Ein Kampf um Rom. Felix Dahn

Ein Kampf um Rom - Felix  Dahn


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ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir sehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte.

      Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in ihren kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren.

      Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er hatte längst bemerkt, wie die »Patrona« unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung — er war seines Zeichens Steinmetz — zu erdulden gehabt, und so habe er denn an den letzten Kalenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Efeu, und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Donna Kamilla liebe, und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.

      Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an, und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters.

      Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen.

      Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde.

      Aber erstaunt blieb er stehen: er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! Da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein bescheidenes Gebiet begrenzt hatten.

      »Die Mutter Gottes steh mir bei und alle obern Götter!« rief der Steinmetz, »bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!« Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulett, das sie am Gürtel trug: aber Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat, und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu treiben, und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhänge hinunter.

      Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es kaum erkannte.

      Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Rede von christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso überrascht ausrief: »Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! O wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?« Und Tränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. — »So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Zyklope, was ist hier geschehen?«

      Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage, nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für die Witwe des Boëthius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps, d. h. als Oberintendanten der Gärten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boëthius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern. Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben, und halb mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan, und seine Arbeiter gingen unverzüglich ans Werk.

      Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft, und nun hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen verging. Wollte er fragen und dreinreden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davonmachen, so winkte der Intendant, und ein halbes Dutzend Fäuste hielten ihn fest. »Und« — schloß der Erzähler— »so ging’s bis vorgestern morgen. Da waren sie fertig und zogen davon.

      Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir’s melden. Aber sie ließen mich nicht, und obendrein wußt’ ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspürte, und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, da beruhigte sich allmählich mein Gemüt, und ich ließ alles gehen, wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? Du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! Bei allen Heiligen und allen Göttern! Denn du hast mich gesetzt über ein paar Kohlfelder, und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.«

      Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus, sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung, des freudigen Schreckens jagte den andern: sooft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand, wie jener Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie sie letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtnen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen Zitruskästchen und auf dem gleichen Schildpatt-Tischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Dauphnidion beruhigen. »Es gibt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus Boëthius«, rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gen Himmel.

      Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Überraschung.

      Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem Geheimnisvollen Wohltäter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück: er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen könne. Sie möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen


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