Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов

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der Habilitationsschrift von Volkmar Götz aus demselben Jahr, in der er das „Recht der Wirtschaftssubventionen“ als Querschnittsgebiet von Zivilrecht, öffentlichem Recht, Verfassungsrecht und unter breiter analytischer Inbezugnahme von EGKS- und EWG-Recht entwickelt.[126]

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      Einwirkungen auf deutsches Verwaltungsrecht

      Zwei Jahre später veröffentlichte Ipsen einen Aufsatz zum Thema „Deutsche Verwaltung und europäische Wirtschaftsintegration“. Darin beschreibt er systematisch den Unterschied des Einwirkungsgrades auf die innerstaatliche Verwaltung durch supranationales Gemeinschaftsrecht im Unterschied zu internationalen zwischenstaatlichen Organisationen und verteidigt nüchtern die „‚Öffnung‘ der deutschen Verwaltung“ gegen zweifelnde Stimmen.[127] Ipsen kritisierte, dass die deutsche Politologie und Soziologie sich bislang nicht für eine Bestandsaufnahme interessieren, „in welcher Zahl und Intensität deutsches Verwaltungspersonal am Integrationsprozeß aktiv beteiligt ist.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Ipsen, der die intensivierende Einwirkung auf die Verwaltung im Großen und Ganzen abstrakt beschreibt, an einer Stelle konkret wird. Das Einwirkungsausmaß sei auch erkennbar an der „seit 1964“ wachsenden Zahl von deutschen Vorlagebeschlüssen zum EuGH. Das Adverb „seit 1964“ ist deshalb aufschlussreich, weil Ipsen in einer Fußnote vermerkte, dass im Herbst 1964, soweit ersichtlich, noch kein Vorlagebeschluss eines deutschen Gerichts ergangen gewesen sei.[128] Er richtete das Auge hier genau auf die Praxis und bemerkte eine Veränderung im Prozess des Anlaufens des indirekten Vollzugs.

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      Überforderung der (Verwaltungs)Praxis

      Anfang der 1970er Jahre gab es in der verwaltungsrechtlichen Literatur einen Hinweis darauf, dass die tatsächliche Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts und das weiterhin begrenzte Engagement der Verwaltungsrechtswissenschaft möglicherweise etwas mit deren begrenzter Empirie zu tun habe.[129] Im Deutschen Verwaltungsblatt 1972 erschien ein Beitrag des Verwaltungsmanns Gerold Schmidt. Der Autor teilt darin mit, dass seit 1962 mit dem Außenwirtschaftsrecht (AWR) beinahe „unbemerkt ein ganzer Bereich des deutschen besonderen Verwaltungsrechts bzw. Wirtschaftsverwaltungsrechts nahezu untergegangen und gleichzeitig neuerstanden“ sei. Aus Anlass des formellen Übergangs der Gesetzgebungszuständigkeit auf die Wirtschaftsgemeinschaft zum 1. Januar 1970 blickte er auf zehn Jahre zurück.[130] Der Aufsatz gibt ein plastisches und anregendes Beispiel für die langsame, zu Beginn der 1960er Jahre unscheinbare Abgabe von Verordnungstätigkeit an den EG-Gesetzgeber, deren nationale Auswirkungen den beteiligten Praktikern erst allmählich deutlich wurden. Für Schmidt schienen sowohl Wissenschaft als auch Praxis überfordert, beim Nachvollzug und der Systematisierung mit der Normgebungstätigkeit der Gemeinschaft Schritt halten zu können: „Wissenschaft und Praxis sind bislang dem scheinbaren Wirrwarr und den fremdartigen Begriffen und Instituten erlegen und haben die Entstehung eines geschlossenen, gemeinschaftlich-deutschen AWR-Systems, das sich aber eben nicht gleich als AWR vorsortiert, kaum erfaßt. Insbesondere die partikulären deutschen Verwaltungen haben große Last, mit den Aufgaben, mit dem Wandel, mit der Weiträumigkeit und dem Geist des neuen Rechtsgebiets fertig zu werden.“[131] Als eine Ursache nennt der Autor die juristisch-fachliche Information der Verwaltungsbeamten, deren Kenntnisse des „geltenden gemeinschaftlich-deutschen Rechts“ er als beklagenswert einordnet und mit einem Vorwurf an die Verwaltungsrechtswissenschaft verbindet: „Die schulmäßige Verwaltungsrechtslehre erzieht geradezu zu dieser Schwierigkeit, wenn sie das geltende gemeinschaftlich-deutsche Verwaltungsrecht systematisch zu „Völkerrecht, Internationales Recht, Recht des Auslandes“ abschiebt, womit sich der Durchschnittsbeamte garantiert nicht befaßt.“[132] Dieser Anekdote entspricht der Befund, dass das Gemeinschaftsrecht zwar seit Anfang der 1960er Jahre an mehreren Universitäten gelehrt und erforscht worden ist, Europarecht aber erst mit der Ausbildungsreform Anfang der 1970er Jahre zumindest als Wahlfach im Staatsexamensstudiengang und seit Mitte der 1980er Jahre im Pflichtfachstoff prüfungsrelevant wurde.[133]

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      Interministerielle Uneinigkeit

      Eine verwaltungswissenschaftliche Studie vom Beginn der 1990er Jahre, die sich mit der ministerialen Verwaltungsumstellung als Reaktion auf den Schumanplan, die Montanunion und den EWG-Vertrag befasste, entlastete allerdings die Verwaltungsrechtswissenschaft auch; zumal Ausbildungsänderungen sich ohnehin erst Jahrzehnte später in der Praxis juristischer Funktionseliten bemerkbar machen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich der Prozess verwaltungspraktischer und -administrativer Anpassungen und Reaktionen auf den Integrationsprozess aufgrund der Streitigkeiten zwischen Konrad Adenauer und Ludwig Erhard über Form und Ziel der europäischen Integration[134] innerhalb der Bundesministerien bis in die 1960er Jahre hinein stark verlangsamte und die Aufmerksamkeit von den Europäisierungsprozessen auf interne Angelegenheiten ablenkte.[135]

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      Wahrnehmungswechsel

      Ein in der Rückschau prägender Zeitraum reicht vom Ende der 1960er bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre, die die erwähnte Zäsur für die Europäisierung markiert.[136] Die Sekundärrechtsetzung der Gemeinschaften und die Vorlageersuchen nationaler Gerichte an den EuGH waren erst seit Mitte der 1960er Jahre überhaupt in Gang gekommen.[137] Es erschienen Monographien, die nicht nur für eine andere Befassung von jüngeren Vertretern der Verwaltungsrechtswissenschaften mit dem organisierten Europa, sondern auch für einen Wahrnehmungswechsel stehen, der in der Referentenauswahl für die Staatsrechtslehrervereinigung im Jahr 1993 gespiegelt wird.[138] Im Wintersemester 1967/68 nahm die Kölner Fakultät die Habilitationsschrift Manfred Zuleegs[139] an.[140] In der Schrift befasst sich Zuleeg mit der Systematisierung des Verhältnisses von europäischer und deutscher Rechtsordnung, im neunten Kapitel speziell auch mit dem „Verwaltungsvollzug durch nationale Behörden“, was insgesamt als „bedeutende Leistung“ eingeordnet wurde.[141] Zuleegs Überlegungen zeigen deutlich die Verknüpfung des europarechtlichen Geltungsgrundes mit den Anwendungsfragen auf, wobei die Antwort auf letztere von der Grundlagenkonzeption abhängen. Für den Autor bestehen auf staatlichem Territorium zwei selbständige Rechtsordnungen nebeneinander, die zwar auf mannigfache Weise verzahnt seien, aber doch bei ihrer Verwirklichung unterschiedlichen Regeln gehorchten. Der alleinige Geltungsanspruch staatlichen Rechts sei nicht mehr aufrecht zu erhalten.[142] Hier argumentiert ein Rechtswissenschaftler vom föderativ-konstitutionellen Standpunkt,[143] der sich zudem auf integrationsfreundliche Autoritäten berufen kann. Der deutsche Generalanwalt am EuGH, Karl Roemer, schloss sich der von Carl Friedrich Ophüls, Konrad Zweigert und Hans Peter Ipsen vertretenen These vom unbedingten Vorrang des Gemeinschaftsrechts an, den er für diejenigen, die einer Autonomie mit verfassungsrechtlicher Qualität nicht folgen wollten, zusätzlich auf eine extensive Auslegung von Art. 24 Abs. 1 GG stützte.[144] Die zitierte These wurde von Ipsen mit der Gesamtakttheorie unterfüttert, wonach die im Abschluss der Gemeinschaftsverträge liegende Willenseinigung mit ihrer an sich auf die Vertragschließenden beschränkten Rechtswirkung eine von einem Gemeinwillen getragene Rechtserzeugung „außer sich selbst“ zum Ausdruck bringe. Ipsen entfaltete diesen, in die Debatte bereits eingeführten Gedanken in seiner 1972 erschienenen Monographie „Europäisches Gemeinschaftsrecht“, die auch als Lehrbuch oder als Handbuch eingeordnet werden könnte.[145] Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967, die erste nähere Befassung Karlsruhes mit dem Gemeinschaftsrecht, lässt Deutungsspielräume, die von Ipsen im Sinne der Gesamtakttheorie genutzt wurden.[146]

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      Monitum Grundrechtsschutz

      Welchen Standpunkt man als zeitgenössischer Akteur und zeithistorischer Beobachter auch einnimmt, aus den tatsächlichen Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Verwaltungsrecht entsteht die Folgefrage, wie es mit den rechtsstaatlichen Maßstäben für dieses europäische Handeln aussieht, die bereits ausführlich auf den Staatsrechtslehrertagungen in Erlangen (1959) und Kiel (1964) mit unterschiedlichem Akzent diskutiert worden waren.[147] Die bereits früh, bei der Errichtung der Montanunion


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