Satan und Ischariot III. Karl May
bestieg das Pferd des Komantschen, lenkte in den Bergweg ein und winkte uns, ihm zu folgen. Emery wollte sein Pferd holen, aber Winnetou sagte:
»Meine Brüder mögen ihre Tiere hier stehen lassen. Da oben werden sie viel bessere finden.«
Er ritt voran, ohne den Komantschen nur noch einmal anzusehen, und wir folgten ihm. Es war leicht begreiflich, daß der Gefangene sich darüber ärgerte, sein Pferd zu verlieren; es war ein prachtvolles Tier; einige gleich vortreffliche hatte ich bei den andern Komantschen gesehen. Darum war ich jetzt sehr neugierig, was ich da oben auf der Ebene vorfinden würde. Wir sollten gute Komantschenpferde bekommen. Auf welche Weise, das fragte ich nicht, da Winnetou es nicht freiwillig sagte. Er ritt wortlos voran wie einer, der gar nicht vorsichtig zu sein braucht; er mußte seiner Sache sehr sicher sein.
Als wir oben angekommen waren, sah ich nun freilich, daß die Komantschen sich so sorglos wie möglich verhalten hatten. Sie suchten noch immer nach unserer Fährte. Sie hatten sich getrennt, um nach allen Richtungen zu forschen. Wir sahen sie rundum, schon weit von uns entfernt, dahinschreiten, indem sie in gebückter Haltung den Boden betrachteten. Da unsere Spuren leicht von den Pferden ausgetreten werden konnten und die Tiere beim Suchen überhaupt hinderlich waren, hatten sie dieselben an einer Stelle zusammengebracht und dort unter der Aufsicht eines einzigen Roten stehen lassen. Die Stelle war gar nicht weit von uns; wir hatten höchstens sechshundert Schritte zu gehen. Der Wächter saß an der Erde, mit dem Gesicht von uns abgewendet, und blickte hinaus ins Weite, die Bemühungen seiner Kameraden beobachtend.
»Der Mann würde die Schritte meines Pferdes hören,« sagte Winnetou lächelnd. »Ich werde also hier ein wenig warten, und meine Brüder mögen leise zu ihm gehen, um sich dort die zwei besten Pferde auszuwählen.«
Er blieb einstweilen halten. Ich nahm den Stutzen schußfertig in die Hand, um den Roten einzuschüchtern, und schlich mit Emery auf ihn zu. Er schenkte den vergeblichen Bemühungen seiner Kameraden eine so ungeteilte Aufmerksamkeit, daß wir die Pferde erreichten, und nahe hinter ihm standen, ohne daß er es bemerkte. Da sagte ich:
»Wird mir der Sohn der Komantschen vielleicht sagen, was seine Brüder so angelegentlich da draußen suchen?«
Er blickte sich um, sah uns, fuhr wie von einer Spannfeder geschnellt empor und starrte uns an.
»Hat mein Bruder meine Frage verstanden?« fuhr ich fort.
»Old – Shatterhand!« stammelte er.
»Ja, ich bin es. Und kennst du den Krieger, welcher dort auf dem Pferde sitzt?«
»Winnetou, auf dem Pferde des Häuptlings!«
»Allerdings! Also sage, was suchen deine Brüder da draußen?«
»Sie – suchen – — euch!« antwortete er, noch immer ganz außer sich.
»Uns? So eile schnell hin, und sage ihnen, daß wir uns hier befinden!«
Er machte keine Miene, der Weisung Folge zu leisten, sondern starrte mich noch immer wie eine Geistererscheinung an. Da richtete ich die Mündung des Gewehres auf ihn und drohte:
»Eile, sage ich dir, sonst bekommst du augenblicklich eine Kugel.«
»Uff!« rief er erschrocken, wendete sich und rannte davon, so schnell ihn seine Beine fortzutragen vermochten. Nun hatten wir freie Hand. Winnetou kam hingeritten, und wir wählten uns von den Pferden, welche alle gesattelt waren, die zwei besten aus.
Der Indianer lief wie ein Schnellläufer und stieß dabei ein Geheul aus, das weithin zu hören war. Seine Kameraden wurden aufmerksam; sie sahen, daß er auf uns deutete, und rannten auf ihn zu. Dadurch wurde Raum für uns frei. Wir stiegen auf und galoppierten in südlicher Richtung davon, wo sich jetzt kein Indianer mehr in Schußweite befand. Später bogen wir dann wieder westlich ein.
Drittes Kapitel: Ein Brudermord
Es fiel uns natürlich gar nicht ein, nach dem Punkte am Canadian zurückzukehren, wo wir Jonathan Melton zuletzt gesehen hatten; wir hätten damit nur unnütz Zeit vergeudet; wir ritten vielmehr, soweit das Terrain uns das erlaubte, gerade unter der Luftlinie, die nach Albuquerque führte. Wir erlebten unterwegs nichts, was erwähnt werden müßte, und kamen gegen Abend des vierten Tages am Ziele an.
Die Stadt Albuquerque hat ihren Namen nach dem Herzoge gleichen Namens, welcher Vizekönig von Mexiko war, erhalten. Albuquerque bedeutet Weiß-Eiche (alba quercus). Sie zerfällt in zwei verschiedene Teile, die einander vollständig unähnlich sind, nämlich in die alte spanische und in die junge amerikanische Stadt. Ein breiter, unbebauter Raum trennt die beiden Stadtteile voneinander. Der alte spanische Typus hat sich hier in jeder Beziehung rein erhalten, und nirgends stellt sich diesem das Neuamerikanische ablehnender gegenüber als hier. Das neue Albuquerque hatte genau das Aussehen anderer amerikanischer Pilzstädte: sehr schlechte, ungepflasterte Gassen und Straßen mit Holzsteigen an den Seiten für die Fußgänger. Die Häuser waren meist Bretterbauten mit Läden aller Art und Trinklokalen jeden Genres. Die Stadt liegt am linken Ufer des Rio Grande del Norte; am rechten Ufer breitet sich das große Dorf Atrisco aus.
Selbst wenn wir nicht besser unterrichtet gewesen wären, hätten wir gewußt, daß die Gesuchten, falls sie noch anwesend waren, nicht in dem spanischen, sondern im amerikanischen Stadtteile zu finden seien. Wir wußten aber, daß das Zusammentreffen im Salon von Plener hatte stattfinden sollen. Freilich hüteten wir uns, das Etablissement sofort zu dreien aufzusuchen, vielmehr hielten wir vor einem andern sogenannten Hotel an, das aber diesen Namen nicht verdiente. Hier blieb ich mit Winnetou; dann ritt Emery zu Plener, um sich dort einzuquartieren. Er von uns dreien fiel dort am wenigsten auf, und hatte die Aufgabe, sich dort möglichst wenig sehen zu lassen und dafür aber desto genauere Erkundigungen einzuziehen.
Es war, wie gesagt, gegen Abend, als wir ankamen. Wir waren ziemlich ermüdet und wollten zeitig schlafen gehen. Als ich das dem Aufwärter beim Abendessen sagte, meinte er:
»Daran thut ihr sehr unrecht, Gentlemen. Ich sage Euch, Albuquerque ist ein trauriges Nest, und wenn einem einmal so etwas geboten wird, soll man es genießen, anstatt sich ins Bett zu legen.«
»Was giebt es denn? Ihr seid ja ganz begeistert, Master!«
»Es ist auch darnach! Ihr solltet die Spanierin nur sehen, Sir!«
»Habe schon manche Spanierin gesehen! Was ist sie denn?«
»Sängerin. Ich sage Euch, das ganze Albuquerque ist verrückt auf sie. Sie wollte nur einen Abend singen, hat aber, einen solchen Anklang gefunden, daß sie sich entschloß, noch zwei Abende zuzugeben. Heute singt sie zum letztenmal.«
»Wie ist denn der Name dieses außerordentlichen Wesens?«
»Pajaro.«
»Ein schönklingender Name!«
»Echt spanisch. Und eine echte Spanierin ist sie, obgleich sie am liebsten deutsche Lieder zu singen scheint.«
»Wie? Eine Spanierin, welche deutsche Lieder singt?«
»Ja. Wundert Euch das? Sie wird gewiß wissen, warum sie das thut. Man mag von diesen Deutschen denken und sagen, was man will; aber Leder haben sie, Lieder und Melodien wie kein anderes Volk. Und Sennora Marta Pajaro weiß diese Lieder zu singen! Dann müßt Ihr ihren Bruder auf der Geige hören! Ich sage Euch, es giebt keinen zweiten Violinvirtuosen, wie er einer ist, dieser Francisco Pajaro!«
»Also Marta Pajaro und Francisco Pajaro? Ihr macht mich neugierig. Ich werde doch vielleicht gehen, um die beiden Leute zu hören. Wo ist das Konzert?«
»Im Salon hier gegenüber. Es sind keine Billets mehr zu haben. Alles verkauft und vergriffen. Nur ich habe noch einige. Der Platz kostet eigentlich einen Dollar; wenn Ihr zwei Dollars bezahlt, könnt Ihr ein Billet haben.«
»Ah, Ihr wollt hundert Prozent verdienen! Meinetwegen! Gebt zwei Billets her!«
Warum ich mir die Billets kaufte trotz des doppelten Preises? Sehr einfach: Pajaro heißt Vogel; die Geschwister hießen Martha und Franz. Mußte ich da nicht an meine alten Bekannten aus der Heimat denken, an die Leute, wegen deren Erbschaft ich mit Winnetou nach Aegypten und Tunis gegangen und jetzt wieder nach Amerika gekommen