Heart of Sullivan. Leinani Klaas

Heart of Sullivan - Leinani Klaas


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seine Dankbarkeit zeigen und nicht inflationär dieses Wort verschwenden, indem man sich für jede Kleinigkeit bedankt und dem Wort so seine Bedeutung nimmt. Ich versuche ihr diesen Gefallen zu tun, aber manche Angewohnheiten lassen sich nicht so einfach ablegen. Ich beuge mich zu ihr und drücke meine Lippen auf die weiche Haut ihrer Wange. Dort verweile ich, atme ihren Duft ein und spüre dem Prickeln in meinem Bauch nach, das sich jedes Mal einstellt, wenn ich sie berühre. Emma schlingt einen Arm um meine Schultern, zieht mich näher an sich und für einige wenige Augenblicke kann ich meine Sorgen vergessen.

      »Wo willst du als erstes hin, wenn wir in Illington ankommen?«, fragt sie und reißt mich damit aus dem warmen Kokon des Vergessens. Ich stöhne auf und lasse sie los. Sofort fehlt mir die Berührung ihrer Haut, aber sie zu umarmen und gleichzeitig an mein Zuhause zu denken, fühlt sich merkwürdig falsch an. Mein Blick schweift aus dem Fenster, ohne dass ich die vorbeiziehende Landschaft wahrnehme, und ich überlege mir eine Antwort auf ihre Frage. Dabei zieht sich mein Herz immer wieder krampfhaft zusammen.

      »In Kürze erreichen wir Hantingen. Der Zug endet hier. Wir bitten alle Gäste auszusteigen. Danke, dass Sie mit der Blomental-Bahn gereist sind!«

      Um uns herum macht sich allgemeine Aufbruchsstimmung breit. Taschen werden hastig zusammengepackt, Jacken übergezogen und irgendwo jammert ein Kleinkind. Der Zug wird langsamer, stößt einen langgezogenen Pfiff aus und hinter den Fensterscheiben tauchen die ersten Gebäude des Ortes auf. Die aufgeregte Stimmung der anderen Fahrgäste überträgt sich auf mein ohnehin schon nervöses Gemüt und macht mich reizbar und genervt. Ich spüre eine unglaubliche Last auf mir ruhen, die mich nach unten zieht und erst, als ich als letzte den Zug verlasse und frische Luft in meine Lungen sauge, wird mir klar, wie nah wir Illington bereits sind. Fünfunddreißig Minuten, eine Busfahrt und einige Hügel trennen mich noch von meiner Heimat. Und ich kann voller Überzeugung sagen, dass ich lieber wieder in den Dampfwolken schnaubenden und ächzenden Zug steigen und wegfahren würde, als auch nur noch einen weiteren Schritt zu tun. Da Emma aber zielstrebig auf die Bushaltestelle zusteuert, muss ich einen Fuß vor den anderen setzen. Hantingens Bahnhof ist klein und hat nur zwei Plattformen, liegt aber so weit im Süden, dass die Pflanzen und Gebäude schon dem exotischen Stil des Nachbarlandes ähneln. Ich war erst einmal als Kleinkind hier und damals schon habe ich mich wegen des vielen Glases, der Rot- und Gelbtöne und der hohen Pflanzen wie auf einem anderen Planeten gefühlt.

      Der Bus, der uns nach Illington bringen wird, steht schon mit laufendem Motor an der Haltestelle. Bereit zur Abfahrt. Beim Einsteigen zeigen wir unsere Tickets.

      »So so, nach Illington also«, murmelt der Busfahrer, kratzt sich unter seiner grauen Schiebermütze und mustert uns eindringlich.

      »Wieso?«, fragt Emma an meiner Stelle. Mir klebt die Zunge am Gaumen fest und sie weiß das.

      »Komischer Ort, sag ich euch. Da stimmt was nicht. Fahr nicht gern da lang. Aber ihr müsst‘s ja wissen.« Sein Blick richtet sich wieder auf die Straße und wir sind vergessen, ehe er um die nächste Kurve fährt und das Blomental verlässt.

      Mir schwirrt immer noch der Kopf von seiner Aussage, die das mulmige Gefühl in meinem Magen nur noch verschlimmert und eine böse Vorahnung beschleicht mich, als wir uns auf die Plätze ganz hinten fallen lassen.

      2

      Mir steht der Mund offen. Ich weiß das. Auch, dass es ziemlich blöd aussehen muss, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich kann nichts anderes tun, als zu starren und mit offenem Mund die belebten Straßen von Illington anzuschauen. Überall sind Menschen. Sie laufen kreuz und quer und durcheinander. Das erstaunlichste aber ist, dass sie reden. Und lachen. Ja, sie lachen. Miteinander. Keinen von ihnen erkenne ich wieder, sie sind mir alle fremd, dennoch fällt mir ein riesiger Stein vom Herzen. Es tut weh, den Ort neu besiedelt zu sehen und zu wissen, dass andere Leute, Fremde, in den Häusern und Wohnungen leben, die einmal mir vertrauten Menschen gehört haben, gleichzeitig tut es aber auch gut. Ich weiß jetzt, dass es mich zu Boden geschmettert hätte, Illington als Geisterstadt erleben zu müssen.

      »Es ist alles in Ordnung, wirklich! Es geht mir gut.« Emma hat mich die letzten Minuten wieder einmal besorgt beobachtet und darauf gewartet, dass ich zusammenbreche. Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, es gehe mir gut. Die Menschen hier zu sehen ist befreiend, gleichzeitig aber stellt es uns vor ein neues Problem. Auf der Suche nach Hinweisen könnten sie uns im Weg stehen.

      »Wenn wir irgendwo etwas finden, das uns weiterhilft, dann bei Tilly. Ich habe dir doch erzählt, dass sie mir den Hinweis auf die Seelenhexe gegeben hat und ich bin mir immer noch sicher, dass sie ihr Wissen aufgeschrieben hat. Lass es uns zuerst bei ihr versuchen.«

      Langsam laufen wir in die Richtung, in der früher einmal ›Breakfast at Tillys‹ lag. In den Fenstern der Häuser spiegelt sich die Sonne wider und es ist ein ungewohntes Gefühl, das Dorf nicht in Regen und Nebel getaucht zu sehen. Der Ort wirkt wie frisch geputzt. Alles glänzt, von den weißen Hauswänden bis zu den blühenden Bäumen und selbst die Menschen sehen fein rausgeputzt aus. Vielleicht bilde ich mir das aber nur ein, nach den Tagen, in denen hier alles grau und düster war.

      »Wie einfallsreich«, murmle ich und betrachte das Schild über Tillys altem Café skeptisch. Auf dem neuen Hängeschild steht in geraden Lettern ›Frühstückscafé‹ und ein Blick durch die großen Glasscheiben zeigt mir, dass das Innere noch fast genauso aussieht wie vorher. Lediglich die Bilder an den Wänden sind andere. Die früher dort hängende esoterische Mandala-Kunst ist Bildern mit flauschigen Tiermotiven gewichen. Emma und ich wechseln einen stummen Blick bevor wir das Café betreten. Eine Glocke ertönt beim Eintreten. An den Tischen sitzen vereinzelt Menschen und es riecht nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen und Milch.

      »Hallo, ihr zwei Süßen. Wollt ihr etwas trinken?« Eine stämmige, in rosa Tweet gehüllte, Frau steht hinter der Theke und lächelt uns breit an. Um nicht unhöflich zu sein, setzen wir uns auf zwei Barhocker direkt an der Theke und bestellen je eine Tasse Tee.

      Ich beschließe in die Vollen zu gehen, als sie uns die Getränke serviert. »Danke. Entschuldigen Sie die Frage, aber gehört Ihnen dieses hübsche Café?«

      »Danke, Herzchen. Ich bin die Inhaberin, aber noch nicht lange. Habt ihr nicht davon gehört?«, fragt sie mit einem verschwörerischen Blick und synchron schütteln wir die Köpfe. Sie seufzt theatralisch und ich weiß, dass sie es genießt, uns diese Auskunft zu geben. »Vor wenigen Wochen war hier noch alles anders. Die Stadt war ausgestorben und niemand war hier, um sich um alles zu kümmern.«

      Ich schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter und frage: »Was ist hier denn passiert?«

      »Das weiß keiner so genau, meine Liebe. Es wird noch ermittelt, aber momentan geht man davon aus, dass eine Seuche für das Verschwinden der Einwohner gesorgt hat.«

      Erneut wechseln Emma und ich einen Blick, dieses Mal ist er besorgt und ich weiß, dass sie genau dasselbe denkt wie ich. Hier wird ermittelt.

      »Jenny. Machst du mir noch einen?« Hinter uns verlangt ein Gast nach ihrer Aufmerksamkeit und sie wuselt davon.

      »Seuche?«, frage ich Emma ungläubig. Sie zuckt mit den Schultern und schaut Jenny, der Besitzerin und Kellnerin, hinterher.

      »Mir machen eher die Ermittlungen Sorgen. Heart, du weißt, dass man auf uns aufmerksam werden könnte, wenn wir zu viele Fragen stellen. Ich habe nicht wirklich Lust mit der Polizei zu sprechen.«

      »Ich auch nicht«, gebe ich zu. »Wir werden vorsichtig sein, okay?«

      3

      »Findest du es nicht auch seltsam, wie schnell wieder alles zur Normalität zurückgekehrt ist?«

      »Irgendwie schon«, meint Emma.

      »Ich finde es ja schon komisch. Sie gehen von einer Seuche aus, lassen aber zu, dass sich wieder Bewohner im Dorf ansiedeln.«

      Wir stehen unschlüssig vor Tillys altem Café und beobachten die Menschen, die an uns vorbei gehen. Obwohl es mir vorhin so vorgekommen ist, als sei Illington von Menschen überrannt, sind es jetzt, da sich


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