Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
der Begehung von Betäubungsmitteldelikten wird auch die Einbeziehung Minderjähriger in den Betäubungsmittel-Verkehr strafschärfend berücksichtigt. Hier differenziert der Gesetzgeber im Wesentlichen zwischen der Abgabe von Drogen an Minderjährige (wobei die profitorientierte Abgabe nochmals verschärft bestraft wird) und der besonders verwerflichen Einbeziehung von Jugendlichen in den illegalen Drogenhandel.[229]
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Hinsichtlich des Umgangs mit nicht geringen Mengen erkennt man in den §§ 29a ff. BtMG ein Stufensystem. Auf erster Stufe erfasst § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zahlreiche Formen des Umgangs mit nicht geringen Mengen. Der Strafrahmen erhöht sich nochmals speziell im Falle der Einfuhr nicht geringer Mengen, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG. Die Kumulation der Qualifikation des § 30 Abs. 1 Nr. 1 mit § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG führt zu § 30a BtMG, mithin zu einem Strafrahmen von nicht unter fünf Jahren.
2. Speziell: zum Merkmal der nicht geringen Menge (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, 30a Abs. 1 BtMG)
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§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG stuft das unerlaubte Handeltreiben, die Herstellung, die Abgabe oder den Besitz zu einem Verbrechen hoch, wenn sich die Handlung auf eine nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln bezieht (§ 30 Abs. 1 Nr. 4, 30a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BtMG). Dem Begriff der nicht geringen Mengen steht derjenige der geringen Menge gegenüber, die im Kontext der Bestimmungen zur Einstellung wegen Geringfügigkeit bzw. zum Absehen von Strafe bestimmt werden muss. Freilich deutet der Begriff „gering“ auf einen Dualismus hin (gering/nicht gering); weil aber nicht jeder Fall einer Bagatelle in ein Verbrechen „umschlägt“, muss man davon ausgehen, dass zwischen den beiden Rechtsbegriffen noch so etwas wie eine „normale Menge“ existiert, bei der zwar § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht einschlägig ist, gleichsam allerdings auch eine Einstellung wegen Geringfügigkeit ausscheidet.
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Die „nicht geringe Menge“ wird nicht durch das Gesetz bzw. den Verordnungsgeber bestimmt, mithin findet sich weder eine Begriffsbestimmung (der sich zugleich eine Methodik der Festsetzung entnehmen ließe) noch werden besonders gefährliche Dosen in der Positivliste festgelegt. Entsprechend musste die Rechtsprechung Leitlinien zur Bestimmung des Grenzwerts für einzelne Drogen entwickeln und Mengen für bestimmte (besonders häufig vorkommende) Drogen festsetzen. Während aus Praktikabilitätsgründen für die Bestimmung der geringen Menge die Gewichtsmenge als maßgeblich betrachtet wird (Rn. 136), muss beim strafschärfenden Merkmal der nicht geringen Mengen – auch unter Berücksichtigung rechtsgutorientierter Erwägungen – die Wirkstoffmenge ausschlaggebend sein.[230]
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Dabei wird in einem zweistufigen Verfahren[231] zunächst die äußerst gefährliche Dosis der gegenständlichen Droge oder, wenn eine solche nicht feststellbar ist, die durchschnittliche Konsumeinheit bestimmt, die dann mit einer an der Rauschwirkung und der Gefährlichkeit des Betäubungsmittel orientierten Maßzahl (z.B. 150 bei Heroin und 500 bei Cannabis) zu multiplizieren ist.[232] Die Veränderungen auf dem illegalen Drogenmarkt, insbesondere die Abkehr von klassischen Rauschgiften hin zu Medikamenten als „Ersatzdrogen“ einerseits und das Auftauchen neuer psychotroper Substanzen lassen diese Methode schnell an ihre Grenzen stoßen. Während bei Benzodiazepinen (Arzneimittel) keine Gefährlichkeit im weiteren Sinne festgestellt werden kann (jedenfalls keine, die über die „Überdosis-Gebrauchsgefahr“ jeglicher Medikamente hinausgeht), besteht bei neuen psychoaktiven Substanzen das Problem, dass sich meist noch keine Konsumgewohnheiten entwickelt haben, an denen man die Maßzahl ausmachen könnte (weswegen es auch nicht erstaunt, dass man auf dieses Merkmal im NpSG verzichtet hat).[233]
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In folgender tabellarischer Auflistung finden sich exemplarisch die von der Rechtsprechung festgesetzten Grenzmengen zu den wichtigsten Drogen:[234]
Stoff | nicht geringe Menge | Anzahl Konsumeinheiten[235] | Konsumeinheit |
---|---|---|---|
Amfetamin | 10 g Base[236] | 200 | 50 mg[237] |
Cannabis | 7,5 g THC[238] | 500 | 15 mg |
Heroin (Diamorphin) | 1,5 g HHCl[239] | 30 | 50 mg |
Kokain | 5 g KHCl[240] | 150 | 33 mg |
Metamfetamin (Crystal-Speed) | 6,2 g Metamfetamin-HCl[241] | 200 | 25 mg |
V. Das Sonderrecht des Betäubungsmittelabhängigen, §§ 35 ff. BtMG
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Für einen Betäubungsmittelsüchtigen haben die Strafen als solches selten abschreckende Wirkung, sodass sich Kriminologen relativ schnell einig waren, dass der Gefahr einer Rückfälligkeit nicht mit horrenden Strafandrohungen, sondern mit dem Grundsatz „Therapie statt Strafe“ (als besondere Ausprägung der positiven Spezialprävention im Betäubungsmittelstrafrecht) begegnet werden musste. Nach längeren rechtspolitischen Diskussionen hat dieser Gedanke, wenn auch nur partiell Eingang in das Betäubungsmittelstrafrecht gefunden, nämlich in Form der §§ 35 ff. BtMG, welche die Verfolgung und Vollstreckung von Taten betreffen, die durch einen Betäubungsmittelabhängigen begangen wurden. Anders als § 31a BtMG (vgl. noch Rn. 134) ist dieses Sonderrecht nicht auf bestimmte Deliktsgruppen bzw. auf Bagatellen beschränkt; vielmehr knüpft die Privilegierung im Wesentlichen an eine Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit für die Tatbegehung.
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Zum einen besteht gemäß § 37 BtMG die Möglichkeit von einer Verfolgung abzusehen, wenn sich der Täter bereit erklärt, sich einer Therapie zu unterziehen. Zum anderen kann bei einem Betäubungsmitteltäter gemäß § 35 BtMG die Strafvollstreckung zurückgestellt werden, wenn sich der Täter innerhalb dieser Zeit einer Therapie unterstellt. Nach § 36 BtMG besteht dann die Möglichkeit, sich die Therapiezeit als vollstreckte Strafe anrechnen zu lassen. Die praktisch-rechtliche Notwendigkeit des § 35 BtMG wird nicht dadurch relativiert, dass im StGB bereits verschiedene Möglichkeiten der Einweisung bzw. Therapie gegeben sind. Insbesondere die Unterbringung nach § 64 StGB hat ihren Fokus auf dem Entgiftungsprozess (also auf der physiologischen Komponente), während die psychische Behandlung des Süchtigen auf der Strecke bleibt. Auf der anderen Seite ist § 56c Abs. 3 Nr. 1 StGB rechtlich nur bei Bewährungsstrafen denkbar (scheidet also bei verwirkten Strafen über zwei Jahren von vornherein aus), während § 35 BtMG auch dann zur Anwendung kommen kann, wenn nur der auszusetzende Strafrest nicht zwei Jahre übersteigt, § 35 Abs. 3 BtMG.
1. Die Voraussetzungen der