Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet. Timo Handel
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Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit
der Diensteanbieter sozialer
Netzwerke im Internet
Eine Untersuchung nach allgemeinem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
unter Berücksichtigung spezialgesetzlicher Regelungen
des Telemediengesetzes (TMG), des Medienstaatsvertrags (MStV),
des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) und des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG)
Timo Handel
Fachmedien Recht und Wirtschaft | dfv Mediengruppe | Frankfurt am Main
Diese Veröffentlichung lag dem Promotionsausschuss Dr. iur.
der Universität Bremen als Dissertation vor.
Gutachter: Prof. Dr. Sönke Florian Gerhold
Gutachter: Prof. Dr. Felix Herzog
Das Kolloquium fand am 16. Juli 2020 statt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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ISBN: 978-3-8005-1782-4
© 2021 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main
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Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang
Printed in Germany
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2020 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft (doctor iuris) angenommen. Die Aktualität des behandelten Themas sowie der Umstand, dass sich die tatsächlichen Gegebenheiten in Bezug auf soziale Netzwerke quasi täglich ändern, führten dazu, dass zwischen Einreichung der Arbeit im Januar 2020, ihrer gutachtlichen Bewertung sowie Promotionskolloquium und Veröffentlichung verschiedene Gesetzesvorhaben, die Einfluss auf soziale Netzwerke sowie ihre straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit haben, auf den Weg gebracht wurden. Mit der Berücksichtigung der durch das Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes und weiterer Gesetze (BGBl. 2020 I, S. 2456) eingetretenen Gesetzesänderungen, etwa mit Blick auf Videosharingplattform-Anbieter (etwa § 2 Satz 1 Nr. 11 TMG, siehe Kapitel 1 A. I. 2. e.; §§ 10a, 10b TMG, siehe Kapitel 6 B. III. 2.), audiovisuelle Mediendiensteanbieter (siehe Kapitel 3 G. I. 2.) und das Herkunftslandprinzip (siehe Kapitel 2 C.) sowie der Gesetzesänderungen durch den am 7.11.2020 in Kraft getretenen Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland, mit welchem der Rundfunkstaatsvertrag (RStV) durch den Medienstaatsvertrag (MStV) ersetzt und der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) geändert wurde (insb. Kapitel 6), wurde die Arbeit an die geänderte Rechtslage angepasst. Berücksichtigt wurde ebenfalls das 60. Gesetz zur Änderung des StGB – Modernisierung des Schriftenbegriffs und anderer Begriffe sowie Erweiterung der Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111, 130 StGB bei Handlungen im Ausland vom 30.11.2020 (BGBl. 2020 I, S. 2600).
Da das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität (BT-Drucks. 19/17741 und BT-Drucks. 19/20163) bereits am 18.6.2020 vom Deutschen Bundestag verabschiedet wurde und seiner Ausfertigung durch den Bundespräsidenten letztlich nur noch eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an den „Bestandsdatenauskunft II“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.2020 (Az. 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13) entgegensteht (siehe BT-Drucks. 19/23867, S. 3), wurden auch die darin enthaltenen Neuregelungen für das NetzDG in einer Art Ausblick für die Drucklegung berücksichtigt (etwa in Kapitel 7 D. II., Kapitel 7 E. IV. 1. und Kapitel 7f. III. 2.). Zudem fand am 6.5.2020 die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (BT-Drucks. 19/18792) im Deutschen Bundestag statt. Der Gesetzesentwurf berücksichtigte bereits eine Vielzahl der mit der Evaluierung des NetzDG vorgeschlagenen Änderungen, sodass auch die von dem Entwurf vorgesehenen Änderungen – dort wo sie relevant würden – als Ausblick in die Arbeit aufgenommen wurden (etwa in Kapitel 7 E. IV. und Kapitel 7 insgesamt). Ebenfalls als Ausblick auf weitere geplante Pflichten für Anbieter sozialer Netzwerke wurden Ausführungen zu §§ 24a, 24d JuSchG-E nach dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (BT-Drucks. 19/24909) in die Arbeit aufgenommen (siehe Kapitel 6 C.).
Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Sönke Florian Gerhold, danke ich herzlich für seine Betreuung und Unterstützung der vorliegenden Arbeit und seine stetige Förderung meiner Person.
Herrn Prof. Dr. Felix Herzog danke ich ebenso herzlich für die Erstellung des Zweitgutachtens.
Dank gebührt zu dem Herrn Dr. Amir Makee Mosa für seine Unterstützung, insbesondere in der Anfangszeit der vorliegenden Arbeit und der damit verbundenen Findungsphase. Ebenso danke ich meinen Kollegen Herrn Rechtsanwalt Jörg Bielefeld und Herrn Rechtsanwalt Alexander Schmid, die mir stets die erforderliche Flexibilität zur Fertigstellung der Arbeit ermöglichten.
Ganz besonders danke ich jedoch meinen Eltern, die mich all die Jahre unermüdlich unterstützt haben.
Frankfurt am Main, Dezember 2020 | Timo Handel |
Einleitung
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum.1 Online wie offline gelten dieselben Regeln und Gesetze:2 „Was offline illegal ist, ist auch online illegal“.3 Für die Strafbarkeit von Äußerungen und der Verbreitung bestimmter Inhalte ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Äußerung oder Verbreitung offline oder online erfolgt.4 Ungeachtet dessen sind mittlerweile im Internet und vor allem in sozialen Netzwerken Beleidigungen einzelner Personen ebenso wie Anfeindungen von Bevölkerungs- und Glaubensgruppen, insb. Migranten, aber auch sonstige Bedrohungen an der Tagesordnung.5 Strafbare Inhalte im Internet können eine allgemeine Zielrichtung aufweisen und sich insbesondere gegen den Staat, seine Einrichtungen und die genannten Gruppen richten. Sie können sich aber auch direkt gegen einzelne individualisierte Personen richten. Dabei können auch ganze „Rachefeldzüge“ und „Shit-Storms“ gegen eine Person geführt werden.6 Eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW aus dem Jahr 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass 73 % der befragten Internetnutzer schon einmal Hate Speech im Internet gesehen haben, 24 % sogar häufig und 10 % sehr häufig.7 Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen kommen in ihrer Studie zu ähnlichen Ergebnissen.8 Danach haben bereits 40 % der Befragten Hate Speech im Internet gesehen. Bei den Befragten im Alter von 18 bis 24 Jahren seien es sogar 73 % gewesen.
Die Verbreitung von beleidigenden, bedrohenden und volksverhetzenden Inhalten, aber auch Verstöße gegen die Urheberrechte Dritter, ebenso wie weitere Rechtsverletzungen bzw. Verwirklichungen von Straftatbeständen unter Nutzung von Telemedien werden durch eine mit der Nutzung des Telemediums bestehende räumliche Distanz zum Opfer, die zu einer Entpersonalisierung führt und damit die Hemmschwelle herabsetzt, besonders begünstigt.9 Das Gleiche gilt für die grundsätzlich bestehende Möglichkeit einer anonymen oder pseudonymen Nutzung von sozialen Netzwerken.10 Gleichwohl erfolgt die Verbreitung derartiger Beiträge längst nicht mehr allein unter Benutzung eines anonymisierenden Pseudonyms, sondern zunehmend auch unter Verwendung des eigenen Namens (sog. Klarname).11 Ein schwer beleidigender Inhalt ist leichter im Internet, z.B. einem sozialen Netzwerk, „gepostet“ als dem Betroffenen auf der Straße ins Gesicht gesagt.12