Zivilprozessrecht. Irmgard Gleußner
als sog. Partei kraft Amtes die Forderungen des Unternehmens gegen säumige Kunden im eigenen Namen einklagen (§ 80 Abs. 1 InsO). Wesentliches Merkmal einer Partei kraft Amtes ist, dass sie fremdes Vermögen verwaltet und darüber verfügt. Im Prozess spiegelt sich diese Rechtsmacht wider. Statt des Rechtsträgers ist die Partei kraft Amtes prozessführungsbefugt. Parteien kraft Amtes sind außerdem der Nachlassverwalter (§§ 1984 Abs. 1 S. 3, 1985 Abs. 1 BGB), der Testamentsvollstrecker (§§ 2212, 2213 Abs. 1 S. 1 BGB) sowie der Zwangsverwalter (§ 152 Abs. 1 ZVG).
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Den Hauptfall der Prozessstandschaft kraft gesetzlicher Ermächtigung regelt § 265 ZPO, der die Veräußerung der streitbefangenen Sache während eines laufenden Prozesses betrifft. Tritt der Kläger während des Prozesses die streitgegenständliche Forderung an einen Dritten ab, hat er seine Stellung als Rechtsinhaber verloren (materiell verfügungsbefugt ist nun der Dritte).[87] Dennoch darf er nach § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO weiterhin in der Klägerrolle bleiben. Grund ist, unnötige Doppelprozesse zu vermeiden.[88] Die Abtretung hat auf den Prozess keinen Einfluss. Er darf das fremde Recht im eigenen Namen geltend machen. Trotz Verlustes der Aktivlegitimation bleibt der Veräußerer prozessführungsbefugt. Der neue Rechtsinhaber kann daran wenig ändern. Er kann nur dann anstelle des Klägers in den Prozess eintreten, wenn der Prozessgegner hierzu seine Zustimmung erklärt (§ 265 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Beispiel
Mona tritt ihre Gewährleistungsansprüche gegen die V-GmbH im Laufe des Prozesses an ihre Mutter ab (§ 398 BGB). Ist die Klage von Mona noch zulässig? Die Partei- und Prozessfähigkeit von Mona stehen außer Frage. Problematisch ist die Prozessführungsbefugnis von Mona. Denn nun macht Mona ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend. Hier könnte ein Fall der gesetzlichen Prozessstandschaft nach § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliegen. Danach hat die Abtretung der streitbefangenen Sache auf den Prozess keinen Einfluss. Mona bleibt Partei des Rechtsstreits und ist hierfür prozessführungsbefugt. Die Klage ist demnach zulässig. Fraglich ist allerdings, ob die Klage begründet ist, da Mona nicht mehr Anspruchsberechtigte und damit nicht mehr aktiv legitimiert ist. Nach der Irrelevanztheorie, die sich am Wortlaut des § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO orientiert, ist die Veräußerung irrelevant, so dass Mona nach wie vor als Anspruchsberechtigte auftreten darf und Leistung an sich verlangen kann. Nach der herrschenden Relevanztheorie muss Mona ihren Klageantrag umstellen und Leistung an ihre Mutter verlangen. Die Änderung der materiellen Rechtslage wird als so relevant angesehen, dass sie auch im Klageantrag zum Ausdruck gebracht werden muss.[89] Versäumt Mona die Umstellung des Klageantrags, ist die Klage mangels Aktivlegitimation als unbegründet abzuweisen.
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Eine weitere Fallgruppe betrifft die Prozessstandschaft kraft gesetzlicher Ermächtigung des materiellen Rechts.[90] Hier stehen die Ansprüche eigentlich einer Gesamthand zu, aber der einzelne Mitberechtigte darf diese alleine einklagen. Beispiele sind Ehe-Gesamthandsgemeinschaften (§§ 1422, 1428, 1429 S. 2 BGB), Miteigentümer (§ 1011 BGB), Pfandgläubiger (§ 1281 BGB), Ehegatten (§§ 1368, 1369 Abs. 3 BGB) sowie Miterben (§ 2039 BGB). Macht die Wohnungseigentümergemeinschaft Unterlassungsansprüche oder Ansprüche wegen Mängeln des Gemeinschaftseigentums geltend, klagt sie in gesetzlicher Prozessstandschaft (denn Rechtsinhaber sind die einzelnen Wohnungseigentümer).[91]
bb) Gewillkürte Prozessstandschaft
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Liegt kein gesetzlicher Erlaubnistatbestand vor, ist noch die gewillkürte Prozessstandschaft zu prüfen. Hier wird der Prozessstandschafter von dem Rechtsinhaber ausdrücklich ermächtigt, das fremde Recht im eigenen Namen geltend zu machen. Die Rechtsprechung verlangt außer der Ermächtigung ein besonderes Interesse des Klägers an der Geltendmachung des fremden Rechts.[92] Die gewillkürte Prozessstandschaft kommt nur auf der Klägerseite vor.
Gewillkürte Prozessstandschaft:
I. Liegt eine Ermächtigung des Rechtsinhabers analog § 185 Abs. 1 BGB vor?
II. Ist der Anspruch abtretbar?
IIIa. Liegt ein schutzwürdiges Eigeninteresse des Prozessstandschafters vor?
IIIb. Ist die Prozessführung durch den Prozessstandschafter rechtsmissbräuchlich?
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Das Erfordernis eines eigenen schutzwürdigen Interesses dient dem Schutz des Beklagten. Dieser vertraut im Regelfall darauf, mit dem von ihm ausgewählten Vertragspartner vor Gericht „die Klingen zu kreuzen“. Taucht ein Dritter auf, muss der Dritte dafür Gründe = ein eigenes rechtsschutzwürdiges Interesse haben. Dies wird bejaht, wenn der Ausgang des Prozesses die eigene Rechtslage des Prozessstandschafters beeinflusst. Ob allein ein wirtschaftliches Interesse reicht, ist strittig. Folgende Fallgruppen sind von der Rechtsprechung akzeptiert:[93] Sicherungsabtretung der Forderung (Sicherungsgeber darf als Prozessstandschafter klagen), Forderungsverkauf/-abtretung vor einem Rechtsstreit (Zedent = Verkäufer darf als Prozessstandschafter klagen), Drittschadensliquidation (geschädigter Käufer darf als Prozessstandschafter klagen), mangelhafte Leasingsache (Leasingnehmer darf als Prozessstandschafter klagen).
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Ein schutzwürdiges Interesse ist bei erkennbarem Missbrauch der Prozessstandschaft abzuerkennen. Der Beklagte muss davor geschützt werden, dass seine berechtigten Belange durch die Einschaltung eines Dritten beeinträchtigt werden. Rechtsmissbräuchlichkeit wird vor allem dann bejaht, wenn der Prozessstandschafter eine juristische Person und vermögenslos ist.[94] Hier besteht die Gefahr, dass der Beklagte seinen Kostenerstattungsanspruch nicht realisieren kann und auf seinen Anwaltskosten „sitzen bleibt“.
Beispiel
Mona ermächtigt ihre gleichaltrige Freundin Sabine, die Gewährleistungsrechte gegen die V-GmbH im eigenen Namen bei Gericht einzuklagen. Sabine ist allerdings hoch verschuldet und hat vor kurzem die Durchführung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens beantragt. Sabine erhebt nun Klage bei Gericht (den Gerichtskostenvorschuss zahlt Mona). Ist die Klage von Sabine zulässig? Das ist der Fall, wenn alle Prozessvoraussetzungen vorliegen (Parteifähigkeit, Prozessfähigkeit, ordnungsgemäße Klageerhebung, zuständiges Gericht etc.). Problematisch ist hier die Prozessführungsbefugnis von Sabine. Sie macht ein fremdes Recht (Gewährleistungsansprüche von Mona) im eigenen Namen geltend. Dies ist nur möglich, wenn ein Fall der gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstandschaft vorliegt. Hier kommt nur die gewillkürte Prozessstandschaft in Betracht. Voraussetzung ist zunächst eine Ermächtigung durch den Rechtsinhaber analog § 185 Abs. 1 BGB. Hier hat Mona ausdrücklich Sabine zur Prozessführung ermächtigt. Auch die Abtretbarkeit der Gewährleistungsansprüche aus § 437 BGB ist gegeben. Gewährleistungsansprüche sind grundsätzlich abtretbar. Des Weiteren müsste ein eigenes schutzwürdiges Interesse von Sabine vorliegen, den Prozess zu führen. Dies wäre beispielsweise bei einem Forderungskauf oder bei einer Sicherungsabtretung der Fall. Derartige Konstellationen liegen hier nicht vor. Ein rechtliches Interesse ist daher nicht erkennbar. Außerdem erscheint die Ermächtigung von Sabine rechtsmissbräuchlich. Verliert Sabine den Prozess, muss sie sämtliche Kosten, also auch die Anwaltskosten der V-GmbH, tragen (§ 91 ZPO). Da sie kein Geld hat und ein Verbraucherinsolvenzverfahren sechs Jahre[95] dauert, würde die V-GmbH höchstwahrscheinlich auf ihren Kosten sitzen bleiben. Derartige „Verschiebungen“ des Prozessrisikos zu Lasten einer Partei sind rechtsmissbräuchlich. Sabine fehlt daher die Prozessführungsbefugnis. Die Klage ist als unzulässig abzuweisen.
cc)