Von Bagdad nach Stambul. Karl May

Von Bagdad nach Stambul - Karl May


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ist er entkommen? Hattet ihr ihn denn nicht gebunden?«

      »Er war gebunden, aber er muß seine Bande nach und nach gelockert haben, und als wir schliefen, hat er sein Pferd nebst unsern Gewehren genommen und ist entwischt.«

      »Nehmt eure Pferde, und folgt mir!«

      Sie gehorchten sofort, und ich führte sie nach unserm Lagerplatz. Als wir denselben erreichten, hatte der Haddedihn indes ein kleines Feuer angebrannt, um die Umgebung zu erleuchten. Die Wache saß bereits waffenlos bei den andern Bejat. Die neun Männer, welche ich jetzt brachte, waren von dem ihnen widerfahrenen Unfalle so niedergeschmettert, daß sie mir ohne Widerrede ihre Messer und Lanzen übergaben. Ich erklärte den fünfzehn Männern, daß sie nur dann von uns etwas zu fürchten hätten, wenn es ihrem Khan einfallen sollte, einen Verrat an uns zu begehen; den entflohenen Bebbeh aber könne ich ihnen unmöglich wieder bringen.

      Master Lindsay hatte sich während meiner Abwesenheit, so gut es bei seinem Mangel an Sprachkenntnis möglich war, von Halef das ihm noch Unverständliche erklären lassen. Jetzt trat er zu mir.

      »Sir, was tun wir mit den Kerls?«

      »Das soll sich erst finden, wenn der Khan zurückkehrt.«

      »Wenn sie aber ausreißen?«

      »Das gelingt ihnen nicht. Wir überwachen sie ja, und übrigens werde ich unsern Hadschi Halef Omar an den Ausgang stellen.«

      »Dorthin?« – Er deutete nach dem Gange, der in das Freie führte. Als ich nickte, fügte er bei: »Ist nicht genug! – Gibt noch einen zweiten Ausgang. Da hinten! Yes!«

      Ich sah nach der Richtung, welche mir seine Hand andeutete, und gewahrte beim Scheine der Flamme ein hohes Felsenstück, vor welchem ein Busch stand.

      »Ihr scherzt, Sir!« sagte ich. »Wer kann über diesen Stein kommen! Er ist wenigstens fünf Meter hoch.«

      Er lachte mit dem ganzen Gesichte, so daß sein Mund das berühmte Trapezoid bildete, innerhalb dessen Linien die großen gelben Zähne sichtbar wurden.

      »Hm! Seid ein gescheiter Kerl, Master! Aber David Lindsay ist doch noch klüger. Well!«

      »Erklärt Euch, Sir!«

      »Geht einmal hin, und seht Euch den Stein und den Busch an!«

      »Also wirklich? Aber hingehen kann ich nicht, denn ich würde die Bejat auf diesen Ausgang aufmerksam machen, wenn er wirklich vorhanden ist.«

      »Er ist da, wirklich da, Master! Yes!«

      »Inwiefern?«

      »Das ist nicht ein Stein, sondern es sind zwei Steine, und zwischen der schmalen Lücke steht der Busch. Verstanden?«

      »Ah, das kann für uns von großem Vorteile sein. Wissen die Bejat etwas davon?«

      »Glaube nicht; denn als ich dort war, haben sie nicht auf mich geachtet.«

      »Ist die Lücke sehr schmal?«

      »Man kann mit einem Pferde hindurch.«

      »Und wie ist das Terrain dann hinter ihr?«

      »Weiß nicht. Konnte es nicht sehen.«

      Das war so wichtig, daß ich es gleich untersuchen mußte. Ich machte die Gefährten auf mein Vorhaben aufmerksam und verließ den Lagerplatz. Draußen umging ich das Felsengewirr und fand wegen der Dunkelheit nur mit vieler Mühe endlich den Ort, wo der Busch zwischen den beiden Felsen stand. Die Oeffnung, welche er maskierte, war etwas über zwei Meter breit. Hinter ihr gab es zwar auch noch eine Menge bunt durcheinander geworfenen Gesteins, aber es war wenigstens beim Lichte des Tages nicht schwer, ein Pferd hindurch zu lenken.

      Da ich nicht wußte, was uns begegnen konnte, so zog ich mein Messer, trat an den Busch heran und machte so tiefe Einschnitte in einige der Stämmchen, daß sie nach außen fallen mußten, falls man mit dem Pferde darüber hinwegstrich. Natürlich geschah dies so vorsichtig, daß die dahinter lagernden Bejat nichts davon merkten. Dann kehrte ich zu dem Lagerplatz zurück und stellte Halef am Eingange desselben auf. Er erhielt die Weisung, uns jede Annäherung sofort zu melden.

      »Was hast du gefunden, Effendi?« fragte Mohammed Emin.

      »Einen prachtvollen Ausweg für den Fall, daß wir uns ohne »Sallam« entfernen müßten.«

      »Durch den Busch hinaus?«

      »Ja. Ich habe ihn durchschnitten. Sobald ein Reiter hindurchbricht, wird der Strauch umgerissen und die Folgenden haben dann freie Bahn.«

      »Gibt es dann noch Gestein?«

      »Ja, große Steinbrocken mit Dorn und Pflanzenwerk dazwischen; aber wenn es hell ist, kommt man recht gut hindurch.«

      »Meinst du denn, daß wir diesen Weg gebrauchen werden?«

      »Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Lache nicht über mich, Mohammed Emin; aber bereits seit meiner Kindheit habe ich ein gewisses Ahnungsvermögen besessen, welches mich oft auf noch entfernte Dinge aufmerksam machte.«

      »Ich glaube dir. Allah ist groß!«

      »Freudige Dinge ahne ich nie vorher. Aber zuweilen erfaßt mich eine Unruhe, eine Angst, als hätte ich etwas Böses begangen, dessen Folgen ich nun fürchten müsse. Dann ist sicher und regelmäßig etwas geschehen, was mir Schaden bringt. Und wenn ich später die Zeit vergleiche, so stimmt es ganz genau: die Gefahr hat in demselben Augenblick begonnen, an welchem mich die Angst überfiel.«

      »So wollen wir auf die Warnung achten, welche dir Allah sendet.«

      Meine Besorgnis äußerte ihre Wirkung auch auf die Gefährten. Das Gespräch stockte, und wir lagen wortlos beieinander, bis der Tag anbrach. Kaum aber war es möglich, den Blick in die Ferne zu richten, so kam Halef hereingeeilt und meldete, daß er viele Reiter gesehen habe. Ihre genaue Zahl hatte er nicht unterscheiden können.

      Ich trat zum Pferde, nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und folgte Halef. Man erkannte mit dem bloßen Auge draußen auf der Ebene eine Menge dunkler Gestalten; durch das Rohr konnte ich sie deutlicher unterscheiden.

      »Sihdi, wer ist es?« fragte Halef.

      »Die Bejat sind es.«

      »Aber ihrer sind nicht so viele!«

      »Sie kehren mit dem Raube zurück. Sie führen die Herden der Bebbeh bei sich. Wie es scheint, reitet der Khan mit einer Schar schnell voran. Er wird also eher da sein, als die Andern.«

      »Was tun wir?«

      »Hm! Warte! Ich werde dir Nachricht geben.«

      Ich kehrte zu den Gefährten zurück und unterrichtete sie von dem, was ich gesehen hatte. Sie waren gleich mir überzeugt, wir hätten von dem Khan nichts zu befürchten. Wir konnten ihm keinen andern Vorwurf machen, als daß er uns von seinem Vorhaben keine Mitteilung gemacht hatte. Wäre dies geschehen, so hätten wir uns ihm nicht angeschlossen; denn es lag ja sicher eine Gefahr für uns darin, in der Gesellschaft eines Herdenräubers gesehen zu werden. Wir kamen überein, ihn zwar vorsichtig, aber doch höflich zu empfangen.

      Nun kehrte ich, vollständig bewaffnet, zu Halef zurück.

      Der Khan kam mit seinem Trupp im Galopp herbei, und ehe fünf Minuten vergangen waren, hielt er sein Pferd vor mir an.

      »Sallam, Emir!« grüßte er. »Du hast dich wohl gewundert, mich nicht bei euch zu sehen, als du erwachtest. Aber ich hatte ein dringliches Geschäft zu besorgen. Es ist gelungen. Blicke hinter dich!«

      Ich sah nur ihm ins Gesicht.

      »Du hast gestohlen, Khan Heider Mirlam!«

      »Gestohlen?« fragte er mit ganz erstaunter Miene. »Wer seinen Feinden nimmt, was er ihnen nehmen kann, ist der ein Dieb?«

      »Die Christen sagen: ja, er ist ein Dieb, und du weißt, daß ich ein Christ bin. Warum aber hast du gegen uns geschwiegen?«

      »Weil wir dann Feinde geworden wären. Du hättest uns verlassen?«

      »Allerdings.«

      »Und die Bebbeh gewarnt?«

      »Ich


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