Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторов
wie vor besteht für den Erlass von Richtlinien zur Harmonisierung indirekter Steuern das Einstimmigkeitsprinzip im Rat. Entgegen der Bestrebungen der Kommission erfolgte auch mit den Änderungen durch die Lissabon-Reform keine Einführung einer Beschlussfassung im Wege der qualifizierten Mehrheit. Insofern setzten sich die Mitgliedstaaten mit ihrem Interesse an der Wahrung möglichst weitreichender Steuerkompetenzen durch.
bb) Harmonisierung direkter Steuern
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Für die Harmonisierung der direkten Steuern ist Art. 113 AEUV nicht anwendbar; an seine Stelle tritt die allgemeine Harmonisierungsgrundlage des Art. 115 (i.V.m. Art. 114 Abs. 2) AEUV. Auf diese allgemeine Rechtsangleichungsvorschrift wird in Ermangelung einer lex specialis zur Harmonisierung direkter Steuern zurückgegriffen. Danach erlässt der Rat „einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken“. Die Harmonisierung in diesem Bereich ist bisher wenig vorangeschritten, es sind nur marginale Erfolge vorzuweisen: Lediglich Teile im Bereich der Unternehmensbesteuerung wurden punktuell angeglichen. Zu nennen sind an dieser Stelle die „Fusionsrichtlinie“[1206], die „Mutter-Tochter-Richtlinie“[1207], die Zinsrichtlinie[1208] sowie die EU Schiedsverfahrenskonvention[1209]. Eine Reihe von Anstrengungen, weitere Fortschritte zu erzielen, liefen bisher leer[1210]. Insbesondere das Erfordernis einer einstimmigen Beschlussfassung hat sich als Hemmnis für eine erfolgreiche Harmonisierung dieses Gebiets erwiesen[1211].
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Auch im Steuerverfahrensrecht sind Sekundärrechtsakte zu erwähnen: Die Amtshilferichtlinie regelt den Austausch von Daten mit Relevanz für die Steuererhebung[1212]. Die Beitreibungsrichtlinie dient der grenzüberschreitenden Vollstreckung abgabenrechtlicher Ansprüche[1213].
2. Einwirkungen der Grundfreiheiten
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Auf Grund der limitieren sekundärrechtlichen Möglichkeiten zur Harmonisierung des nationalen Steuerrechts der Mitgliedstaaten kommt den primärrechtlichen Grundfreiheiten eine kaum zu überschätzende Funktion zu[1214]. Der EuGH hat den Grundfreiheiten unmittelbare innerstaatliche Wirksamkeit zuerkannt, auch müssen nach ständiger Rechtsprechung die Mitgliedstaaten insbesondere auf dem Gebiet der direkten Steuern ungeachtet ihrer eigenen Steuersouveränität die Grundfreiheiten beachten, die somit für das nationale Steuerrecht eine verbindliche Messlatte darstellen[1215]. Grundlegend ist hier die viel zitierte Formel aus dem Urteil Schumacker, hier führt der EuGH aus: „Zwar [fällt] der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft […], [jedoch müssen] die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse […] unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben“[1216].
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Die Grundfreiheiten gelten als grundrechtsgleiche Rechte, die innerstaatliches (Steuer-) Recht verdrängen und vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können[1217]. Freilich bedürfen sie jedoch nur dann Beachtung, wenn der (Steuer-)Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug hat. Das Konfliktpotential von Grundfreiheiten und nationalem Steuerrecht liegt auf der Hand, viele hergebrachte Steuerquellen knüpfen an Vorgänge an, die den Tatbestand einer grundfreiheitlich geschützten Tätigkeit erfüllen, sei es der Verkauf von Waren, das Erbringen von Dienstleistungen, der Besitz von Kapital, der Bezug von Kapitalbeträgen oder das Einkommen aus selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit[1218].
Wenn auch auf Grundlage der Grundfreiheiten keine eigenständigen Steuerregelungen normiert werden können, strahlen sie dennoch auf jede nationale Steuerrechtsordnung aus, so dass diese eine europarechtliche Dimension enthalten[1219]. Konkret besteht eine Beseitigungspflicht von steuerlichen Regelungen, die als nicht gerechtfertigte Diskriminierungen oder Beschränkungen gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Auf diesem Wege lässt sich eine „negative Integration“ des Binnenmarktes vornehmen[1220], die aufgrund der Zurückhaltung des Rates bei der direkten Rechtsangleichung und bedingt durch die unmittelbare Wirkung der Grundfreiheiten wahrscheinlich das für den Bürger wichtigste Instrument der Harmonisierung darstellt[1221]. Tatsächlich haben sich die nationalen Steuerrechtsordnungen bedingt durch die Interpretation und Anwendung der Grundfreiheiten durch den EuGH schon relevant angenähert[1222].
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Die Funktion der Grundfreiheiten besteht darin, eine Durchsetzung des Ziels der Errichtung des Binnenmarktes zu forcieren und dessen Funktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Insofern wird durch die Garantien der Grundfreiheiten Hindernissen für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr entgegengewirkt, indem nationale Regelungen, welche der Entwicklung zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum entgegen stehen, als inkompatibel aufgedeckt und beseitigt werden können[1223]. Sämtliche Grundfreiheiten knüpfen an eine grenzüberschreitende Tätigkeit an bzw. schützen eine solche vor ungerechtfertigten Beschränkungen und gemeinschaftswidrigen Differenzierungen. Auch nationale Steuerrechtsnormen dürfen nicht gegen die einzelnen Grundfreiheiten, etwa durch eine Differenzierung nach rein nationalen gegenüber grenzüberschreitenden Sachverhalten, verstoßen, andernfalls besteht eine Beseitigungspflicht für den Mitgliedstaat.
Die Grundfreiheiten enthalten sowohl gleichheitsrechtliche Diskriminierungsverbote, als auch freiheitsrechtliche Beschränkungsverbote[1224]. Beide Aspekte entfalten auch Wirkung in Bezug auf das Steuerrecht.
a) Grundfreiheitliches Diskriminierungsverbot
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Die Grundfreiheiten, wie auch das subsidiäre allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV verbieten nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Im Fokus stehen hier staatliche Regelungen, die entweder eine offene bzw. unmittelbare, oder aber eine verdeckte bzw. mittelbare Diskriminierung enthalten[1225]. Während der erstgenannte Fall ebenso leicht aufzeigbar wie selten auffindbar sein wird – hier wird die Ungleichbehandlung direkt an die Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen geknüpft – bringt die Identifizierung versteckter Diskriminierungen mehr praktische Schwierigkeiten und eine weitaus größere Bedeutung für das Steuerrecht mit sich[1226]. Differenzierungskriterium ist hier nicht die Nationalität, sondern ein anderes Merkmal, welches zu dem selben oder zumindest ganz ähnlichen Ergebnis wie eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit führt[1227]. In Betracht kommt etwa die Anknüpfung an den Wohnsitz, den gewöhnlichen Aufenthalt, die Geschäftsstelle, den Unternehmenssitz oder die Betriebstätte[1228]. Jeweils gilt es freilich, der hergebrachten Grundfreiheits- und Diskriminierungsdogmatik entsprechend, eine objektiv vergleichbare Situation der als ungleich bzw. eine unterschiedliche Situation der als gleich behandelt bemängelten Konstellationen, aufzuzeigen[1229].
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Konsequenz des Diskriminierungsverbotes ist die sog. Inländergleichbehandlung[1230]. EU-Ausländer können die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen des in Rede stehenden Mitgliedstaates verlangen. Es wird aber eben keine Harmonisierung der Steuersysteme sämtlicher Mitgliedstaaten gefordert, eine Gleichbehandlung von Inländern und EU-Ausländern kann bzw. muss immer nur innerhalb des einzelstaatlichen Steuerrechts erfolgen. Man spricht insofern anschaulich von einer „Kästchengleichheit“[1231], das Recht der direkten Steuern bleibt also ungeachtet der grundfreiheitlichen und damit europarechtlichen Einwirkungen im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Umgekehrt liegt dort, wo eine Ungleichbehandlung die bloße Folge einer fehlenden Harmonisierung und der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Besteuerungssysteme ist, niemals eine grundfreiheitsrelevante Diskriminierung vor.
b) Grundfreiheitliche Beschränkungsverbote
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