Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band - Hugo Friedländer


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sondern als Angeklagter. Genug – ich fahre fort: Nach dem Zeugnis des Herrn Giskra kann es absolut keinem Zweifel unterliegen, daß Mühlwasser ein Spion, ein agent provocateur ist. Wenn auch die Brünner Polizei zu sittlich war, ihn zu engagieren, so ist es doch anderseits gewiß, daß derlei Subjekte Verwendung finden, und daß es Regierungen gibt, die, um die demokratische, die sozialdemokratische Bewegung zu schädigen, Agenten besolden, welche sich in sie einzudrängen und Ausschreitungen, törichte Ausbrüche zu provozieren haben, damit Anlaß zu reaktionären Repressivmaßregeln geboten wird. Der ehrliche, seines Zieles sich bewußte Revolutionär wird stets mäßig sein im Ausdruck und in seinen nächsten Forderungen; Maßlosigkeit des Ausdrucks und der Forderungen ist das Resultat der Unreife oder der Unehrlichkeit. Ich verweise auf den Kontrast zwischen der Sprache und Haltung des ehrlichen Scheu und des unehrlichen Mühlwasser, der seiner Extravaganzen wegen von ersterem formell desavouiert wurde.

      Nachdem eine große Zahl Zeitungsartikel, Broschüren, Reden, Briefe, Aufrufe usw. verlesen und eine große Anzahl Zeugen vernommen waren, erschien am zwölften Verhandlungstage das Mitglied des Braunschweiger Ausschusses, der spätere Reichstagsabgeordnete Wilhelm Bracke als Zeuge. An diesen wurde eine ganze Flut von Fragen gestellt. Von Erheblichkeit war folgender Vorgang: Verteidiger Rechtsanwalt Freytag I (Leipzig): Herr Zeuge, in einem Ihrer Briefe ist von »Vorbereitung auf die Gewalt« die Rede. Wenn ich deshalb Ihnen jetzt einige weitere Fragen vorlege, so fordere ich Sie auf, mir eine rein wahrheitsgemäße Antwort zu geben. Gleichzeitig bemerke ich Ihnen, daß, im Falle Sie irgendeinen Nachteil für Ihre Person vermuten sollten, Sie selbstverständlich keine Antwort zu erteilen brauchen. Haben Sie innerhalb des Ausschusses oder im Verein mit Bebel und Liebknecht irgendeinen Plan verabredet zu gewaltsamem Sturz des Staates?

      Zeuge: Niemals; wenn ich so etwas von anderer Seite vernommen hätte, würde ich sofort den Betreffenden als einen agent provocateur behandelt haben.

      Vert.: Hatten Sie bei sich selbst jemals einen solchen Plan gefaßt?

      Zeuge: Nein.

      Vert.: Hatten Sie, als Sie die Agitatoren, Flugschriften usw. hinaussandten, die Absicht, später einmal eine gewaltsame Erhebung zu versuchen?

      Zeuge: Nein. Ein solcher Plan lag uns fern und wäre nach Lage der Dinge eine Tollheit gewesen.

      Vert.: Was hatten Sie für einen Zweck mit Ihrer Partei?

      Zeuge: Die Absicht, die Arbeiter über ihre Lage aufzuklären, sie zu vereinigen und zu organisieren, weil sie nur in der Vereinigung ihrer Kräfte Einfluß ausüben und Verbesserung ihrer Lage erlangen können. Wir haben die Überzeugung, daß aufgeklärte Arbeiter leichter etwas erreichen werden als ungebildete. Eine gewaltsame Erhebung lag uns fern, obgleich wir uns sagen mußten, daß hartnäckiges Verweigern der berechtigten Forderungen der Arbeiter möglicherweise eine gewaltsame Erhebung provozieren könne. Die Gehässigkeiten und Verleumdungen, mit denen unsere Bestrebungen überschüttet werden, zeigen, daß es unseren Gegnern nicht um friedliche Entwicklung zu tun ist. Ich sage nur, daß bei allem guten Willen unsererseits, die soziale Frage einer friedlichen Lösung entgegenzuführen, wir uns auch an den Gedanken gewöhnen müssen, daß gewaltsame Zuckungen eintreten können. Die Geschichte zeigt, daß starres Festhalten am Bestehenden solche Zuckungen häufig hervorruft. Ich glaube, daß in der ganzen Partei gleiche Ansichten über unsere Stellung herrschen.

      Vert.: Ist Ihnen bekannt, daß einer der Angeklagten eine hiervon abweichende Meinung gehabt hat?

      Zeuge: Wir haben nie unsere Ansichten über diesen Punkt ausgetauscht; ich glaube aber mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß die Angeklagten die gleiche Anschauung haben.

      Dieselbe Antwort gab auf Befragen des Verteidigers Rechtsanwalts Freytag I (Leipzig) als Zeuge Oberlehrer Spier, ehemaliges Mitglied des Braunschweiger Ausschusses.

      Zeuge Ingenieur Leonhard v. Bornhorst (Ausschußmitglied) bekundete auf Befragen des Verteidigers Rechtsanwalts Freytag I (Leipzig): Die »Soldatenbriefe« und den »Militärkatechismus« von Heinzen habe er auf eigene Faust bestellt. Bracke und Spier erhielten erst davon Kenntnis, als der Brief an Heinzen bereits abgesandt war. Beide mißbilligten die Bestellung und verboten die Verbreitung der Schriften. Bebel und Liebknecht haben von alledem nichts gewußt, sie haben wohl auch kaum die Schriften gekannt.

      Vert.: Die Partei soll die Absicht haben, eine gewaltsame Revolution herbeizuführen, um die sozialen und politischen Verhältnisse womöglich mit einem Schlage zu ändern; ist Ihnen davon etwas bekannt?

      Zeuge: Eine solche Absicht bestand entschieden nicht, weder bei uns, dem Ausschuß, noch bei den Angeklagten, die nie mit einem Worte eine solche Absicht ausgesprochen haben. Die Partei bekämpft das Autoritätsprinzip und kämpft für die Grundsätze der Gleichberechtigung aller Menschen, indem sie deren Durchführung auf sozialem Gebiete, die Assoziation der Arbeiter zu gemeinschaftlicher Produktion und Konsumtion, auf politischem die direkte Gesetzgebung durch das Volk erstrebt. Ich glaube, mit Stolz sagen zu dürfen, daß die deutschen Arbeiter schon manches erreicht haben. Ohne unser Vorgehen würden wir z.B. noch nicht im Besitz des allgemeinen, direkten Wahlrechtes sein, so verstümmelt es auch vorliegt in dem Reichstagswahlgesetz. Unsere Aufgabe ist, durch ruhige, aber energische Agitation die Aufklärung über soziale und politische Verhältnisse im Volke zu verbreiten und so nach und nach die Verhältnisse in unserem Sinne umzugestalten. Ob das Endziel der Partei, der sozialistische Volksstaat, schließlich ohne Gewalt erreicht werden kann, das läßt sich nicht vorher bestimmen und hängt ganz und gar von den Gegnern der Bewegung ab. Die Bewegung wird sich mit eiserner Notwendigkeit entwickeln, keine Macht der Erde wird imstande sein, sie zu unterdrücken, weil sie in den Verhältnissen wurzelt. Hat die Bewegung Gelegenheit, sich in den Bahnen der Reform zu entwickeln, dann wird sie friedlich die Umgestaltung der bestehenden Verhältnisse vollziehen; wirft man ihr Gewalt entgegen, dann wird es wohl zur Empörung kommen. Ich hoffe auf die friedliche Entwicklung und glaube, daß die Angeklagten dieselben Ansichten hierüber haben. Unsere Aufgabe ist, das Volk aufzuklären und zu bilden; je gebildeter das Volk ist, um so leichter und friedlicher wird es sein Ziel erreichen.

      Am dreizehnten Verhandlungstage begannen nach Stellung der Schuldfragen die Plädoyers. Staatsanwalt Hoffmann suchte in längerer Rede den Nachweis zu führen, daß die Angeklagten sich der Vorbereitung zum Hochverrat schuldig gemacht haben. Er hielt alle drei Angeklagten für schuldig, stellte aber den Geschworenen die Verurteilung Hepners anheim. »In betreff der Schuld der beiden anderen Angeklagten,« so etwa schloß der Staatsanwalt, »kann aber kein Zweifel obwalten. Die Angeklagten Liebknecht und Bebel sind die Seele der Bewegung in Deutschland, die Häupter der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Sie haben den Wind mit gesät, um Sturm zu ernten, den Sturm, der jetzt alle zivilisierten Länder durchbraust. Meine Herren Geschworenen! verurteilen Sie die Angeklagten Liebknecht und Bebel oder Sie sanktionieren die Revolution für jetzt und immer.«

      Verteidiger Rechtsanwalt Freytag I (Leipzig) führte in längerer Rede aus, daß in der vierzehntägigen Verhandlung ein Beweis, die Angeklagten haben einen gewaltsamen Angriff auf die Staatsverfassung unternehmen wollen, in keiner Weise geführt worden sei. Dies sei auch positiv durch die eidlichen Aussagen der Braunschweiger Zeugen, die doch Ehrenmänner seien, in überzeugendster Weise bewiesen worden. Der Verteidiger schloß: Ich erinnere noch an den Brief, den Herr Liebknecht zur Zeit des Krieges an Herrn Bracke geschrieben hat: »Wenn die Kaiserposse losgeht, dann wandere ich auf einige Jahre ins Exil.« Jemand, der das schreibt, hat jedenfalls nicht den Entschluß gefaßt, in seinem Vaterlande die Staatsverfassung gewaltsam umzustürzen. Meine Herren Geschworenen! Sie sanktionieren nicht die Revolution, wenn Sie die Angeklagten freisprechen, aber Sie sprechen damit aus: In unserem Staate kann man Gedanken frei aussprechen, in unserem Vaterlande kann man die Gesinnungen, die man hat, frei bekennen. In unserem Vaterlande ist es jeder Partei gestattet, ihre Tendenzen ins Volk zu tragen. In unserem Vaterlande werden Irrtümer nicht gewaltsam bekämpft. Das, meine Herren Geschworenen, sprechen Sie aus, wenn Sie die Schuldfragen verneinen.

      Verteidiger Rechtsanwalt Freytag II (Plauen) schloß seine mehrstündige Rede: Ich wünsche, daß Sie bei der Beantwortung der Schuldfragen lediglich im Sinne des Rechtes entscheiden mögen. Ich wünsche, daß nicht die herrschende politische und soziale Meinung in diesem Prozesse kämpfen möge gegen eine andere Meinung, daß


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