Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer


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rel="nofollow" href="#ulink_d88502d7-cec6-5538-8a2b-ad9256082595">§ 3 gerade noch bejaht worden und das Ausmaß der Schuld „durch Wesenszüge des Täters verringert“ ist. Schwere der Schuld ist vor allem bei Kapitalverbrechen zu bejahen. Dagegen kann ein Vergehen mit geringem zurechenbaren Schaden, auch wenn es „bedenkenlos“ begangen wird, die Schwere der Schuld nicht begründen, da das Gewicht der Tat zu gering ist, BGH StV 1998, 332 = NK 98, 38 m. Anm. Sonnen; BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 3.

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      Umstritten ist, ob auch bei Fahrlässigkeiten eine Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt werden darf. Bei einem tödlichen Verkehrsunfall begründen allein das Ausmaß der Folgen und der äußere Tathergang noch keine Schwere der Schuld (BayObLG StV 1985, 155 m. Anm. Böhm; ebenso wenig bei schwerem Verkehrsunfall auf Grund „hirnloser Raserei“, OLG Karlsruhe NStZ 1997, 241 m. zust. Anm. Böhm). Das wäre eine unzulässige Überbetonung des Tatunrechts. In erster Linie ist dagegen die subjektive Seite entscheidend. In extremen Ausnahmefällen bejaht die Rechtsprechung auch bei Fahrlässigkeitstaten die Möglichkeit der Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld: OLG Hamm NJW 1968, 462; OLG Celle NdsRpfl 1969, 95 und AG Dillenburg NStZ 1987, 409 m. Anm. Böhm und Eisenberg – der Angeklagte hatte Alkohol getrunken, seinen Kleinwagen mit insgesamt sieben Personen besetzt, es war dunkel, er kannte die Fahrtstrecke nicht, fuhr zu schnell eine steil abschüssige Straße hinunter, kam in einer Kurve ins Schleudern und verursachte einen Unfall, der zum Tod von fünf Mitfahrern führte; OLG Braunschweig NZV 2002, 194 f. aufgrund grober Leichtfertigkeit – der Angeklagte fuhr nüchtern, bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h in einer kurvenreichen, bergauf durch Waldgebiete führenden Straße mit 60 bis zu 120 km/h und kam hierdurch von der Straße ab, wobei ein Mitfahrer verstarb und ein zweiter schwere Verletzungen erlitt (bedenklich erscheint hier, dass das erkennende Gericht selbst in der Verhaltensweise des Angekl. ein gewisses jugendtypisches Imponiergehabe sieht). Demgegenüber will Ostendorf § 17 Rn. 6 die Schwere der Schuld auf vorsätzliches Handeln begrenzt wissen, weil hinter der Schuldbestrafung die positive Generalprävention (Normvertrauen) stehe. Durch Fahrlässigkeitstaten werde aber das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung nicht beeinträchtigt. Diese Position führt zwar zu einer restriktiven Interpretation, bedarf jedoch hinsichtlich der Grundannahme noch einer empirischen Absicherung.

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      Die Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld muss erforderlich sein. Bei Gruppendelikten kann z.B. die Erforderlichkeit der Jugendstrafe nach Auflösung der Gruppe entfallen (BGH StV 1990, 505; BGH NStZ-RR 2008, 259). Erforderlichkeit ist ein Teil des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG), so dass vor der Verhängung der eingriffsintensivsten Sanktion weniger eingriffsintensive Möglichkeiten geprüft werden müssen. Maßstab sind die aktuellen, empirisch gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Giehring hat überzeugend herausgearbeitet, dass eine härtere Sanktion nur zulässig sein kann, wenn „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zusätzliche positive sozialpsychologische Wirkungen zu erwarten“ sind. Ist das nicht der Fall, kann also das angestrebte Ziel in gleicher Weise erreicht werden, so ist die mit geringeren Eingriffen verbundene Reaktionsform zu wählen (Giehring in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, 1989, S. 110). Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld wird zukünftig seltener verhängt werden dürfen (vgl. zur Bedeutung empirischer Erkenntnisse für die Rechtsprechung BVerfG ZJJ 2006, 197 [hier spez. im Jugendstrafvollzug]; BVerfGE 1998, 201; BayObLG StV 1988, 434 u. Pfeiffer DVJJ-J 1991, 126).

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      Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO setzt die Erwartung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr voraus, die auf eine einschlägige rechtskräftige Verurteilung zu Freiheitsstrafe gestützt wird. Im Hinblick auf die unterschiedliche Zielrichtung und den unterschiedlichen Vollzug erfüllt eine Jugendstrafe (ebenso wenig wie Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel) diese Voraussetzung nach Ansicht von Eisenberg § 17 Rn. 36 unter Hinweis auf Nr. 1 S. 2 RiJGG zu § 17 JGG nicht. Die wohl h.M. sieht das anders; OLG Braunschweig StV 2009, 84; KK-Graf StPO, Rn. 21 m.w.N. Bei zu erwartender Jugendstrafe von mehr als einem Jahr darf eine rechtskräftig verhängte, aber nach § 31 Abs. 2 einzubeziehende Jugendstrafe nicht berücksichtigt werden (LG Itzehoe StV 2007, 84; HK-StPO-Lemke § 112a Rn. 10).

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      Wird die Verhängung von Jugendstrafe sowohl mit schädlichen Neigungen als auch mit Schwere der Schuld begründet und erweist sich eine von beiden Annahmen im Rechtsmittelverfahren als fehlerhaft, so ist der Strafausspruch insgesamt aufzuheben, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Fehler sich zum Nachteil des Angeklagten auf die Höhe der erkannten Jugendstrafe ausgewirkt hat (BGH NStZ-RR 2007, 78; VRS 107, 39; BGH Beschl. v. 21.4.2005 – 3 StR 112/05; BGH StV 1998, 331; BGHSt 16, 262). BGH Urt. v. 14.12.1993 – 1 StR 656/93 – NStZ 1994, 529 [Böhm] stellt einen Ausnahmefall dar (ebenso wie BGH Urt. v. 25.11.1998 – 3 StR 456/98 – vgl. § 17 Rn. 23). Nach BGH NStZ 2010, 56, ist § 354 Abs. 1a StPO auch bei der Prüfung der Angemessenheit der Jugendstrafe anzuwenden, aber dabei ist wegen der Besonderheiten jugendstrafrechtlicher Sanktionierung „eine gewisse Zurückhaltung des Revisionsgerichts geboten“. Zulässiges Verteidigungshandeln (Leugnen, kein Bedauern gegenüber dem Opfer) darf der Schwere der Schuld nicht zu Grunde gelegt werden, BGH NStZ 2010, 88.

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      Zum Verfahren der Beseitigung des Strafmakels nach Jugendstrafe vgl. §§ 97, 101.

      Kommentierung

      I.Reichweite der Vorschrift und praktische Bedeutung1 – 3

      II.Mindest- und Höchstmaß der Jugendstrafe4 – 8

      III.Bemessung der Jugendstrafe9 – 30

       1.Mittelbare Bedeutung der Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts11, 12

       2.Begrenzungen13 – 18

       a)Jugendspezifische Strafzumessung13

      


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