Von Bagdad nach Stambul. Karl May

Von Bagdad nach Stambul - Karl May


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hegen. Sie werden sich rächen wollen für alles, auch für die Pferde, die wir ihnen töteten.«

      »Wir brauchen sie nicht zu fürchten,« tröstete Amad el Ghandur; »denn eben dieser Pferde wegen können uns nicht alle folgen. Und wenn sie kommen, werden wir sie mit unseren guten Gewehren empfangen.«

      »Das klingt gut, ist aber nicht so. Sie haben gesehen, daß wir ihnen im offenen Kampfe überlegen sind; sie werden uns abermals einen Hinterhalt legen oder uns gar des Nachts überfallen.«

      »Wir stellen Wachen aus!«

      »Wir sind nur sechs Mann, und wenigstens so viele Wachen brauchen wir, um uns leidlich sicher fühlen zu können. Wir müssen an etwas anderes denken.«

      Unser Führer, der Kohlenbrenner, hielt ein wenig seitwärts von unserer Gruppe. Er befand sich in Verlegenheit, denn er erwartete Vorwürfe darüber, daß er den Haddedihn nicht gehindert hatte, den Gefangenen zu befreien.

      »Wie weit nach Süden reiten die Bebbeh?« fragte ich ihn.

      »Bis zum See hinab,« antwortete er.

      »Kennen sie die Gegend genau?«

      »Ganz genau. Sie kennen,« sagte er, »so gut wie ich jeden Berg und jedes Tal zwischen Derghezin und Miek, zwischen Nweizgieh und Dschenawera.«

      »Wir müssen,« fuhr ich fort, »einen andern Weg einschlagen, als wir vorher wollten. Nach West dürfen wir nicht. Wie weit ist es von hier nach Ost bis an die Hauptkette des Zagrosgebirges?«

      »Acht Stunden, wenn wir durch die Luft reiten könnten.«

      »Da wir aber auf der Erde reiten müssen?«

      »Das ist verschieden. Ich kenne weiter unten einen Paß. Wenn wir gegen Sonnenaufgang reiten, so übernachten wir in einem sichern Walde und erreichen morgen, wenn die Sonne am höchsten steht, das Zagrosgebirge.«

      »Dort muß aber wohl die persische Grenze sein, wenn ich nicht irre?«

      »Ja, denn dort grenzt das kurdische Land Teratul an den persischen Distrikt von Sakiz, der nach Sinna gehört.«

      »Gibt es dort Kurden von Dschiaf?«

      »Ja; aber sie sind sehr kriegerisch.«

      »Vielleicht nehmen sie uns dennoch gut auf, denn wir haben ihnen nichts getan. Auch ist es möglich, daß der Name des Khan Heider Mirlam uns bei ihnen als eine Empfehlung dienen kann. Führe uns zu dem Passe, von welchem du sprachst. Wir reiten nach Osten!«

      Dieses Gespräch war in kurdischer Sprache geführt worden; ich verdolmetschte es den Gefährten, und sie waren mit meiner Anordnung vollkommen einverstanden. Nachdem Amad el Ghandur wieder umgesattelt und sein voriges Pferd bestiegen hatte, setzten wir den Ritt fort. Mohammed Emin nahm den Hengst an die Seite.

      Im Laufe dieser unangenehmen Verhandlungen und Begebenheiten war eine geraume Zeit vergangen, und es war ziemlich Mittag, als wir den erwähnten Paß erreichten. Wir befanden uns mitten in den Bergen und wandten uns nun nach Ost, nachdem wir dafür gesorgt hatten, daß keine Spur diese Veränderung unserer Reiserichtung verraten könne.

      Bereits nach einer Stunde bemerkten wir, daß sich das Terrain wieder zu senken begann, und auf meine Erkundigung erfuhr ich von Allo, daß zwischen hier und der Zagroskette ein bedeutendes Längental quer zu durchreiten sei.

      Der am Morgen vorgefallene Zwist hatte in unserem sonst so brüderlichen Kreise eine tiefe Verstimmung zurückgelassen, die auf meinem Gesichte wohl am deutlichsten zu lesen war. Ich durfte mein Auge gar nicht auf den Hengst richten. Der Bläßfuchs war zwar auch kein übles Pferd, aber die Kurden verstehen ein Pferd nur zu Schanden zu reiten, und ich fühlte mich im Sattel wie ein Anfänger der edlen Turnkunst auf dem dürren Klepper, dessen verborgene Eigenschaften man erst zu studieren hat. Dem Hengst gönnte ich es freilich von ganzem Herzen, daß er jetzt so frei und leicht nebenher traben durfte.

      Gegen Abend erreichten wir den Wald, in dem wir unser Lager aufschlagen sollten. Wir hatten bisher keinen einzigen Menschen getroffen, waren aber auf einiges Wild gestoßen, das uns das Material zum Abendessen lieferte. Dieses wurde unter außerordentlicher Schweigsamkeit verzehrt, und dann legten wir uns zur Ruhe.

      Ich hatte die erste Wache und saß abseits der andern, an einen Baum gelehnt. Da kam Halef herbei, bückte sich über mich und fragte mit leiser Stimme:

      »Sihdi, dein Herz ist betrübt; aber ist das Pferd dir lieber als dein treuer Hadschi Halef Omar?«

      »Nein, Halef. Für dich würde ich zehn und noch mehr solche Pferde hingeben.«

      »So tröste dich, mein guter Sihdi, denn ich bin bei dir und bleibe bei dir, und kein Haddedihn soll mich von dir wegbringen!«

      Er legte seine Hand an seine Brust und streckte sich dann neben mir aus.

      Da saß ich nun in stiller Nacht, und das Herz wurde mir groß und weit unter der Gewißheit, die Liebe eines Menschenkindes zu besitzen, eines Menschenkindes, dem auch meine Zuneigung gehörte. Wie glücklich muß ein Mann sein, der eine stille Heimat hat, die unerreicht ist von der Brandung der Schicksalswogen, ein Weib, dem er vertrauen darf, und ein Kind, in welchem er sein veredeltes Ebenbild heranwachsen sieht! Auch das rauhe Herz eines Weltläufers fühlt zuweilen, daß es im Innern des Menschen hinter öden, einsamen Flächen auch Höhen gibt, welche die Sonne mit ihrem Strahle vergolden und erwärmen darf.

      Am andern Morgen setzten wir unsern Weg weiter fort, und es zeigte sich, daß Allo sich nicht getäuscht hatte; denn bereits noch vor Mittag lagen die Höhen des Zagros vor uns, und wir durften unsern ermüdeten Pferden eine kurze Ruhe gönnen. Wir lagerten in einem Tale, dessen steile Wände vollständig unzugänglich schienen. Wir ließen die Pferde frei weiden und lagerten uns in das hohe Gras, das so frisch und saftig war, weil das Tal von einem kleinen Bache bewässert wurde.

      Lindsay lag neben mir. Er knabberte an einem Knochen herum und brummte unverständliches Zeug dazu. Er war in übler Laune.

      Jetzt richtete er sich halb empor und deutete mit der Hand in die Richtung, der ich den Rücken zukehrte. Ich drehte mich um und erblickte drei Männer, die sich uns langsam näherten. Sie waren in dünnes, gestreiftes Zeug gekleidet, hatten keine Schuhe und keine Kopfbedeckung und waren nur mit einem Messer bewaffnet. Solchen armseligen Figuren gegenüber war es wohl nicht nötig, nach den Waffen zu greifen. Sie blieben vor unserer kleinen Gruppe stehen und grüßten ehrerbietig.

      »Wer seid ihr?« fragte ich.

      »Wir sind Kurden vom Stamme Mer Mamalli.«

      »Was tut ihr hier?«

      »Wir haben eine Blutrache und sind entflohen, um einen andern Stamm zu suchen, der uns Schutz gewährt. Wer seid ihr, Herr?«

      »Wir sind fremde Wanderer.«

      »Was tut ihr hier?«

      »Wir ruhen aus.«

      Der Sprecher schien diese kurzen Antworten gar nicht übel zu nehmen, sondern sagte:

      »In diesem Wasser sind Fische. Erlaubst du, daß wir uns einige fangen?«

      »Ihr habt ja weder Netz noch Angel!«

      »Wir sind geübt, sie mit den Händen zu fangen.«

      Auch ich hatte bemerkt, daß hier Forellen standen, und da ich neugierig war, zu sehen, wie man sie mit den Händen fangen könne, so sagte ich:

      »Ihr habt gehört, daß wir fremd hier sind; wir können euch das Fischen nicht verwehren.«

      Sofort begannen sie, mit ihren Messern Gras zu schneiden. Als sie die nötige Menge davon hatten, trugen sie Steine herbei, um eine bedeutende Krümmung des Baches abzudämmen. Zunächst wurde der untere und dann der obere Damm errichtet. Das Wasser lief ab, und nun konnte man allerdings leicht die trocken gelegten Fische ergreifen. Da die Sache trotz ihrer Einfachheit Interesse hatte, so griffen wir selbst mit zu. Der Fang war reichlich, und da die schlüpfrigen Tiere uns immer wieder entkamen, so richteten wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf sie als auf die drei Kurden, bis plötzlich ein lauter Ruf unseres Führers erscholl:

      »Herr, paß auf, sie stehlen!«

      Ich


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