Arbeitsstrafrecht. Björn Gercke
Nr. 3 StGB.
1. Kapitel Grundlagen › D. Haftung von Unternehmen und Unternehmensverantwortlichen
D. Haftung von Unternehmen und Unternehmensverantwortlichen
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Der einzelne Arbeitgeber als Individualperson ist in der Praxis eher die Ausnahme als beschuldigter Adressat von Straf- oder Bußgeldtatbeständen; jedenfalls das Gros der Arbeitnehmer ist bei Unternehmen beschäftigt, die als juristische Person organisiert sind. Hieraus ergeben sich im Hinblick auf das geltende (Individual-)Schuldstrafrecht einige zu beachtende Besonderheiten bzgl. arbeitsstrafrechtlicher Tatbestände; diese richten sich – wie bereits dargelegt[1] – nahezu ausnahmslos an den Arbeitgeber.
Anmerkungen
Vgl. 1. Kap. Rn. 14, 32.
1. Kapitel Grundlagen › D. Haftung von Unternehmen und Unternehmensverantwortlichen › I. Straf- und bußgeldrechtliche Verantwortung von Unternehmen
1. Bislang fehlende „Strafbarkeit“ von Unternehmen – Ausblick auf ein Verbandssanktionenrecht
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Unser Strafrecht kannte bislang keine Strafbarkeit juristischer Personen („societas delinquere non potest“).[1] Unternehmen sind daher de lege lata weder beschuldigungs-, bestrafungs- noch bemaßregelungsfähig.[2] Nach der Konzeption des Schuldstrafrechts können nur menschliche Individuen für ihr Fehlverhalten mit einer echten Kriminalstrafe belangt werden.[3]
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In einer Vielzahl europäischer und sonstiger Staaten ist dies schon seit längerem anders: Jedenfalls in bestimmten Deliktsbereichen ist eine echte Unternehmensstrafbarkeit dort üblich.[4] Auch in der Bundesrepublik wurde schon seit längerer Zeit ein Verbands- bzw. Unternehmensstrafrecht gefordert.[5] Eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative des Landes Hessen aus dem Jahre 1998[6] wurde allerdings zurückgenommen.[7] Die vom Bundesministerium der Justiz eingesetzte „Kommission zur Reform des strafrechtlichen Sanktionensystems“ hatte in ihrem Abschlussbericht vom März 2000 noch die Einführung einer Unternehmenssanktionierung abgelehnt.[8] Noch im Mai 2013 stützte sich die damalige Bundesregierung auf die Begründung der Kommission, dass ein strafrechtliches Regelungsmodell erhebliche Bedenken hinsichtlich des Schuldprinzips aufwerfe und das bestehende Instrumentarium (§§ 30, 130 OWiG) zur Unternehmenssanktionierung ausreiche.[9] Im Koalitionsvertrag zwischen den Parteien CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode hieß es hingegen, dass ein Unternehmensstrafrecht (zumindest) für multinationale Konzerne geprüft werden solle.[10]
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Schließlich wurde im November 2013 durch einen Entwurf für ein Verbandsstrafgesetzbuch des Landes Nordrhein-Westfalen[11] erneut eine Kontroverse zum Erfordernis eines Unternehmensstrafrechts ausgelöst, die bis heute andauert und eine Vielzahl von Gegenentwürfen mit unterschiedlichen Ansätzen und Zielrichtungen hervorbrachte. So schlug z.B. der Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (BUJ) 2013 die Reform über eine Änderung der §§ 30, 130 OWiG vor.[12] 2017 folgte der „Kölner Entwurf“ der Forschungsgruppe Verbandsstrafrecht, der zwar strafrechtliche Sanktionierungen vorsieht, dessen primäres Ziel jedoch spezialpräventive Zwecke sind.[13] Einen weiteren Beitrag aus der Wissenschaft lieferten in 2018 die „Frankfurter Thesen zur Unternehmensverantwortung für Unternehmenskriminalität“.[14]
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Mittlerweile ist auch die Politik wieder aktiv geworden. Die Bundesregierung einigte sich im Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode darauf, dass das Sanktionsrecht für Unternehmen verschärft werden solle.[15] Ein erster, nicht offiziell veröffentlichter Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) war seit August 2019 im Umlauf.[16] Im April 2020 veröffentlichte schließlich das BMJV einen Referentenentwurf unter dem Titel „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“.[17] Wie schon der inoffizielle, hat auch dieser offizielle Entwurf viel Kritik erfahren.[18] Doch trotz zahlreicher Änderungsvorschläge aus der Verbandsanhörung wurde im Juni 2020 – bereits vier Tage nach Ablauf des Anhörungsverfahrens – der Regierungsentwurf[19] veröffentlicht. Er enthält keine inhaltlichen Abweichungen vom Referentenentwurf.[20] Im September 2020 hat der Bundesrat den Regierungsentwurf entgegen den Empfehlungen seines Rechts- und seines Wirtschaftsausschusses[21] gebilligt, sieht jedoch erheblichen Korrekturbedarf.[22] Nunmehr bleibt das weitere Gesetzgebungsverfahren abzuwarten.[23] Mit einer zeitnahen Einführung eines Sanktionsrechts für Unternehmen in Deutschland ist jedenfalls zu rechnen.
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Auch bis zu einem etwaigen Inkrafttreten eines solchen deutschen Verbandssanktionenrechts wird der grenzüberschreitend tätige Berater und Verteidiger eine etwaige Verbandsstrafe, die in den einzelnen Staaten unterschiedlich konzipiert ist, stets zu berücksichtigen haben und hierbei – wie generell in transnationalen Verfahren jeglicher Art von Wirtschaftsstrafsachen – kaum ohne Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen aus dem jeweiligen Staat tätig werden können.[24]
2. Sanktionen gegen Unternehmen
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Das bisherige Fehlen einer Kriminalstrafe für Unternehmen in Deutschland führte (und führt) jedoch keineswegs dazu, dass das Unternehmen bzw. der Arbeitgeber bei der Begehung von Straftaten durch Unternehmensangehörige bzw. Arbeitnehmer keine Sanktionen zu befürchten hätte: Auch das geltende Recht sieht einschneidende, im Einzelfall existenzgefährdende Regelungen zu Lasten von Unternehmen vor, sofern Leitungspersonen durch die Begehung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten unternehmensbezogene Pflichten verletzt haben oder die juristische Person (bzw. die Personenvereinigung) hierdurch bereichert wurde. Möglich ist insoweit eine Bebußung des Unternehmens nach § 30 OWiG[25] oder die Anordnung der Einziehung gegen das Unternehmen als begünstigter Dritter nach § 29a Abs. 2 OWiG.[26]
Anmerkungen
Statt vieler Eidam Kap. 5 Rn. 179.
Minoggio § 2 Rn. 3; Bottke wistra 1997, 241, 246 f.
Vgl. bereits Hafter S. 20 ff.; vgl. auch BGHSt 5, 28, 32 (Unternehmensstrafe „passt nicht zum sozialethischen Schuld- und Strafbegriff“) und BVerfGE 123, 267, 413 f. (Lissabon-Urteil).
Vgl. jeweils den Überblick bei: Eidam Kap. 6 Rn. 28 ff.; Kirch-Heim S. 128 ff.; Mittelsdorf S. 90 ff.
Zur rechtswissenschaftlichen und -politischen Diskussion vgl. nur Mittelsdorf S. 68 ff.; zu den Folgen einer etwaigen Einführung vgl. Trüg wistra 2010, 241 ff.