Kapitalmarktrecht. Petra Buck-Heeb
Das BörsG und das WpHG werden durch zahlreiche nationale Rechtsverordnungen ergänzt. Darüber hinaus gibt es Rundschreiben[32], Merkblätter usw der BaFin, die aber keine Rechtsnormen, sondern lediglich die Verwaltungspraxis der Behörde sind[33] und damit als norminterpretierende Verwaltungsvorschriften gelten[34]. Auch die Fachartikel im BaFinJournal haben keinen rechtsverbindlichen Charakter.
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Das trifft auch für den Emittentenleitfaden der BaFin zu[35], der praxisrelevante Erläuterungen enthält, die zwar die BaFin, nicht aber die Gerichte binden[36]. Der Emittentenleitfaden wird derzeit sukzessive überarbeitet[37]. Die noch nicht neu gefassten Teile werden einstweilen durch die sog. FAQ der BaFin ersetzt[38]. Jedenfalls soll das Vertrauen eines Anfragenden auf eine Auskunft der BaFin nach hM unter bestimmten Voraussetzungen ein Verschulden des Betreffenden ausschließen können[39].
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Weitere kapitalmarktrechtliche Gesetze sind etwa das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), das Depotgesetz (DepotG), das Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) und das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) sowie das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG), das Pfandbriefgesetz[40] sowie das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) für Massenklagen wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation[41].
Auch die Rechnungslegungsvorschriften (zB §§ 238 ff HGB) sind kapitalmarktrechtliche Regelungen, da sie einem der wichtigsten Ziele des Kapitalmarktrechts dienen, nämlich der Herstellung von Publizität zur Stärkung des Vertrauens der Anleger in den Kapitalmarkt[42]. Auch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen, insbesondere die des Aktienrechts, sind für das Kapitalmarktrecht von Bedeutung[43], da mit der Aktie das wichtigste Kapitalmarktprodukt geregelt wird.
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Kapitalmarktrechtlich relevant sind darüber hinaus die strafrechtliche Vorschrift des § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug), die auch als Schutzgesetz iS des § 823 Abs. 2 BGB angesehen wird[44], und zahlreiche weitere strafrechtliche Regelungen[45]. Diese ergänzen teilweise die speziellen Strafrechtsnormen der Kapitalmarktgesetze. Für das Kapitalmarktrecht spielen auch einige Regelungen des BGB eine Rolle, so etwa die kaufrechtlichen Vorschriften oder die Bestimmungen hinsichtlich der Übertragung und der Funktion von Wertpapieren (zB §§ 929 ff BGB). Zudem ergeben sich immer wieder auch Fragen, die das Internationale Privatrecht betreffen[46].
a) Richtlinien und Verordnungen zum Kapitalmarktrecht
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Das europäische Recht war und ist der Motor des deutschen Kapitalmarktrechts. Mehr als 80 % der kapitalmarktrechtlichen nationalen Vorschriften basieren inzwischen auf europäischer Gesetzgebung[47]. So beruhen zB ein wesentlicher Teil des BörsG sowie das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) auf EU-Richtlinien. Die EU-Richtlinien und EU-Verordnungen gelten gemäß dem sog. Lamfalussy-Verfahren als sog. Level 1-Maßnahmen.
→ Definition:
Das Lamfalussy-Verfahren ist ein Verfahren zur Beschleunigung des europäischen Gesetzgebungsprozesses im Rahmen der Finanzdienstleistungen (Maßnahmen auf Level 1, 2, 3 usw.).
Teilweise werden die (in nationales Recht umzusetzenden) Richtlinien bzw. die Verordnungen durch EU-Durchführungsrichtlinien, die ebenfalls in nationales Recht umzusetzen sind, oder durch EU-Durchführungsverordnungen (als sog. Level 2-Maßnahmen) ergänzt. Die Verwaltungsauffassungen der ESMA wiederum sind als sog. Level 3 zu berücksichtigen, wobei diese – wie die BaFin-Verlautbarungen – zwar die Verwaltung, aber nicht die Gerichte binden.
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Hintergrund der europäischen Richtlinien zum Kapitalmarktrecht sind insbesondere die Herstellung der Kapitalverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit im (Kapital-)Binnenmarkt sowie der Schutz der Anleger durch hinreichende Information. Sahen die Richtlinien lange Zeit ausschließlich eine bloße Mindestharmonisierung vor, so sind sie nun zunehmend auf Vollharmonisierung angelegt[48] (zB die Transparenzrichtlinie 2013[49]). Hier bleibt dem nationalen Gesetzgeber kaum Gestaltungsspielraum, sodass im Wesentlichen eine „Eins-zu-Eins“-Umsetzung zu erfolgen hat[50].
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Auch wenn es bislang keinen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt gibt,[51] so ist in den Richtlinien doch regelmäßig vorgesehen, dass die Zulassung eines Kapitalmarktprodukts oder die Erlaubnis einer kapitalmarktbezogenen Tätigkeit durch die Behörde des Herkunftsstaats in allen anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt wird (Europäischer Pass, single licence-Prinzip). Darüber hinaus besteht das Ziel eines single rulebook des Europäischen Kapitalmarktrechts[52] und der Schaffung einer europäischen Kapitalmarktunion[53].
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Eine Europäisierung des Kapitalmarktrechts erfolgt zunehmend durch unmittelbar im nationalen Recht geltende EU-Verordnungen[54]. So wurden inzwischen etwa wesentliche Teile des umgesetzten WpHG in die MarktmissbrauchsVO (MAR) „transferiert“[55]. Insofern wird inzwischen von vielen die MAR (und nicht mehr das WpHG) als „Grundgesetz“ des Kapitalmarktrechts gesehen[56]. Ebenso verhält es sich zB mit dem richtlinienbasierten WpPG, das nun weitgehend durch die EU-ProspektVO abgelöst ist[57]. Die nationalen Gesetze umfassen daher in vielen Teilen lediglich noch die Verordnung ergänzende Verwaltungsregelungen.
b) Auslegung
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Bei der Auslegung nationaler Regelungen ist zwischen angeglichenen Normen und originär deutschen Regelungen zu unterscheiden. Handelt es sich bei einer kapitalmarktrechtlichen Vorschrift um originär deutsches Recht (zB in den §§ 85, 99 ff WpHG), so finden die herkömmlichen Auslegungsregeln Anwendung, dh es ist auf den Wortlaut, die Gesetzessystematik sowie den Sinn und Zweck der Regelung abzustellen. Daneben besitzt die am Willen des Gesetzgebers orientierte historische Auslegung Bedeutung[58].
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Bei angeglichenem deutschen Recht sind die dort enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe richtlinienkonform auszulegen[59]. Das bedeutet, dass die Gerichte das nationale Recht soweit wie möglich im Lichte des Wortlauts der Richtlinie und des Richtlinienzwecks auszulegen haben[60]. Ausgelegt wird auf der Grundlage der Überlegung, dass der Gesetzgeber dem Richtlinienzweck voll gerecht werden und nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben wollte[61]. Allerdings zwingt das EU-Recht nicht zu einer Auslegung der nationalen Regelungen contra legem[62]. Nach der Rechtsprechung des BVerfG müssen die Gerichte der Auslegung einer Richtlinie durch den EuGH im Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) folgen[63].
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Umstritten ist, ob der richtlinienkonformen Auslegung Vorrang vor den Auslegungsmethoden des nationalen Rechts zukommt[64] oder ob sie als eine weitere Auslegungsmethode neben den herkömmlichen Methoden steht[65] bzw die bisherigen Auslegungsformen partiell überlagert[66]. Teilweise wird im Schrifttum davon ausgegangen, dass trotz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und trotz der Verpflichtung zur Gemeinschaftstreue ein Residuum für die nationalen Auslegungsmethoden verbleibt. Diese sollen hauptsächlich der Fortbildung transformierten Rechts Grenzen setzen[67]. Die hM sieht im möglichen Wortsinn eine Grenze richtlinienkonformer Auslegung, die nicht überschritten werden kann[68].
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Zunehmend deutlich wird, dass eine Auslegung der Verordnungen (Level 1) Schwierigkeiten aufwerfen kann[69]. So fragt sich etwa, welche Entwurfsfassung bei der Ermittlung des gesetzgeberischen Willens heranzuziehen ist[70]. Immer mehr macht der