Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Kathrin Loewe

Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche - Kathrin Loewe


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des Arbeitsschutzrechts angesehen wird.77 Mit dem „Gesetz, betreffend Abänderung der Gewerbeordnung78 von 1891 wurden in der Gewerbeordnung, die erstmals 1869 in Kraft gesetzt worden war, die Voraussetzungen für eine schnellere Weiterentwicklung des Arbeitsschutzrechts erschaffen. Es enthielt Ermächtigungsnormen zum Erlass von Rechtsverordnungen neu bzw. verändert.79 Diese wurden in den Jahren 1893 bis 1914 auch intensiv genutzt und insgesamt 34 Arbeitsschutzvorschriften als Reichsrecht erlassen. Am 06.07.1884 trat zudem das Unfallversicherungsgesetz zur Absicherung der Geschädigten vor finanzieller Not in Kraft.80 Zur Zeit der Weimarer Republik wurde im Jahr 1928 ein umfassendes Arbeitsschutzgesetz entworfen, das allerdings aus politischen Gründen nicht verabschiedet werden konnte.81 Es blieb vorerst bei den zahlreichen Einzelvorschriften. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden bestehende Arbeitsschutzvorschriften ergänzt und abgeändert, aber auch zu einem großen Teil außer Kraft gesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden diese Einschränkungen aber wieder aufgehoben und Regelungen im Bereich des sozialen Arbeitsschutzes neu gefasst, wie etwa das Mutterschutzgesetz und das Schwerbeschädigtengesetz.82 Erst ab 1968 kam es dann zu einer flächendeckenden Arbeitsschutzrechtsreform, bei der alle bestehenden Arbeitsschutzvorschriften außer Kraft gesetzt und in flächendeckende, neue Rechtsvorschriften übernommen wurden, wie etwa die Arbeitsstättenverordnung.83

      Wie schon an der geschichtlichen Entwicklung erkennbar, ist das Arbeitsschutzrecht ein ungeordnetes „Konglomerat buntscheckiger Normen84. Der staatliche Gesetzgeber hat in ihnen dem Arbeitgeber Pflichten gegenüber der Staatsgewalt auferlegt und damit im Interesse der Allgemeinheit gehandelt. Zum Arbeitsschutzrecht gehören demgemäß all diejenigen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmerschaft, deren Einhaltung behördlich überwacht wird oder die straf- bzw. ordnungsrechtlichen Sanktionen unterliegen.85 Grundsätzlich ist das Arbeitsschutzrecht im engeren Sinn dem öffentlichen Recht zuzuordnen und umfasst Regelungen mit dem Ziel, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu gewährleisten, unabhängig davon, ob der betroffene Arbeitnehmer sein Recht aktiv verfolgt.86 Die Vorschriften sind zum Teil abwehrender Natur gegen mögliche Gefahren, Belastungen und Nachteile, und zum Teil soll durch sie gestaltend in die bestehende Arbeitsplatzsituation eingegriffen werden, um beispielsweise einen Arbeitsplatz oder Arbeitsabläufe möglichst menschengerecht zu machen.87 Ein entscheidender Ansatz des Arbeitsschutzes ist es, zur optimalen Zielerreichung präventionsorientiert zu handeln, um einen möglichen Schaden von vornherein zu vermeiden. Dabei gilt es nicht nur, spontane Verletzungen und plötzliche Erkrankungen zu verhüten, sondern vor allem auch Gesundheitsbeeinträchtigungen, die durch lang anhaltende Überbeanspruchung oder durch ständiges Einwirken von Arbeitsstoffen nach und nach eintreten, wie etwa Berufskrankheiten.88

      Die verfassungsrechtliche Grundlage des Arbeitsschutzrechts ist an Art. 1 Abs. 1 (Schutz der Menschenwürde), Art. 2 Abs. 2 (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit) und Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) festzumachen89, da das Grundgesetz abgesehen von Art. 74 Nr. 12 GG, der die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorschreibt, keine Bestimmungen enthält, die sich speziell auf den Arbeitsschutz beziehen. Diese Grundrechte sind nicht nur subjektive Abwehrrechte jedes Einzelnen gegenüber dem Staat, sondern nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus diesen Grundrechtsbestimmungen auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer zu erlassen.90 Denn bei einer ungleichen Kräfteverteilung wie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen staatliche Regelungen auch im Bereich des Vertragsrechts ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.91 Dies kann in Form öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Pflichten erfolgen. Staatliche Regelungen sind auch für die Privatautonomie unerlässlich, um dem sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewicht entgegenzuwirken und damit die Voraussetzungen für eine rechtsgeschäftliche Ordnung zu schaffen.92 Allerdings muss dieser Schutz nicht so weit gehen, dass die Arbeitswelt als risikofreie Zone gebildet werden müsste, denn so würde möglicherweise auch die gewissenhafte Nutzung der fortschrittlichen Technik schon von vornherein ausgeschlossen.93

      Das öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzrecht in Deutschland ist von seinem dualen Aufbau geprägt. Es entfällt in folgende zwei Gruppen: das staatliche Arbeitsschutzrecht und das öffentlich-rechtliche, autonome oder auch unfallversicherungsrechtliches Arbeitsschutzrecht genannt.94 Letzteres ist durch das Siebte Sozialgesetzbuch (SGB VII) geregelt und wird durch die Unfallversicherungsträger wahrgenommen. Diese sind in erster Linie Berufsgenossenschaften sowie Gemeinde- und Eigenunfallversicherungsträger.95 Aufgabe der Unfallversicherung ist es, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden bzw. nach Eintritt eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, die Gesundheit des Betroffenen wiederherzustellen § 1 SGB VII. Der Arbeitsschutz wird hier durch mittelbare Staatstätigkeit wahrgenommen, indem der Staat die Regelungskompetenzen der Unfallversicherungsträger in diesem Bereich durch das SGB VII festgelegt hat.

      Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzrechts schafft der Staat Gesetze und sichert ihre Einhaltung durch staatliche Ämter für Arbeitsschutz bzw. Gewerbeaufsichtsämter.96 Man unterscheidet zwischen dem technischen und dem sozialen Arbeitsschutz. Ersterer lässt sich systematisch wiederum in Vorschriften den betrieblichen Arbeitsschutz betreffend und in Regelungen einteilen, die den produktbezogenen Gefahrenschutz angehen. Wichtige Gesetze sind dabei das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), das SGB VII und das Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (PSG). Der soziale Arbeitsschutz umfasst neben dem Arbeitszeitschutz nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auch den Schutz bestimmter Personengruppen im Arbeitsleben, wie beispielsweise werdende Mütter im Mutterschutzgesetz (MuSchG), Jugendliche im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) oder eben den Schutz schwerbehinderter Menschen nach dem SGB IX.97 98

      Das duale Arbeitsschutzsystem wird durch eine weitere Ebene, die betriebliche Ebene, ergänzt, die bei der Durchführung und Ausfüllung der Regelungen des Arbeitsschutzes eine erhebliche Rolle spielt. Sie bezieht folgende betriebliche Akteure in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts mit ein: der jeweilige Betriebsrat bzw. Personalrat, einzelne Beschäftigte sowie die vom Arbeitgeber aufgrund öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen bestellte Personen, wie etwa Sicherheitsbeauftragte nach dem SGB VII oder Betriebsärzte nach dem ASiG.99 Letztlich führt diese Einbeziehung in die Durchführung des Arbeitsschutzrechts zu einer Dreigleisigkeit des Arbeitsschutzsystems.100 Dem Betriebsrat kommt vor allem im betrieblichen Arbeitsschutz eine zentrale Rolle zu, da ihm bei ausfüllungsbedürftigen Rahmenregelungen häufig ein Beteiligungs- oder Mitbestimmungsrecht zusteht wie etwa nach § 87 Abs. 1 BetrVG bzw. bei Vorschriften ohne arbeitgeberseitigen Gestaltungsspielraum ein Überwachungsrecht zukommt.101 Zudem ist er verpflichtet, den Arbeitsschutz im Betrieb zu fördern, § 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG. Das BetrVG selbst ist somit ebenfalls Arbeitsschutzrecht102 und ist zugleich zum Bereich des kollektiven Arbeitsrechts zu zählen. Es sind außerdem in weiteren Arbeitsschutzgesetzen, außerhalb des BetrVGs, Beteiligungsrechte des Betriebsrats verankert103, wie etwa in § 10 Abs. 2 ArbSchG oder in § 84 Abs. 2 SGB IX. Auch diese Rechte dienen letztlich dazu, die Umsetzung der jeweiligen Arbeitsschutz-vorschrift individuell für den Betrieb im Interesse der Arbeitnehmer zu regeln.

       II.SGB IX als Arbeitsschutzrecht

      Das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellt insgesamt eine Verknüpfung arbeits- und sozialrechtlicher Regelungen dar.104 Erstere sind hauptsächlich in den Paragraphen 68ff. SGB IX geregelt. Es ist Teil des staatlichen, sozialen Arbeitsschutzrechts.105 Mit Hilfe dieses Gesetzes soll den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen Rechnung getragen werden, indem ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert wird. Gleichzeitig soll Benachteiligungen entgegengewirkt werden.106 Im Folgenden wird auf die Entstehungsgeschichte


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