, wie oft alle nachts wach lagen vor Gram „ … weil ihr in der Hölle schmoren werdet!“
Schon wieder eine dieser Gemeinsamkeiten. Wobei die eine Hölle natürlich muslimisch und die andere Hölle katholisch war, doch weder Christoph noch Kadir wussten, ob das eigentlich irgendeinen Unterschied machte.
Etwas anderes wussten die zwei Liebenden ebenfalls nicht. Nämlich, dass sie auserwählt waren. Nicht vom Gott der Christen. Auch nicht vom Gott der Muslime. Aber vom Schicksal.
Weil das Schicksal eben tat, was es wollte. Völlig egal, ob das den Göttern, den Menschen oder sonst irgendwelchen Bewohnern der neun Welten nun passte oder nicht.
„Es … reicht!“ Die sommersprossigen Nasenflügel bebend vor Zorn baute Frija, die Huldvolle, sich vor ihrem Göttergatten Wotan Allvater auf. „Wat …?“, ächzte der ein wenig verdattert und ohne von seiner Portion Chickenwings aufzublicken.
„Na alles!“, schnaufte seine Frau. „Wie er da rumliegt und jammert und … und … dieses primitive Gequatsche und dieser süßliche Mief überall.“ Angeekelt schnüffelte sie an ihrem Wollcape. „Es muss etwas passieren. Sofort!“
„Dit fällt Dir ja früh ein …“, entfuhr es dem Allvater leise.
Was er schon im nächsten Augenblick bereute.
Weil Frija, der Allwissenden, natürlich nichts, absolut gar nichts, einfach so einfiel, weder früh noch spät. Wie denn auch? Hatte die Huldvolle doch bereits vor Jahrtausenden alles gewusst, was jemals geschehen war, gerade geschah oder aufgrund desselben noch geschehen mochte bis ans Ende aller Tage, weil das ja nun mal ihre göttliche Superkraft war.
Genau dies würde sie ihrem Mann in spätestens einem Wimpernschlag nun wieder einmal ebenso empört wie besserwisserisch aufs Brot schmieren, verbunden mit der Feststellung, dass sie für ihre Allwissenheit ja nun wohl alles andere als etwas konnte, weshalb es absolut unfair sei, ihr jedwelche Verantwortung zuzuschieben, nur, weil sie die Arschigkeiten ihrer Mitlebewesen immer vor allen anderen auf sich selbst und die Welt zukommen sah, bla, bla, bla, bla …
Dabei hatte Wotan doch nur anmerken wollen, dass Jehova ja nicht erst seit gestern in der oberasischen Behausung logierte! Zugegebenermaßen kein angenehmer Zustand, aber im Laufe der Jahre hatten sich doch alle irgendwie arrangiert mit dem Elend.
„Duu …“, zischelte die Huldvolle. Untrügliches Anzeichen einer direkt bevorstehenden verbalen Detonation, weshalb Wotan noch schnell in einen Hühnerflügel biss, um Frijas Wutausbruch wenigstens nicht mit leerem Magen überstehen zu müssen.
„Du …“, schnaufte es ein weiteres Mal und des Allvaters Schultern wanderten ängstlich ein Stück nach oben in Richtung seiner Ohren. Worüber er sich derart zu ärgern begann, dass er die Sensation zunächst sogar überhörte.
„Du hast ja recht …“
„Was?!“
„Du hast recht. Was dagegen?“
„N … nein! Ich meine nur – So was sagst du doch … sonst nicht.“
„Sonst hast du ja auch nicht recht.“
Die Indoor-Strandbar Mykonos auf dem Fabrikgelände der Schöneberger Motzstraße war überfüllt. Wie immer am Freitagabend, obwohl jedes Mal alle so taten, als wäre der Hype darum, in künstlich aufgeschütteten Sanddünen nackt Cocktails zu schlürfen, zu kiffen und zwischendurch anonymen Safer Sex zu haben, nun wirklich so was von gestern.
Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in der Warteschlange wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund. Sie taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie – angesichts der immer länger werdenden Reihe Wartender – mit geübten Augen den Personalengpass am Kassentresen bemerkten. Nur ein einziger junger Mann versuchte dem Ansturm der unzähligen Gäste Herr zu werden. Schweiß rann von seiner